Cranko im Kino: Ich seh-fühle die Magie des Tanzes

Film: Cranko – Ein Film von Joachim A. Lang   City Kino 1 in München, 22. September 2024

CRANKO © Philip Sichler/Zeitsprung Pictures/SWR/Port au Prince Pictures

Das Geheimnis des Tanzes, das mit Worten nicht beschrieben werden kann. Das darf ich in diesem Film entdecken. Ich kann eine emotional tiefgehende Vorstellung entwickeln, wie Cranko dieses Geheimnis entschlüsselt. Das fühlt sich sehr sehr gut an.

Cranko
Ein Film von Joachim A. Lang

City Kino 1 in München, 22. September 2024

von Frank Heublein

An diesem Abend gibt es das erste öffentliche Screening des Films Cranko außerhalb Stuttgarts. Cranko Darsteller Sam Riley und Regisseur Joachim A. Lang sind nach dem Film zu einem Gespräch anwesend.

John Cranko ist eine Person, die die Ballettszene in Deutschland ab 1961 bis zu seinem Tod 1973 als Ballettdirektor und Chefchereograf in Stuttgart nachhaltig beeinflusst hat. Zusätzlich zu seiner Stuttgarter Aufgaben füllte er 1968 bis 1972 den Posten des leitenden Choreografen des Staatsballetts in München aus.

Der Film bleibt nah an seiner Titelgebenden Person dran. Wie Regisseur Lang im Filmgespräch sagt, wollte er „mehr als ein Biopic“, einen Ballettfilm schaffen. Er versteht darunter einen Film, der Tanz nicht nur zeigt, sondern die Magie des Tanzes vermittelt. John Cranko sagt im Film „Die richtigen Schritte können viele, tanzen können wenige“.

CRANKO © Philip Sichler/Zeitsprung Pictures/SWR/Port au Prince Pictures

Tanz, die Magie des Tanzes zu zeigen, das geht nur mit echten Tänzerinnen und Tänzern. Naheliegender Weise werden diese Rollen im Film durch aktuelle solistische Mitglieder des Stuttgarter Corps du Ballett besetzt. Es gelingt insbesondere Elisa Badenes als Marcia Haydée nicht nur in den Tanzszenen zu überzeugen, sondern mir auch als Schauspielerin die Beziehung Haydées, ihre tiefe Liebe zu Cranko zu vermitteln.

CRANKO © Philip Sichler/Zeitsprung Pictures/SWR/Port au Prince Pictures

Wie das Stuttgarter Ballettwunder, dass US Großkritiker Clive Barnes 1969 nach einer Aufführung an der Metropolitan Opera in New York ausruft, entsteht, wird nicht ausdrücklich gezeigt. Es setzt sich in mir emotional zusammen. Denn die Bereiche, die das Wunder schaffen sind vielfältig. Cranko war homosexuell. Durch seine Sexualität wurde er in London 1960 „geghostet“ sagt man dazu neudeutsch. Er hat einfach niemanden erreicht, der produktionsverantwortlich war und mit ihm über (seine) Arbeit sprechen wollte. In Stuttgart bietet ihm Staatstheaterdirektor Walter Erich Schäfer eine Heimat an, die seine Sexualität toleriert.

CRANKO © Philip Sichler/Zeitsprung Pictures/SWR/Port au Prince Pictures

Der Film, sein Hauptdarsteller Sam Riley zeigt einen einsamen Menschen Cranko, der „ideale“ monogame Liebe verzweifelt sucht und nicht findet. Daraus zieht er künstlerische Produktivität. Einerseits ist sein Schmerz also Ursuppe seiner Kreativität. Andererseits – so interpretiere ich – war Choreografieren für Cranko ein Ausweg, die Liebessuche und den dazugehörigen Schmerz temporär zu vergessen. Faszinierend.

Ich wünschte, ich hätte dieses Können, inneren Schmerz derart in Produktivität umzusetzen. Das Zwingende, dass daraus für seine Ballettproduktionen entstand, vermittelt mir der Film. Nicht explizit und genau in Szene X, sondern in den Andeutungen, die ich in mir zusammensetze. Ich erfühle seine Überzeugungskraft, den Tänzerinnen und Tänzern alles abzufordern und zugleich den Glauben einzupflanzen, dass sie die Schönheit, Erhabenheit, das Wortunmögliche tanzen können. Das rührt mich zu Tränen. Ich sehe, ich fühle die Magie des Tanzes.

CRANKO © Philip Sichler/Zeitsprung Pictures/SWR/Port au Prince Pictures

Die filmischen Lösungen, wie Crankos Kreativität entsteht, finde ich gelungen. Im Auge sind in Makroaufnahme Tanzszenen zu sehen. Vor der Stuttgarter Oper tanzt das Corps du Ballett vor seinem geistigen Auge. In Dauerschleife hört er sich 15 Sekunden einer Musik an, um ein Tanzbild zu gewinnen. Shakespeare auswendig zu rezitieren zusammen mit Bühnenbildner Jürgen Rose – der leibhaftige „echte“ 87-jährige ist wie ich Teil des Kinopublikums. Um Tanzschritte und dazugehörige Emotion, Ausdruck zu finden, die die Magie der Liebe Romeos und Julias so ausdrücken, wie es Shakespeares Worte nicht vermögen.

Mag sein, dass der Film die biografischen Elemente Crankos nicht explizit und genau ausbuchstabiert. Doch es ist eben kein Dokumentarfilm, sondern Fiktion. Die Filmschaffenden dürfen nach meinem Verständnis im fiktionalen Film alles, um ihr gesetztes Ziel zu erreichen. Regisseur Langs Ziel ist, das Geheimnis des Tanzes zeigen, das mit Worten nicht beschrieben werden kann. Mir einen Eindruck zu vermitteln, was Cranko wie getan hat, dieses Geheimnis auf der Bühne für den Zuschauer zum Erfühlen, zum Erleben zu bringen. Das gelingt in mir. Das fühlt sich sehr sehr gut an.

CRANKO_Plakat

Einen ersten eigenen Eindruck des Films können Sie aus dem Trailer gewinnen:

Frank Heublein, 23. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Cranko

In den deutschen und Kinos ab 03. Oktober 2024 und davor Vorpremieren in einigen deutschen Städten. In Österreich kommt Cranko ebenfalls im Oktober ins Kino. Für die Schweiz steht ein Starttermin noch nicht fest.

„Maestro“: Ein Film über das ausufernde Privatleben Leonard Bernsteins klassik-begeistert.de, 25. Dezember 2023

Filmrezension: Alma & Oskar, Filmemacher Dieter Berner klassik-begeistert.de, 6. Juli 2023

Anne Sophie Mutter, Vivace, A Film by Sigrid Faltin klassik-begeistert.de, 5. Juli 2023

Filmrezension „Divertimento – ein Orchester für alle“ klassik-begeistert.de, 13. Juni 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert