(C) WDR / Thomas Kost
Kölner Philharmonie, 6. Juli 2018
Pekka Kuusisto Violine
WDR Sinfonieorchester Köln
Jukka-Pekka Saraste Dirigent
Magnus Lindberg, Konzert für Violine und Orchester (2006)
Igor Strawinsky, Le Sacre du printemps (1910–13)
Bilder aus dem heidnischen Russland in zwei Teilen
von Daniel Janz
Es ist, als würde ein Fluch auf diesem Werk liegen. Seit Jahren schon gehört Strawinskys „Le Sacre du printemps“ auch in Köln zum Standard-Repertoire. Und schon seit Jahren will eine gute Aufführung dieses Werkes im Konzertsaal am Rhein einfach nicht gelingen. In Erinnerung ist immer noch das Konzert von Februar 2017, bei dem nach einem fulminanten ersten Werk das Niveau schlagartig nachließ. Damals hatte kein geringerer als Martin Grubinger das WDR Sinfonieorchester unterstützt. Auch eine fehlerbehaftete Aufführung des Gürzenich-Orchesters von 2012, damals noch unter der Leitung von Markus Stenz, hallt immer noch nach.
Der langjährige Konzertbesucher in Köln hat also jene Erlebnisse vor Augen, wenn es an diesem Abend erneut heißt: „Le Sacre“ steht auf dem Programm.
Heute soll es Jukka-Pekka Saraste richten, der mit seinen 62 Jahren bereits Erfahrung bei zahlreichen namhaften Orchestern wie dem Boston Symphony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra London und der Staatskapelle Dresden sammeln konnte. Dabei ist Strawinskys meist gespieltes Stück gar nicht der einzige Titel des Abends – bei so viel gespannter Erwartung ließe sich beinahe vergessen, dass mit Magnus Lindbergs Violinkonzert auch noch ein anderes Werk der Moderne auf dem Programm steht.
Erst 2006 auskomponiert zählt dieses, der georgischen Violinistin Lisa Batiashvili gewidmete, Violinkonzert zur „zeitgenössischen Musik“. Dabei klingt es versöhnlicher als frühere Titel des 60 Jahre alten finnischen Komponisten. Seine Rückwendung zur melodischen Arbeit hat daran genauso Anteil wie ein extra für dieses Werk angereister und routiniert aufspielender Pekka Kuusisto. Der 42-Jährige, ebenfalls in Finnland geborene Violinist, performt die Musik kaum, sondern fokussiert sich auf die Erzeugung eines besonders weichen Klangs. In Verbindung mit dem Orchester entfaltet die Musik so einen sehr eigenen Charakter.
Beim Einstieg ins Werk über einen schwebungsvollen Flageolettton stellt Kuusisto das eigentliche Hauptthema vor, das er geradezu symbolisch an das mozartisch besetzte Orchester übergibt. Neben Streichern sitzen dort nur jeweils zwei Oboen, Fagotte und Hörner. Und doch können Solist und Dirigent allerhand spannende Klangfarben daraus hervorzaubern: Als Zuhörer wähnt man sich mal im eiskalten Eismeer, mal donnern Kontrabässe und Hörner in ungeahnt tiefe Schluchten und gleiten kurzerhand wieder auf.
Die Musik selbst ist eine Art Eintauchen des Motives von der Solovioline in den Orchesterapparat, einmal Luft anhalten und dann wieder zum Solisten hervorbrechen. Dieser muss neben höchst koordinativen Solokadenzen sowie kammermusikalischem Wechselspiel mit erster Geige oder erstem Kontrabass ungeahnt viele Pausen einlegen.
Dass eine kleine Besetzung dabei auch Fluch sein kann, beweisen an diesem Abend leider ausgerechnet die Hörner, die neben Kuusisto mit Abstand die meisten Soli zu spielen haben. Bei beinahe jedem zweiten Solo wird in der Höhe gekiekst, nicht selten sind sogar falsche Töne zu hören. Ein Umstand, der schließlich nur durch einen tadellosen Kuusisto ausgeglichen wird. Er ist bei diesem Werk der Fels in der Brandung, der voller Elan die lyrische Melodie vortragen, aber genauso gut auch zu martialischen Rhythmen im Finale des Werkes die Motive heruntermarschieren kann.
Bei seiner Zugabe wird er dann doch noch einmal sentimental, als er erklärt, er würde nun eine „Fantasia“ basierend auf einem finnischen Volkstanz vortragen. Plötzlich ist er nicht mehr der in sich ruhende Pol, sondern stampft, ja tanzt regelrecht zu den nun wilden Rhythmen, die er über sein Instrument haucht. Neben ungläubigem Staunen handelt ihm das tosenden Applaus ein.
Orchester und Dirigent selber können von dieser Leistung stattdessen nicht vollends überzeugt sein. Doch es bleibt die Hoffnung einer Steigerung, und dass sich nicht wiederholt, was schon in den vergangenen Jahren zu Unmut geführt hatte.
Dabei ist gerade das so genannte „Frühlingsopfer“ ein Werk, bei dem sich Musiker und Dirigent eigentlich so richtig austoben können. Strawinsky komponierte dieses 1913 als dritten Teil einer Reihe von Ballettmusiken. Hier schildert er, wie sich innerhalb eines heidnischen Rituals ein junges Mädchen als Opfer an die Erde zu Tode tanzen muss. Schon 1913 war das revolutionäre Musik, die bei der Uraufführung zu einem handfesten Skandal führte. Ausschreitungen, Schlägereien und sogar ein Polizeieinsatz führten damals beinahe zum Abbruch des Konzerts.
An diesem Abend aber gelingt dem WDR Sinfonieorchester der Einstieg. Es zeichnen sich zwar Probleme ab – die Formschwäche der Hörner fällt auch hier immer wieder negativ auf. Gerettet wird das Ganze von einem beherzt und sehr klar dirigierenden Jukka-Pekka Saraste. Unter seiner Leitung greifen die einzelnen Musikergruppen deutlicher ineinander, der Klang wirkt geschliffener und über weite Strecken auch klar definiert. Tatsächlich macht seine Leitung heute den Unterschied zwischen einer mittelmäßigen und einer guten Aufführung aus.
Deutlich hervorzuheben ist auch, dass das Orchester mit mehr Wucht spielt als bei vergangenen Aufführungen dieses Werkes. Vereinzelt könnten zwar auch hier Details wie Trompeteneinwürfe oder das Tempo in ruhigen Passagen noch klarer definiert sein. Doch Passagen wie zum Beispiel der „Tanz der jungen Mädchen“, „Spiele der rivalisierenden Stämme“, „Tanz der Erde“ oder „Verherrlichung der Auserwählten“ donnern unter kräftigem Trommel- und Tamtam-Einsatz genauso so drein, wie es der Komponist selber erdacht haben muss. Das ergreift dann schon beim Anhören.
Zum Schluss stellt das WDR Sinfonieorchester ein dankbares Publikum zufrieden. Frenetischer Applaus und sogar einzelne Bravorufe – vor allem auch für die Fagottgruppe – machen deutlich, dass die heutige Aufführung unterm Strich doch ein Erfolg war. Sicherlich, ein Weltklasse-Orchester hätte noch ein oder zwei Akzente mehr setzen können und bis ins letzte Detail hinein den „Sacre“ ausgefeilt. Das sollte aber keine Aufführung schmälern, bei der alle Akteure bis an ihre Grenzen gegangen sind.
Daniel Janz, 7. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de