Klassik am Odeonsplatz: Diana Damrau schmeichelt dem Ohr und dem Auge

Klassik am Odeonsplatz 2018, Diana Damrau,  Odeonsplatz, München

Foto: Marcus Schlaf (c)
Klassik am Odeonsplatz
, München, 13. Juli 2018
Cristian Mǎcelaru, Dirigent
Diana Damrau, Sopran
Radoslaw Szulc, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Leonard Bernstein, Ouvertüre zu Candide
Jules Massenet, „Suis-je gentille ainsi? – Je marche sur tous les chemins“ Scène et Gavotte der Manon aus Manon(2. Akt)
Jules Massenet, „Méditation“ für Solo-Violine und Orchester aus Thaïs
Erik Satie, „Gymnopédies“ Nr. 1 und 3 (in der Orchesterfassung von Claude Debussy)
Charles Gounod, „Ah, je ris de me voir“, Juwelen-Arie der Marguerite aus Faust
Zugabe: Charles Gounod, „Je veux vivre“ Arie der Juliette aus Romeo et Juliette
Antonín Dvořák, Symphonie Nr. 9 e-Moll Op. 95 „Aus der neuen Welt“
Zugabe: Antonín Dvořák, Slawischer Tanz Nr. 8, Op. 46

von Shari Berner

 „Klassik am Odeonsplatz“ ist seit dem Jahre 2000 Münchens größtes jährliches Klassik-Open-Air. Zunächst als Milleniumskonzert zur deutsch-französischen Aussöhnung gegründet, ist diese Veranstaltung mittlerweile aus dem Münchner Kulturleben nicht mehr wegzudenken. Hochkarätige Besetzungen, eine tolle Kulisse und ein Quäntchen Glück beim Thema Wetter machen „Klassik am Odeonsplatz“ zu einem einzigartigen Event.

Eröffnet wird dieses Jahr mit Leonard Bernsteins Ouvertüre zu seiner Oper Candide. Diese basiert auf einem satirischen Roman Voltaires und wurde 1956 in New York uraufgeführt. Doch aufgrund des minderwertigen Librettos, welches der großen Vorlage nicht gerecht werden konnte, wurde Candide schnell abgesetzt. Eine Neufassung erschien schließlich 1974 mit umgearbeitetem Textbuch und war deutlich erfolgreicher. Die Ouvertüre ist mit Abstand das bekannteste Stück der Oper und erklingt häufig im Konzertsaal. Der schwungvolle Beginn ist geprägt durch komplexe Bläserfanfaren, Basseinsätze auf die Zählzeit vier und plätschernde Melodien.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gibt schon zu Beginn alles und reißt die 8000 Zuschauer auf dem Platz in einem bunten Klangwirbel mitten hinein in Bernsteins Welt. Flötenstaccatti leiten über zu einem getragenen neuen Thema in den Bratschen, das anschließend schwelgerisch von den ersten Violinen oktaviert wird,­ und bei dem man sich plötzlich der Atmosphäre dieses besonderen Ortes bewusst wird: Die Sonne geht hinter der Theatinerkirche unter, die Feldherrenhalle, die als Bühne dient, scheint das Zentrum des Universums zu sein, zumindest für diesen Augenblick. Die Verarbeitungen von Elementen des ersten schnelleren Teils bringen den Hörer zurück in die Realität. Ein bravourös gemeisterter Auftakt des Orchesters unter Cristian Mǎcelaru, der am Odeonsplatz sein Debüt gibt.

Gespannt wartet das Publikum auf die Sopranistin Diana Damrau. In einem pompösen dunkelrosa Ballkleid und mit ihrer einzigartigen Präsenz erobert sich die gebürtige Bayerin die Bühne schon alleine durch ihr Auftreten. Anstatt mit der von ihr schon öfter virtuos interpretierten Koloraturarie der Kunigunde aus Bernsteins Candide an die Ouvertüre anzuknüpfen, singt Diana Damrau französisches Repertoire. Den Anfang bildet eine Arie der Manon aus Jules Massenets gleichnamigem Werk. Damrau verkörperte diese Rolle bereits auf diversen Opernbühnen. In „Suis-je gentille ainsi?“ besingt Manon ihre Schönheit und Jugend und ruft zu einem genussvollen, sorgenfreien Lebensstil auf : „Profitons bien de la jeunesse/ Des jours qu’amène le printemps/ Aimons, rions, chantons sans cesse/ Nous n’avons encor que vingt ans!“

Diana Damrau erweckt mit meisterlichem Schauspiel die Figur zum Leben und lässt vergessen, was eine konzertante Aufführung ist. Ihre klaren Spitzentöne, ausgewogene Koloraturen und ihre deutliche Artikulation schmeicheln dem Ohr, genau wie Mimik und Gestik dem Auge mit französischem Charme zuzwinkern. In zwei der längeren Generalpausen möchte das Publikum seiner Begeisterung Luft machen und beginnt zu applaudieren. Damrau stoppt das gekonnt und blitzschnell mit einer einzigen Geste ihrer Hand und einem leichten, lächelnden Kopfschütteln. Das Symphonieorchester beherrscht die Balance zwischen deutlich wahrnehmbarer, aber nicht übertönender Begleitung ohne jeden Fehler. Am Ende darf das Publikum beim dritten Anlauf endlich applaudieren.

