Anna Goryachova (Tancredi)© Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Seitens der Inszenierung gelingt eine der besten Produktionen im Festspielhaus an diesem Ort, wo seit langem nichts vergleichbar Ansprechendes mehr hervorgebracht wurde. Auf der Bühne besticht ein glänzendes Ensemble. Weniger überzeugend gerät das Dirigat der Taiwanesin Yi-Chen Lin. Dennoch fand die kleinere Festspielproduktion verdient mehr Anklang als die jüngste Premiere auf der Seebühne am Tag zuvor.
Gioachino Rossini: Tancredi
Melodramma eroico in zwei Akten (1813) – Ferrara-Fassung
Libretto von Gaetano Rossi nach der Tragödie Tancrède von Voltaire (1760) In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Wiener Symphoniker
Prager Philharmonischer Chor
Musikalische Leitung: Yi-Chen Li
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Justina Klimczyk
Licht: Martin Gebhardt
Bregenz, Festspielhaus, 18. Juli 2024 PREMIERE
von Kirsten Liese
Sein viertes Musikdrama Tancredi zählt zu den weniger bekannten ernsten Opern Rossinis, die außer beim Festival in Pesaro, Geburtsstadt des Komponisten, selten aufgeführt werden.
Wie sich Regisseur Jan Philipp Gloger der dankbaren Aufgabe angenommen hat, das Stück auf die Bregenzer Festspielbühne zu bringen, wo solche Raritäten in kammermusikalischer kleinerer Besetzung traditionell ihren Platz finden, verdient alle Achtung. Ich muss gestehen, das hätte ich ihm – denke ich noch an den hässlichen Bayreuther Pappkarton-Holländer zurück – kaum zugetraut.
Mit Fokus auf das zeitlose Liebesdrama gelingt ihm sogar eine erstaunlich überzeugende moderne Lesart und aus meiner Sicht eine der besten Inszenierungen im Festspielhaus an diesem Ort, wo seit Jahren nichts vergleichbar Ansprechendes mehr hervorgebracht wurde. Die letzte wirklich packende Produktion, an die ich mich an diesem Ort erinnere, liegt jedenfalls sehr lange zurück, es war Weinbergs Auschwitz-Oper Die Passagierin in der Ära von David Pountney.
In der musikalischen Gesamtleistung kommt Tancredi allerdings – um das gleich zu sagen – nicht an Die Passagierin heran, was in erster Linie der Dirigentin Yi-Chen Lin zuzuschreiben ist: Häufig wackelt es zwischen Bühne und Graben, vor allem bei Übergängen und auf Strecken endlos langer Koloraturen, in denen die Wiener Symphoniker kurze Akkorde zwischen längeren Pausen beisteuern.
Selten einmal sind Chor und Sänger da mit dem Orchester auf den Schlag zusammen, was auf Dauer von drei Stunden sehr ermüdet und zeigt, dass es der so leichtfüßig daher kommende Rossini doch ziemlich in sich hat. Das dirigiert sich eben nicht so einfach mal herunter. Zudem offenbart die Dirigentin noch eine weitere gravierende Schwäche: Sie hat mit den Musikern und dem Ensemble viel zu wenig an der Dynamik, an farblichen Schattierungen und am Ausdruck gefeilt, so dass die Musik sehr gleichförmig daher kommt, was über die Dauer von drei Stunden ermüdet.
Und so ganz versteht man wirklich nicht, warum sich die scheidende Festspielchefin Elisabeth Sobotka die Chance entgehen ließ, die Dirigentin Erina Yashima für diese Produktion zu verpflichten, die bei Riccardo Muti in die Schule ging, der sich auf die italienische Oper versteht wie kein Zweiter und Yashima für längere Zeit in Chicago als Assistentin beschäftigte.
Yashima ist – das muss natürlich dazu gesagt werden – ohnehin vor Ort am Bodensee, aber nur als Zweitbesetzung für den Freischütz auf der Seebühne, den zur Premiere Enrique Mazzola dirigierte, der in Sachen Präzision auch nicht gerade eine Meisterleistung ablieferte.
Aber kommen wir zum Positiven, denn in erster Linie ist dies – ich sagte es schon – eine beglückende Arbeit.
