Calixto Bieitos Trionfi-Inszenierung begeistert, aber nicht jeden

Carl Orff, Trionfi, Trittico teatrale (1953)  Staatsoper Hamburg, Premiere B, 25. September 2024

Oleksiy Palchykov nimmt den Beifall des Publikums entgegen (Foto: RW)

Auch die Sängerinnen und Sänger agierten so engagiert, dass man nicht weiß, ob zuerst der Gesang oder der darstellerische Einsatz zu loben wäre. Das gilt insbesondere für Oleksiy Palchykov als Catullus, den ich so rollendeckend bisher nicht erlebt habe. Sportlich durchtrainiert warf er sich wortwörtlich in die Rolle hinein.

Trionfi, Trittico teatrale (1953)

Catulli Carmina, Trionfo di Afrodite, Carmina Burana

Musik von Carl Orff

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Leitung: Kent Nagano

Chor der Staatsoper Hamburg, Chor Liatoshynski Capella Kyiv, Kinder- und Jugendchor und Hamburger Knabenchor

Inszenierung: Calixto Bieito, Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Ana Rabes

Staatsoper Hamburg, Premiere B, 25. September 2024

von Dr. Ralf Wegner

Bereits während der Pause lichteten sich die Reihen, und am Ende konnten es Etliche nicht abwarten, sofort nach Schließen des Vorhangs ihre Mäntel abzuholen. Der Rest, das waren aber noch mehr als Zweidrittel der Besucher, spendete langanhaltend Beifall und ließ seiner Begeisterung ob des Gesehenen und Gehörten freien Lauf.

Schwer zu sagen, was im Vordergrund stand, das Bühnengeschehen oder die musikalische Seite. Denn die Sängerinnen und Sänger agierten so engagiert, dass man nicht weiß, ob zuerst der Gesang oder der darstellerische Einsatz zu loben wäre.

Das gilt insbesondere für Oleksiy Palchykov als Catullus (in Catulli Carmina; außerdem Sposo in Trionfo di Afrodite), den ich so rollendeckend bisher nicht erlebt habe. Sportlich durchtrainiert warf er sich wortwörtlich in die Rolle hinein. Und auch gesanglich beeindruckte er mit seinem hellen, zum heldischen neigenden Tenor, der ob des häufig lang gehaltenen Fortes einen zukünftigen Siegmund erahnen lässt. Daneben klang auch seine Kopfstimme angenehm, so dass man manchmal genau hinhören musste, um ihn von seiner Partnerin Nicole Chevalier (Lesbia) oder vom Countertenor Jake Arditti unterscheiden zu können.

Allerdings hatten Palchykov und die anderen Mitwirkenden es leicht, den Saal zu beschallen, denn die Handlung, sofern man von einer solchen sprechen kann, fand auf dem überdeckten Orchestergraben statt. Da das Orchester zudem auf der Hinterbühne in der Höhe positioniert war, hatten es sowohl die Chorsänger als auch die Solisten deutlich leichter mit ihren Stimmen das Publikum zu erreichen als bei anderen Vorstellungen.

Cody Quattlebaum, Kent Nagano, Sandra Hamaoui, Jake Arditti (Foto: RW)

Besonders zu loben war der im ersten Teil auftretende Chor Liatoshynski Capella Kyiv. Wie die Sängerinnen und Sänger mit beeindruckender Präzision ihre Texte sangen, ging unter die Haut. Desgleichen ergab sich durch die dahinter erhöht sitzenden Orchestermitglieder eine bestechende Akustik, die, entfernt, an jene der Elbphilharmonie erinnerte. Im dritten Teil (Carmina Burana) mischte sich der Orchesterklang intensiver mit dem stark besetzten Chor der Hamburgischen Staatsoper, zuzüglich zahlreich in das Geschehen eingebundener Alsterspatzen (Kinder- und Jugendchor).

In der Carmina Burana fiel besonders Sandra Hamaoui mit ihrem in der Mittellage opulent schimmernden Sopran auf, ohne dass sie die Höhen vernachlässigte. Auch Jake Arditti trat wieder auf, diesmal als gerösteter Schwan, der sich zahlreicher hungriger Mäuler zu erwehren hatte. Der Baritonpart wurde von Cody Quattlebaum gesungen. In dem vorausgegangenen Stück Trionfo di Afrodite hatte er bereits den Basspart übernommen.

Sandra Hamaoui (Foto: RW)

Für die drei Stücke hatte Rebecca Ringst eine auf verschiedene Ebenen hochfahrbare Bühne aus Stahlgerüsten gebaut. Besonders eindrucksvoll geriet die Wandlung zwischen Catulli Carmina und Trionfo di Afrodite, während der die verschiedenen Ebenen verschoben wurden. Da es in beiden vor der Pause gespielten Stücken um die Liebe im Besonderen, aber auch im Allgemeinen ging, mir kam Così fan tutte in den Sinn, verzichtete der Regisseur nicht auf Nacktheit in allen Altersstufen oder auf kopulative Aspekte (bekleidet), d.h. er zeigte uns die naturgegebene Physis unserer Art in allen Schattierungen und nicht nur den in der Werbung optimierten Homo sapiens. Manchem mag das nicht gefallen haben.

Für Carmina Burana fiel Bieito nicht mehr so viel neues ein. Es wurde mit roter Flüssigkeit gepanscht, schließlich handelt es sich ja um eine Weinorgie, ein Schwan verzehrt und am Ende offenbar eine Sängerin geopfert. Der auf der Bühne versammelten Chor- und Statistenmassen wurde Bieito manchmal nicht ganz Herr. Als sich Cody Quattlebaum von den Chordamen umringt anhimmeln ließ, standen deren Männer oder Liebhaber teilnahmslos im Hintergrund, ohne diesen Eindringling in irgendeiner Weise zu behelligen. Aber das sind nur kleine Einschränkungen.

Musikalisch sind die Carmina Burana ja ohne Zweifel ein Ohrwurm, auch ein faschistoider? Das Programmheft zur Trionfi-Premiere befasst sich diesbezüglich ausführlich mit der Vergangenheit des Komponisten und stellt die Frage „Ist Orffs Carmina Burana faschistische Musik?“

Das entsprach meiner Erinnerung an frühere szenische Aufführungen, wegen des massenpsychotischen, gegen das Individuum gerichteten Inhalts. Die Inszenierung von Calixto Bieito wirkt dem durch Individualisierung des Bühnenpersonals entgegen. Bunter als dort auf der Bühne könnte eine Gesellschaft nicht sein. Trotzdem berührt das Rupfen des noch lebenden Schwans und die offensichtliche Opferung einer jungen Frau immer noch unangenehm. Es wird ja nicht als Verbrechen, sondern als Kulthandlung einer Gesellschaft verstanden. Aber Ähnliches gab es ja auch bei anderen Komponisten, erinnert sei an Strawinsky und Le Sacre du Printemps, bei dem die Gewalt aber weniger von der Gesellschaft selbst, als vielmehr von einer höheren Macht ausgeht. Im Sacre sind die Menschen Getriebene, und nicht Handelnde. Das unterscheidet beide Stücke voneinander.

Dr. Ralf Wegner, 26. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Carl Orff, Trionfi Staatsoper Hamburg, 21. September 2024 Premiere

Jakub Józef Orliński – Countertenor, Il Pomo d’Oro Elbphilharmonie, Hamburg, 17. September 2024

NDR Elbphilharmonie Orchester, Antoine Tamestit, Viola, Dirigent Alan Gilbert Elbphilharmonie, 22. September 2024

Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6  Elbphilharmonie, 18. September 2024

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