Die Zwischenaktmusik aus Jules Massenets Oper Thaïs scheint auch in diesem Konzert als genau das: Eine Musik zwischen dem eigentlichen Geschehen. In Thaïs wird die Geschichte der Kurtisane Thaïs erzählt, die durch einen jungen Mönch auf den rechten Weg geführt, heißt zu einem Leben der Entsagung gebracht wird. Die „Méditation“ erklingt zwischen den beiden Bildern des zweiten Aktes vor dem geschlossenen Vorhang und steht für die Wandlung der Protagonistin von der „Hure zur Heiligen“. Den Part der Solo-Violine übernimmt der langjährige Konzertmeister des BRSO Radoslaw Szulc. Es ist schwer zu beschreiben, weshalb die Emotionen und Klänge dieses schönen Stückes nicht bis zum Publikum vordringen. Vielleicht ist der Nachhall von Diana Damraus dramatischem Auftritt zu groß, um ihn mit dem etwas verhaltenen Spiel Szulcs zu füllen.

Es folgen Erik Saties „Gymnopédies“ Nr. 1 und 3 in der Orchesterfassung seines Freundes Claude Debussy, der die ursprüngliche Nummerierung umkehrte und aus Saties erstem Stück die Nr. 3, aus Saties letztem Stück die Nr. 1 machte. Auch das hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Ungeduldig wartet das Publikum auf Damraus zweiten Auftritt. Sie interpretiert nun „Ah je ris de me voir“ aus Charles Gounods Oper Faust, mit der die Metropolitan Opera in New York 1883 eröffnet wurde. Diese sogenannte Juwelen-Arie singt Marguerite, nachdem Méphistophélès und Faust ein Schmuckkästchen vor ihrer Tür abgelegt haben und sie damit erfährt, dass sie einen Verehrer hat. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, welches auch in der Musik deutlich wird. Zunächst ist Marguerite gleichgültig gegenüber dem Geschenk. Als sie allerdings den Schmuck anprobiert und in den Spiegel sieht, wünscht sie sich verzückt, Faust könne sie in dieser Pracht sehen. Diana Damraus schauspielerische Leistung ermöglicht es den Zuhörern jede Wendung im emotionalen Geschehen der Protagonistin an ihrem Gesicht abzulesen. Ein unvergesslicher Auftritt.

Als Zugabe folgt ebenfalls von Gounod die lebensbejahende Walzer-Arie „Je veux vivre“ der Juliette aus Romeo et Juliette. Wunderbare Koloraturen, technische Perfektion und stets ein bezauberndes Lächeln auf den Lippen, so bringt Diana Damrau den Odeonsplatz zum Glühen. Der Blumenstrauß in den Armen, den die Sopranistin umarmt, wiegt und am Ende ins Publikum wirft, aber zuvor noch eine Blume herauspflückt und dem Dirigenten reicht: Das ist das Bild dieses Abends.

Nach der Pause spielt das BRSO Antonín Dvořáks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“, die vom dreijährigen Amerikaaufenthalt des Komponisten inspiriert wurde. Die Stärken der Interpretation liegen vor allem in der Klarheit, mit der die verschiedenen Ebenen der Musik hörbar sind. Jedes Motiv, jeder Kontrapunkt ist deutlich herausgearbeitet, bildet aber trotzdem mit all den anderen Komponenten ein Ganzes. Besonders schön ist, wie die verschiedenen Instrumentengruppen miteinander spielen. Ein Thema, das beispielsweise das Englischhorn im zweiten Satz einführt, übernehmen anschließend die Klarinetten. Dabei scheint die Übergabe fast sichtbar, die Musiker reichen die Melodie so vorsichtig weiter, als wäre sie etwas Zerbrechliches und unendlich wertvoll. Mit so viel musikalischem Feingefühl und der lebendigen Art des Orchesters wird der Zuhörer in diese neue Welt entrückt, und es fällt schwer, mit den klangstarken, fulminanten und wunderbar ausklingenden Schlussakkorden wieder aufzuwachen.

Zu Recht wird nach einer Zugabe verlangt. Das BRSO liefert dem Publikum Antonín Dvořáks Slawischen Tanz Nr. 8, der zu einer Sammlung solcher Tänze gehört, die ursprünglich für Klavier zu vier Händen entstanden war. Als rhythmische Vorlagen dienten dem Komponisten böhmische Tänze, in diesem Fall der Furiant. Mit viel Feuer gestaltet das Orchester diese Zugabe und beendet so einen tollen Konzertabend an einem lauen Sommerabend auf dem Münchner Odeonsplatz.

Shari Berner, 14. Juli 2018,
für Klassik-begeistert.de

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