Tosca 2024 © Wilfried Hoesl
Puccinis Fassung ist spannend genug und das vielfältige Geschehen bei Mundruczós Inszenierung lenkt nur von der wunderbaren Musik ab.
Tosca
Musik von Giacomo Puccini
Libretto von G. Giacosa und L. Illica
Nationaltheater München, 24. Juli 2024
von Dr. Peter Hampe
Die Wiederaufnahme der im Mai neu inszenierten „Tosca“ bei den Münchner Opernfestspielen wartete mit einer wesentlichen Umbesetzung auf: An Stelle von Castronovo sang Jonas Kaufmann den Cavaradossi.
Er konnte die an ihn gestellten hohen Erwartungen erfreulicherweise erstaunlich gut erfüllen. Erstaunlich, weil sein kürzlicher Münchner Liederabend stimmlich problematisch blieb (siehe die kontroverse Diskussion in diesem Blog). Nunmehr wirkte die Stimme erholt.
Schon seine erste Arie „Recondita armonia“ gelang locker und in allen Tonbereichen ausgeglichen. Seine „Vittoria“-Rufe im 2. Akt schafften zusammen mit Toscas und Scarpias gleichzeitigen Gesangsstellen einen ersten emotionalen Höhepunkt der Aufführung. Auch die bekannte Schlussarie „E lucevan le stelle“ geriet stimmungsvoll, demonstrierte Kaufmann doch trotz gewisser Ermüdungstendenzen seine hohe Pianokunst.
Daneben – schon hoch bewährt – Ludovic Tézier als Polizeichef und Frauenbedränger Scarpia. Er wirkt zwar in dieser bösartigen Rolle äußerlich bieder, singt aber trotz all seiner Intrigen fast zu schön, jedenfalls über alle Register ausgeglichen Die Stimme „sitzt“ einfach dank einer ausgezeichneten Gesangstechnik.
Eleonora Buratto gab erneut die Tosca und konnte vor allem nach ihrer berühmten „Vissi d’arte“-Arie den einzigen Szenenapplaus einheimsen, vor allem dank ihrer kräftigen Spitzentöne.
Auch die Nebenpartien sind gut besetzt, so dass stimmlich eine sehr homogene Aufführung zustande kam, unterstützt vom immer wieder klangschönen Staatsorchester, dem der relativ junge Dirigent Andrea Battistoni mit präzisen Einsätzen und kräftigen dramatischen Steigerungen alles abverlangte, was die Partitur nahe legt.
Rundum also eine tolle Tosca- Aufführung? Ja, wenn nicht die Inszenierung wäre, die vom Publikum nicht überraschend vor allem nach dem ersten Akt mit kräftigen Buhs bedacht wurde. Kaufmann immerhin hat sich in die für ihn völlig ungewohnte Inszenierung gut integriert, agiert er doch im 1. Bild nicht als Maler, sondern als Fotograph, der schöne nackte Frauen ablichten darf. Weniger angenehm für ihn die drastische Folterszene im 2. Akt.
Was hat sich der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó eigentlich gedacht, dass er den 1. Akt nicht in einer römischen Kirche, sondern in einer Villa am Gardasee spielen lässt, in der offenkundig ein drastischer Filmset gedreht wird?
Erst nach der Lektüre des Programmheftes und zusätzlicher Feuilleton-Artikel wird man schlauer. Mundruczó sieht nämlich Parallelen zwischen Cavaradossi und dem linken italienischen Filmemacher Pasolini, der 1975 in Rom ermordet wurde. Beide sieht er als Künstler, die für die Freiheit der Kunst gegenüber staatlicher Bevormundung kämpften.
Sein letzter Film, „Salò“ oder „Die 120 Tage von Sodom“ ist die Vorlage für Mundruczós Münchner Tosca. Dieser Film wird aber nur verständlich, wenn man auch die literarische Vorlage von Marquis de Sade mit all ihren sadistischen Ausschweifungen kennt. Und der Bezug zu Puccinis Tosca?
Da sind noch weitere gedankliche Winkelzüge erforderlich. Pasolini hat nämlich auch einen „Medea“-Film gedreht, in dem Maria Callas die Hauptrolle spielt. Und die Callas wiederum hat als Puccinis Tosca schauspielerische und gesangliche Triumphe gefeiert…
Wenn man dies alles intellektuell verarbeitet hat, wird damit eine Aufführung der Tosca interessanter oder verständlicher? Mitnichten!
Dr. Peter Hampe, 31. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Vielen Dank für die faire und ausgewogene Kritik ohne das mitunter obligatorische Kaufmann-Bashing. Er hatte sicherlich nicht mehr sein schönes Timbre vergangener Tage und auch einige rau geratene Töne, war insgesamt aber hörenswert.
Über die Inszenierung haben wir noch den restlichen Abend lang philosophiert: Dass man dem Publikum immer wieder Neues bieten möchte – eben nicht den 100. Schwan im Lohengrin – ist nachvollziehbar. Wir haben aber oftmals den Wunsch vernommen, die Inszenierungen insgesamt ein Stück näher am Original auszurichten und sie nur mit moderneren Akzenten zu versehen.
Kann das so schwer sein? Oder sind die aktuellen Regisseure so beseelt von moderner Bildkunst und Netflix, dass sie meinen, es ginge nicht ohne?
Rodrigo
Ich war am 30.7. in München in der „Tosca“ – kam extra aus Wien in die Vorstellung. Da man durch die Internetübertragung wusste, was kommt, habe ich die Aufführung in vollen Zügen genossen. Die 3 Hauptpersonen waren wunderbar, hier wird nicht nur gesungen sondern auch gespielt. Die im 1. Akt aufgezeigten Probleme gibt es auch heute noch. Es gab frenetischen Applaus und kein Buh.
Maria Sibylle Jungbauer
Die Tosca-Aufführung war erstmal ein Schock. Während die Musik und die Sänger eine großartige Performance lieferten, war die Inszenierung ein Desaster, vor allen Dingen bis zur Pause. Ich frage mich nun, was sich ein Intendant dabei denkt, so einen Regisseur zu verpflichten. Dieser muss doch auch vorher ein Konzept abliefern. Genügt es heute schon, wenn möglichst schräge Ideen vorgestellt werden? Ist dem Publikum nicht mehr zuzutrauen, eigene Gedanken zur Heutezeit zu entwickeln?
Ja, der Regisseur ist das Eine, aber der Intendant, der ihn aussucht, das Andere.
Christel Kaspar
Ihr Beitrag spricht mir und vielen meiner Bekannten, die die Aufführung gesehen haben, aus der Seele. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich frage mich nur, warum man diesem Regisseur immer wieder die Gelegenheit gibt, dem Normalbürger die Operbesuche zu vergällen? Wie intellektuell verbrämt muss man eigentlich sein, um den Gedankengängen des Regisseurs folgen zu können?
Schuld an dieser Misere ist meines Erachtens der nicht unumstrittene Intendant der Bayrischen Staatsoper. Selbst Jonas Kaufmann hat bei einem Interview zum Ausdruck gebracht, dass bei dieser Inszenierung vieles anders läuft, als sich das Herr Puccini gedacht hat. Vielleicht wäre ja mal ein Umdenken möglich, wenn Sänger wie Kaufmann und andere berühmte Kollegen einfach solche Inszenierungen, die ihnen sozusagen contre coeur gehen, schlichtweg boykottierten.
Sowohl beim Essen als auch bei Opernaufführungen sollte die Devise gelten: „Auch das Auge isst mit“!
Gute Musik und herausragende Sänger können wir auch ganz gemütlich auf der heimischen Sofa hören.
Marie-Luise Zimmer