Foto: Theater Kiel, Olaf Struck (c)
Oper Kiel, 1. Juli 2018
Richard Wagner, Götterdämmerung
Georg Fritzsch, Musikalische Leitung
Daniel Karasek, Regie
Chiharu Shiota, Anna Myga Kasten Bühne
Claudia Spielmann, Kostüme
George Tellos, Licht
Konrad Kästner, Video
Marc Schnittger, Großfigur, Entwurf und Bau
Lam Tran Dinh, Choreinstudierung
Kirsi Tiihonen, Brünnhilde
Bradley Daley, Siegfried
Ks. Jörg Sabrowski, Alberich
Taras Shtonda, Hagen
Tatia Jibladze, Waltraute
Thomas Berau, Gunther
Agnieszka Hauzer, Gutrune
Tatia Jibladze, 1. Norn
Agnieszka Hauzer, 2. Norn
Katrin Adel, 3. Norn
Mercedes Arcuri, Woglinde
Ks. Heike Wittlieb, Wellgunde
Tatia Jibladze, Flosshilde
Opernchor und Extrachor des Theaters Kiel
Philharmonisches Orchester Kiel
Statisterie des Theaters Kiel
von Sebastian Koik
Wow! Gerade wenn man das erste Mal eine Oper in Kiel besucht, kann ein solch starker Beginn wie in dieser „Götterdämmerung“ massiv beeindrucken!
Das Bühnenbild in der Nornenszene ist Weltklasse. Wer auf der Biennale 2015 in Venedig war, dürfte ein Déjà-vu erleben: Die kunstvollen roten Seil-Skulpturen auf der Bühne erinnern stark an die raumgreifende Installation im damaligen japanischen Pavillon, eine der allerstärksten Arbeiten der gesamten Biennale. Ja, mit der Wahl der in Berlin lebenden japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, Schülerin unter anderem von Marina Abramovic und Rebecca Horn, hat man das Bühnenbild in gute Hände gelegt. Schöner hat man das Geflecht des Schicksalsseiles vermutlich nie gesehen. Die Bühne ist in prächtiges Rot, Blau und Violett getaucht. Der Zuschauer kann in Licht und Atmosphäre baden.
Auch musikalisch stimmt sehr, sehr viel an diesem Abend! Was Georg Fritzsch mit seinem Philharmonischen Orchester Kiel aus dem Orchestergraben zaubert, begeistert und beeindruckt selbst anspruchsvollste Ohren. Man fragt sich bei diesem räumlich doch recht kleinen Haus, wie alle benötigten Musiker in den kleinen Orchestergraben passen. Doch es ist alles da, man vermisst nichts.
Der Kieler Generalmusikdirektor leitet seine Musiker mit großer Musikalität und viel Verständnis für die Musik Richard Wagners an. Georg Fritzsch gestaltet große musikalische Bögen und behält jederzeit den Überblick und die Kontrolle. Es herrscht von Anfang bis Ende große musikalische Spannung. Das Orchester begeistert mit herrlicher Dramatik und feiner Klinge – und kann mit massiver Kraft und Lautstärke den Saal zum Erbeben bringen. Um hochqualitative musikalische Versorgung der Bevölkerung im hohen Norden der Republik muss man sich gewiss keine Sorgen machen.
Zurück zum Anfang: Auch sängerisch überzeugt die Nornenszene zu Beginn sehr. Besonders Tatia Jibladze als erste Norn begeistert. Bühnenbild, Orchester, Nornen: alles top.
Und dann kommt der erste Auftritt der Brünnhilde. Die Finnin Kirsi Tiihonen glänzt in dieser Rolle, die fast wie für sie gemacht scheint. Frau Tiihonen hat eine große Stimme und ist das Herzstück dieser Opernproduktion, sie hält sängerisch alles zusammen, sie ist der rote Faden, der alles durchzieht. Die Wahl dieser Gastsängerin ist ein wahrer Glücksgriff! Sie singt mit gewaltiger Leidenschaft und klingt dabei immer unfassbar natürlich und authentisch. Ihr „Heil, Heil“-Abschied von Siegfried sorgt für den ersten Gänsehaut-Moment dieser „Götterdämmerung“. Ihr kraftvoller Sopran geht hier durch Mark und Bein und berührt. Tiihonens Atem ist lang, und über den ganzen, langen Opernabend in dieser enorm anspruchsvollen Rolle geht ihr nichts an Kraft verloren. Man hat den Eindruck, dass die Götterdämmerung für sie auch zwei- oder dreimal so lange gehen könnte. Ihr kraftvoller Sopran hat enorme Präsenz und beherrscht den Raum, so wie ihre Darstellung die Bühne beherrscht. Ganz stark.
