Silbersee ® Jean Louis Fernandez
Die “Opéra national de Lorraine, Nancy” zeigt in einer Koproduktion mit “Opera Ballet Vlaanderen”, Kurt Weills “Silbersee” in einer Deutsch-französischen Version. Das Werk ist an sich schon voll mit schwarzem Humor und Unsinn. In der hier vorgeführten, aktualisierten Adaptation von Ersan Mondtag wird dieses noch um ein Vielfaches gesteigert, vor allem mithilfe des belgischen Schauspielers Benny Claessens.
Kurt Weill
DER SILBERSEE (LE LAC D’ARGENT)
Bühnenspiel in 3 Akten (Libretto: Georg Kaiser)
Musikalische Leitung Gaetano Lo Coco
Inszenierung & Bühnenbild Ersan Mondtag
Kostüme Josan Marx
Orchester und Chor der “Opéra national de Lorraine”
Koproduktion, Nancy, Opéra national de Lorraine, 16. April 2024
von Jean-Nico Schambourg
Zur Geschichte der Oper: Severin hat, von Hungersnot getrieben, eine Ananas gestohlen und wird auf der Flucht vom Polizisten Olim angeschossen. Von Gewissensbissen geplagt, nimmt Olim Severin in sein Schloss am Silbersee auf, um ihn zu pflegen. Das Schloss, was vorher dem “demokratisch abgewählten” Adel gehörte, hat er mit dem Geld eines Lottogewinns gekauft. Severin hegt stets den Gedanken, sich am Polizisten, der ihn angeschossen hat, zu rächen, bis er erfährt, dass es sich hierbei um Olim, seinen Gönner, handelt.
Olims Haushälterin, Frau von Luber, versucht einen Keil in die aufkeimende Freundschaft beider Männer zu schlagen. Als Olim sich von Severin bedroht fühlt, vermacht er sein ganzes Vermögen seiner Haushälterin. Mithilfe des alt-adligen Barons Laur vertreibt sie schlussendlich Olim und Severin aus dem Schloss. Beide versöhnen sich und wollen eigentlich im Silbersee sterben. Dieser friert allerdings zu, sodass beiden zusammen die Flucht zur “Helligkeit” gelingt. Allerdings wirft Hitlers Machtergreifung schon ihre Schatten des Schreckens voraus.
Die Musik des Werkes orientiert sich, wie so oft bei Kurt Weill, an verschiedenen Gattungen: Oper, Kantaten, Jazz, Moritaten, Lieder. Von den Nazis als “musikalischen Bastard” bezeichnet, situiert sich das Werk auf halbem Weg zwischen Oper und Kabarett. Zeitgleich am 18. Februar 1933 in Leipzig, Magdeburg und Erfurt uraufgeführt, wurde das Bühnenwerk am 4. März 1933 von den Nazis verboten.
Ersan Mondtag verlegt die Handlung in das Jahr 2033: Eine Theatergruppe will das Stück “Silbersee 2033” aufführen, muss sich aber andauernd mit Einschränkungen, verursacht durch den totalitären Staat, der 2033 vorherrscht, herumschlagen. Die Anfangsszene der Oper, in der Severin mit seinen Freunden als Mutanten ihren Hunger besingen, wird von Regisseur Benny unterbrochen. Die Schauspieler sind unter sich zerstritten wegen des Drucks der Zensur. Benny, der Regisseur, will die Geschichte der Oper aktualisieren, indem er den Nahostkonflikt einfließen lässt. Er übernimmt selbst die Rolle des Olim und schießt den als Terroristen verkleideten Severin an.
Dann totaler Szenenwechsel: Olim hat das Schloss am Silbersee gekauft. Das Bühnenbild zeigt einen riesigen Festsaal mit ägyptischen Hieroglyphen und riesigen Statuen von u.a. Jesus, dem Heiligen Sebastian, Liù und Ping aus Turandot. Die auftretenden Personen sind auch dementsprechend gekleidet, sodass man sich in eine Aufführung von Verdis “Aida” versetzt fühlt.
