Klein beleuchtet kurz 40: Gelungener Einstand des dänischen Geigers Nikolaj Szeps-Znaider als Dirigent des NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg

Klein beleuchtet kurz 40: Gelungener Einstand des dänischen Geigers Nikolaj Szeps-Znaider als Dirigent  klassik-begeistert.de, 22. Juni 2024

Piotr Anderszewski, Nikolaj Szeps-Znaiders und das NDR Elbphiharmonie Orchester; Foto PK

Mit dem polnischen Ausnahmepianisten Piotr Anderszewski, der das Erste Klavierkonzert des damals noch unter 30 Jahren jungen Komponisten der Wiener Klassik spielt, gelingt eine wunderbare Einheit zwischen Klavier, Orchester und Dirigent

Subito con forza!“ (Sofort mit Kraft!) war denn auch der Beginn des Konzerts mit dem nur rund fünf Minuten dauerndem Werk der Komponistin Unsuk Chin, welches sie im Beethovenjahr 2020 gespickt mit einigen originalen Beethovenfragmenten komponierte.

Am Anfang klang es nach der Egmont-Ouvertüre, die brillant einsetzte, aber alsbald danach verzerrt wurde durch flirrende Streichertremoli. Es folgte eine spannende Reihe formschöner Motive (u.a. auch das Schicksalsmotiv aus Beethovens fünfter Sinfonie) und orchestrale Klangblöcke, aus denen das Klavier und die zwei Schlagzeuger mit ihrem großen Sortiment an Trommeln und Schlaginstrumenten herausragten. Schade, dass die fünf Minuten so schnell vorbei huschten.

Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 war eigentlich gar nicht sein erstes, denn es entstand, als das zweite bereits vollendet war. Irgendwie war der Meister nicht zufrieden und feilte einige Jahre daran. Die vier Sätze bildeten dann auch massive Kontraste. Frisch, frech und feurig kam dann der Eröffnungssatz, dem ein extrem zartes Largo im zweiten Satz folgte, das sich in seiner zeitlichen Dimension und dahingleitenden Gelassenheit ausbreitete.

Eingebettet in butterweiche Streicherklänge spielte Piotr Anderszewski einfühlsam und unter die Haut gehend. Der dritte Satz war dann durchdrungen von einer frech-rasanten, koketten Tanzmelodie. Spielerische Gegensätze, gar oppositionelle Diskussionen, wie bei einem kleinen Ehestreit standen plötzlich im Raum. Orchester und Pianist lieferten sich ein köstliches Konterfei und irgendwie hatte man den Eindruck, dass Beethoven weit vor seiner Zeit mit Vorläuferanklängen des Ragtimes kokettierte. Der letzte Satz rundete schließlich die beiden vorherigen als effektvoller Rausschmeißer ab.

Nach heroischem Anfang und kleinem Zwischenspiel bat er noch ein wenig aufs Tanzparkett, wie man es damals auf folkloristischen Tanzveranstaltungen vielleicht erlebt haben konnte. Piotr Anderszewski spielte technisch auf allerhöchstem Niveau mit spielerischer Leichtigkeit und völliger Befreiung von Manierismen.

Großer Beifall bereits zur Pause.

NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg; Foto PK

Vor einigen Tagen dirigierte Fabio Luisi Tschaikowkys fünfte Sinfonie mit dem Dallas Symphony Orchestra. Man hatte den Klang und seine Interpretation noch im Ohr und konnte so Vergleiche ziehen. Taktstocklos sorgte er für weiche Übergänge und soften Klang, was manchmal das Orchester wie durch einen Nebelvorhang erscheinen ließ.

Nikolaj Szeps-Znaiders Interpretation der wohl beliebtesten Sinfonie des Komponisten, die zum musikalischen Inbegriff großer Gefühle und entfesselter Leidenschaft steht, war dann auch deutlich konturenhafter, dynamischer und transparenter.

Vier Variationen eines Schicksalsmotivs verbunden mit dem Wink des Übermächtigen, einer Balance zwischen Glück und Pech waren zu hören. Der am Anfang einsetzende Trauermarsch überschattete alles danach Folgende. Nervös und rastlos entwickelte sich der weitere Verlauf, mit Gefühlsüberschwang folgte dann der zweite Satz mit einem atemberaubend gespielten Hornsolo von Claudia Strenkert. Die zur Schau gestellte Ausgelassenheit des Walzers im dritten Satz geriet zur pointierten Malerei.

Schließlich wurde im Finale dann aus dem Trauermarsch ein Triumphmarsch, gipfelte in einem euphorischen Schluss und ließ einen jeden Zuhörer in Unklarheit, ob dieses Finale tatsächlich mit Vertrauen und Glück verbunden war. Oder führte es gar in einem optimistischen Ausblick in feinsten Durklängen  paradoxerweise doch wegen der enormen Temposteigerung in einer Art Depression?

Das Debüt des Dirigenten vor dem Orchester hätte nicht besser klingen und gelingen können. Entsprechend wurden alle Beteiligten herzlichst gefeiert.

NDR Elbphilharmonie Orchester

Piotr Anderszewski, Klavier
Dirigent: Nikolaj Szeps-Znaider

Unsuk Chin
subito con forza

Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15

Piotr I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64

 

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

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