Es gibt nicht viele Tenöre, die den Götterdämmerungs-Siegfried wirklich gut singen können. Und so wäre das Opernwunder auch zu groß, wenn in Kiel jetzt tatsächlich neben einer starken Brünnhilde auch noch ein ebensolcher Siegfried auf der Bühne stünde. Der Australier Bradley Daley kann nicht wirklich als Siegfried überzeugen. Er mogelt sich um die hohen Töne herum und singt vieles grundsätzlich tiefer. Und wirklich klangschön und heldenhaft klingt das alles auch nicht. Auch in der Darstellung nimmt man ihm den Helden nicht wirklich ab.
Der Ukrainer Taras Shtonda, ebenfalls Gastsänger, gibt den Hagen. Er gewann Gesangswettbewerbe und trat unter anderem im Bolschoi-Theater in Moskau und an der Bayerischen Staatsoper in München auf. Sein Bass ist tief und sonor, doch wirkt er etwas unschön gekünstelt und unnatürlich in die Tiefe gedrückt. Es nervt auch, dass Shtonda den Hagen als Bösewichts-Karikatur interpretiert und meint, in seiner Rolle ständig das Gesicht böse verzerren zu müssen.
Ganz anders dagegen, zu 100 Prozent glaubwürdig in sängerischer und Bühnen-Darstellung gibt Tatia Jibladze die Waltraute. Seit der Spielzeit 2015/16 ist die begnadete Sängerin aus Georgien Ensemblemitglied am Kieler Opernhaus und es macht Spaß, ihr zuzuhören und zuzusehen. Die Szene zusammen mit Brünnhilde ist eine der stärksten der Vorstellung und berührt. Wenn diese Waltraute Brünnhilde nicht überreden kann, dann kann es keine!
Jörg Sabrowski gefällt als Alberich. Thomas Berau als Gunther und Agnieszka Hauzer als Gutrune verrichten ihre Arbeit solide.
Überhaupt sind es die Damen, die an diesem Abend besonders überzeugen. Nicht nur optisch bezaubernd schön in ihren grandiosen Glitzerkleidern glänzen die Rheintöchter auch mit schönstem Gesang.
Der Chor unter Lam Tran Dinh agiert kraftvoll, präzise und klangschön.
Es gibt noch eine zweite Künstlerin, die am Bühnenbild dieser „Götterdämmerung“ mitwirkte. Doch im Gegensatz zu den blutroten Flechtskulpturen von Chiharu Shiota, können die kargen Gitterstrukturen von Anna Myga Kasten nicht wirklich viel Emotion hervorrufen.
Die Videos von Konrad Kästner beeindrucken mit kunstvollen Bildern und viel Schönheit. Manch einen mag es von der Musik ablenken, wenn er in den langen Orchestervorspielen in diese faszinierenden und hochaufgelösten Bilderwelten abtaucht, doch das ist ein Luxusproblem. Belanglosigkeit will auch niemand, und wenn es einem Puristen gelingen sollte, diesem Sog der Bilder zu widerstehen, so könnte er ja auch die Augen verschließen.
Die Grane-Figur von Marc Schnittger ist ein wunderbarer Hingucker und vielleicht sogar die spektakulärste künstliche Pferdefigur in der langen Götterdämmerungs-Geschichte. Von drei Puppenspielern zum Leben erweckt, bewegt sich diese Pferdefigur elegant über die Bühne, mit realitätsnahen Gelenken, lebendig wirkendem Atmen und sogar animierten Ohren.
Viel schöne Opernkunst im hohen Norden!
Sebastian Koik, 2. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de