Symphoniker Hamburg, Malofeev, Cambreling © Daniel_Dittus
ELLIOTT CARTER (1908–2012)
Three Illusions for Orchestra
Micomicón Fons Juventatis More’s Utopia
CAMILLE SAINT-SAËNS (1835–1921)
Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22
Andante sostenuto | Allegro scherzando | Presto
ANTONÍN DVOŘÁK (1841–1904)
Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88
Allegro con brio Adagio Allegretto grazioso Allegro ma non troppo
Sylvain Cambreling, Dirigent
Alexander Malofeev, Klavier
Laeiszhalle, 10. November 2024
von Harald Nicolas Stazol
Gerade noch ging ein schockiert-halblauter Angstseufzer über die gesamte Laeiszhalle, den Intendanten oben links im Rang trifft bestimmt fast der Schlag – fällt doch die Harfe nach dem ersten Programmpunkt beim Abtransport von der Bühne fast um –, da muss man schon Angst um den Steinway haben, denn da sitzt nun dieses Hände und zuweilen Arme nach hinten reißende Wunderkind, hier ist das Wort mal richtig-definitiv passend, das gerade das unfassbar schwierige 2. Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns derart hindonnert, dass man nur in seinem Gottesglauben bestärkt sein kann, denn wo solches Talent waltet, lebt man mit Leibnitz der besten aller Welten: „Nicht der derzeitige Zustand der Welt ist der bestmögliche, sondern die Welt mit ihrem Entwicklungspotential ist die beste aller möglichen Welten.“
Entwicklungspotential? Na, wenn das nicht mal noch mal gegeben ist, bei dem kleinjungblonden Frühmeister des Klaviers: Alexander Malofeev, 23, und ich fühle mich, als lauschte ich dem jungen Horowitz, er ja auch aus der russischen Schule, aber first things first!
Denn nun kann man das Jahrhundertwerk eines Hundertjährigen genießen, in der Sicherheit, es wohl live nie wieder zu hören, die 3 Sätze zu je dreieinhalb Minuten, alle voller Lautmalereien, wie Maestro Cambreling uns in einer kleinen Rede erklärt, „Bleiben Sie ruhig und geduldig“, denn dieser Mann, Elliott Carter (1908-2012), hat ein Jahrhundert hingehört und komponiert, und ja wirklich, was sich da mythisch-mystisch auftut zu drei Stories, ist wirklich beachtlich!
Und im Anschluss der junge Pianist, der Virtuose, der große, übergroße Künstler, „so höflich und bescheiden“ heißt es aus der Direktion, doch in diesem Falle wäre sogar ein wenig Arroganz erlaubt – denn SO wird man den Saint-Saëns, der nun endlich Sinn macht, fährt Malofeev doch ganz eigene Tempi, und ist manchmal so schnell, dass er den Symphonikern Hamburg zweimal ausbüxt, was Cambreling (wie immer hochroten Kopfes) ganz schnell ausgleicht, aber der Twen an den Tasten lässt sich nicht zähmen! Liebevollst dann ein kurzer Händel als Zugabe, da stehen schon einige, und dann die Toccata Nummer 11, wieder reißt er die Arme nach hinten vor lauter Verve und Hingabe, kein Wunder bei dem überrasanten Werk!
Pause. Meine Begleitung, ein russisches, entzückendes Pärchen, fragt treulich-unwissend, „schüttelt der Dirigent immer die Hände des Konzertmeisters“, und ich erinnere mich an den zarten Händedruck eben des ersten, ersten Geigers, Adrian Iliescu, beim Empfang vor zwei Wochen, und den beinahe zärtlichen des Sylvain Cambreling.
Der allerdings so gewaltig sein kann, denn nun folgt Dvořák, seine 8., die als perfekt gespielt zu bezeichnen ich mich anschicken darf?
Ein wunderbar-eindrucksvoller Abend, oder, in den Worten der jungen Russen im Jugendjargon unserer Zeit: „Der Abend war Bombe!!!“
Wie kann man da anderer Meinung sein?
Harald Nicolas Stazol, 13. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at