Eine junge Frau namens Amenaide sieht sich dem Unglück ausgesetzt, einen Mann heiraten zu müssen, den sie nicht liebt. Ihr Vater Argirio drängt sie dazu, um den Zusammenhalt mit einer verfeindeten Familie zu stärken, die sich vom selben Feind bedroht sieht wie die ihre. Für die junge Frau bedeutet das ein allzu großes Opfer, da sie bereits eine große Liebe im Herzen trägt: Tancredi, die Titelfigur, ist ihre Geliebte. Geliebte?? Ist Tancredi denn nicht ein Mann? Nun eigentlich schon, allerdings in Hosenrolle. Warum also sollte die vorgesehene Mezzosopranistin nicht einmal als Frau erscheinen, womit die Liebe, um die es hier zentral geht, eine lesbische, gleichgeschlechtliche ist, auch wenn die Geschichte mit einem männlichen Tancredi genauso gut funktioniert hätte.
Wer will, kann diese gleichgeschlechtliche Variante als das Bemühen deuten, Oper vielfältiger, diverser oder woker zu machen, oder auch einfach nur einem lesbischen Publikum Identifikationsfiguren zu bieten, die das Musiktheater, in dem sich Frauen tendenziell eher für die Männer opfern, anderweitig nicht hergibt. Jedenfalls funktioniert die Geschichte ohne Verrenkungen und radikale Eingriffe, die Rossini zuwiderlaufen würden.
Die Konflikte spitzen sich freilich zu, als die von Amenaides Vater verstoßene Tancredi heimlich aus Liebessehnsucht zurückkehrt, von der beabsichtigten Hochzeit ihrer Freundin erfährt und ihr im Zuge dessen Untreue unterstellt. Wie nun Amenaide, von allen Seiten in die Mangel genommen, um ihre Liebe kämpft und sich bemüht, Tancredi bis zum tragischen, tödlichen Ende ihre Treue zu beweisen, singt und spielt Mélissa Petit mit ihrem hinreißend schönen, schlank geführten, höhen- und koloraturensicheren Sopran ganz ausgezeichnet.
Anna Goryachova in der Titelpartie steht ihr in nichts nach. Groß, warm, sonor und rund tönt ihr Mezzo, unweigerlich leidet man mit, wie sie über so lange Strecken unnötig leidet, in der festen Überzeugung, die Geliebte würde sie hintergehen, denn sowohl sie wie auch Petit durchleben szenisch sehr eindringlich ihre schicksalhafte Beziehungskrise und ihre starken Gefühle zwischen Leidenschaft, Verzweiflung und Wut.
Nicht minder exquisit sind die männlichen Hauptpartien besetzt: Antonino Siragusa gefällt mit seinem hellen, in allen Lagen agilen, geschmeidigen Tenor als lange Zeit gnadenloser Vater, der erst zum Ende hin gegenüber der Tochter Milde walten lässt, als der Konflikt eskaliert. Andreas Wolf, tags zuvor bereits ein stimmstarker Eremit auf der Seebühne beim Freischütz, gibt mit seinem großen Bassbariton singend und spielend den groben Freier Orbazzano, der auf dem Versprechen besteht, koste es was es wolle. Als Amenaides Vertrauter Isaura ist in kleinerer Rolle der Mezzosopranistin Laura Polverelli eine der schönsten Arien in der Oper mit einem bezaubernden Klarinettensolo vorbehalten. Auch sie verfügt über eine große Stimme, allerdings auch über ein gelegentlich etwas orgelndes Vibrato.
Apropos Klarinettensolo: Die schönsten Momente in der Musik bescherten rundum die erstklassigen Bläsersolisten der Wiener Symphoniker, die der Reihe nach ihren Auftritt hatten, seien es herrlich majestätische Trompeten im ersten Akt, die plötzlich unverhofft aus dem Streicherapparat hervorstechen oder eben die mit solistischen Umrankungen in den Arien stark beanspruchten Holzbläser, Klarinette und Oboe.
Wenn ich an der Inszenierung etwas zu mäkeln hätte, dann allenfalls an den unvorteilhaft anmutenden, etwas hässlichen Kostümen von Justina Klimczyk, die Amenaide überwiegend eine zerschlissene Jeanshose tragen lässt.
Ben Baurs Bühne dagegen wirkte durchaus ansprechend mit der gelungenen Kombination alter Architektur und moderner Möblierung, antiken Rundbögen eines alten Palazzos und heutig eingerichteten Wohnräumen samt Küche und Fitnessstudio.
Schade eigentlich, dass diese ansprechend umgesetzte Produktion nur noch zwei weitere Vorstellungen erlebt.
Der Beifall war – trotz der genannten Abstriche – verdient größer als beim spektakulären neuen Freischütz tags auf der Seebühne.
Kirsten Liese, 20. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
Besetzung:
Argirio: Antonino Siragusa
Tancredi: Anna Gorychachova
Amenaide: Mélissa Petit
Obrazzano: Andreas Wolf
Isaura: Laura Polverelli
Roggiero: Ilia Skvirskii