Nachdem Severin in Olim den Polizisten erkannt hat, der ihn angeschossen hat, treten beide als Figuren auf, die an Jesus und den Heiligen Sebastian erinnern. Nach und nach vermischen sich die verschiedenen Ebenen, Realität und Theaterwelt, zusehend. Benny wird immer mehr zu Olim, der sich in Severin verliebt. Zum Schluss suchen beide als Paar die Flucht in den Silbersee.
Das Geschehen auf der Bühne nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise durch viele verschiedene Emotionen. Es fordert den Zuschauer ganz schön heraus. Durch die vielen verschiedenen Regieeinfälle riskiert er mit Momenten den roten Faden der Aufführung zu verlieren. Auch soll nicht verschwiegen werden, dass der Abend mehrere Längen in den Sprechpassagen aufweist. Dies hat wahrscheinlich Ersan Mondtag selbst bemerkt, da er den Regisseur Benny einige Mal sagen lässt: „Zu viel Text für eine Oper“!
Die Inszenierung steht und fällt mit dem Darsteller des Olim, dem belgischen Schauspieler Benny Claessens. In manchen Szenen weiß man nicht genau, mit wem man es auf der Bühne zu tun hat: dem Polizisten Olim, dem Regisseur Benny oder dem Schauspieler Benny Claessens selbst. Als zum Beispiel das Publikum im letzten Akt bei seinem Erscheinen im schwarzen Lackanzug lacht, dreht er sich zu diesem um und sagt, es soll sich seine eigene Verkleidung gefälligst anschauen. Er springt herum, tobt, flucht, weint, windet sich und zieht dabei den Zuschauer von einer Emotion zur anderen mit. Auch wenn es manchmal des Guten ein wenig zu viel erscheint: Man mag sein Spielen mögen oder nicht, indifferent lässt es keinen!
Die anderen Darsteller gefallen durchgehend, sei es als Sänger, sei es als Schauspieler. Von allen weiß Joël Terrin als “querer” Severin am besten mit seinem hellen, fast tenoralen Bariton zu überzeugen. Auch seine Deklamation des gesprochenen Textes ist exzellent und zeugt von einem versierten Liedinterpreten.
James Kryshak verleiht seinen leichten Tenor sowohl dem Lottomann als auch dem Baron Laur, der, zusammen mit Frau von Luber, gesungen mit dramatischer Stimme von Nicola Beller Carbone, Olim und Severin das Schloss abluchst.
Die Rolle der Nichte Fennimore wird aufgeteilt zwischen der Schauspielerin Anne-Élodie Sorlin und der Sängerin Ava Dodd. Herrlich deren Replik am Anfang des Abends: “Ich kann nicht so viel Text, ich bin Sopran”. Als solcher erledigt sie sich ihrer Aufgabe mit klarer, leichter Stimme.
Großes Lob geht an das Orchester unter der Leitung des jungen italienischen Dirigenten Gaetano Lo Coco. Ob romantisch verspielte, jazzige, kabarettartige oder opernhafte Passagen, Lo Coco führt das Orchester mit Meisterhand und lässt stets einen spannenden Klang aus dem Orchestergraben entsteigen.
Schlussendlich erlebt das Publikum einen außergewöhnlichen Abend, der allerdings auch einige Schwächen in der szenischen Deutung enthält.
Der Applaus ist sehr herzlich für alle Beteiligten.
Jean-Nico Schambourg, 18. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Severin Joël Terrin
Olim Benny Claessens
Lottomann, Baron Laur James Kryshak
Fennimore Ava Dodd, Anne-Élodie Sorlin
Frau von Luber Nicola Beller Carbone
Bertolt Brecht/Kurt Weill, Die Dreigroschenoper Theater Basel, 17. Februar 2024
Rezension: Kurt Weill/Bertolt Brecht, Mahagonnyklassik-begeistert.de