Foto: Abonnementkonzert IV (c) Stephan Rabold
Der mit der Staatskapelle bestens vertraute Thomas Guggeis präsentiert mit Strawinskys Bläsersinfonie, Richard Strauss‘ Metamorphosen und Alexander Zemlinskys Lyrischer Symphonie einen herausfordernden Abend. Guggeis und Staatskapelle machen das Konzert zu einem spannenden und intellektuellen Erlebnis.
Igor Strawinsky
Bläsersinfonien (1947)
Richard Strauss
Metamorphosen – Studie für 23 Streicher (1945)
Alexander Zemlinsky
Lyrische Symphonie in Sieben Gesängen nach Gedichten von Rabindranath Tagore (1922)
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Sopran: Julia Kleiter
Bariton: Simon Keenlyside
Staatsoper Unter den Linden, 16. Dezember 2024
von Arthur Bertelsmann
Ausgerechnet die Staatsoper Unter den Linden, das traditionsreichste Opernhaus, bietet in ihrem vierten Abonnementkonzert das wohl avantgardistischte Vorweihnachtsprogramm in ganz Berlin.
Die Bläsersinfonien von Strawinsky, die Metamorphosen von Richard Strauss, sowie die Lyrische Sinfonie von Alexander Zemlinsky werden gespielt. Kassenschlager sind das nun wirklich nicht, und so ist – obgleich direkt vor dem Haus durch den Weihnachtsmarkt reger Betrieb herrscht – die Aufführung eher mäßig besucht.
Musikalisch kann man trotz des herausfordernden Programms im Vorfeld ausgezeichnetes erwarten. Der exzellente Ruf der Staatskapelle ist unbestritten und mit Thomas Guggeis – seit dieser Spielzeit GMD der Frankfurter Oper – hat das Orchester eine gute Beziehung, seit knapp zehn Jahren arbeitet der Dirigent mit der Staatskapelle zusammen, erst als Assistent von Barenboim, dann auch selbst am Pult, von 2020 bis 2023 war Guggeis Kapellmeister des Orchesters.
Zu Beginn des Konzertes ein ungewöhnlicher Anblick: Der gesamte vordere Teil der Bühne ist leer, Strawinskys Stück sieht nur 23 Bläser vor, wodurch das Orchester zunächst Abstand zum Publikum hält. Noch merkwürdiger als die Optik ist allerdings die Bläsersinfonie: Ein musikalisch extrem schwer zugängliches Stück, harmonische Entwicklung und eingängige Melodien sind kaum vorhanden, zarte Flöten wechseln sich mit dröhnenden Hörnern ab.
Allerdings sorgt Guggeis trotzdem dafür, dass man das Musikalische in diesem Werk zumindest erahnen kann. Verspielt und fröhlich lässt der Dirigent Flöten und Klarinetten spielen, nimmt die Hörner eher zurück und arbeitet durch klare und abrupte Kontraste die einzelnen Motive des Werkes heraus.
Mit den Metamorphosen von Strauss verändert sich das Orchester, statt 23 Bläser nun 23 Streicher, jetzt auf dem vorderen Teil der Bühne. Auch musikalisch trennen die beiden Stücke Welten. Verspieltheit und Klangexperimente findet man in der Studie für 23 Solostreicher nicht mehr.
Als 1945 die Metamorphosen entstanden, der Komponist in verzweifelter Stimmung: „Mein schönes Dresden — Weimar — München, alles dahin“ schrieb Strauss an seinen Librettisten Joseph Gregor. Diese Verzweiflung wird an diesem Abend erstaunlich interpretiert, es ist keine hereinsteigernde Verzweiflung, sondern ein trauriges, ja depressives Brüten.
Guggeis Tempi sind langsam und gemessen, das Orchester spielt verhalten und ruhig. Mit Sicherheit ist das hochintelligent umgesetzt und passt hervorragend zur damaligen – und heutigen – Zeit, ist jedoch leider nicht bewegend, das halbstündige Werk fühlt sich eher nach einer Dreiviertelstunde an.
Dass die eigentlich hochspannende Generalpause kurz vor dem Ende vom Publikum zwar interessiert jedoch nicht atemlos wahrgenommen wird, zeigt exemplarisch die Schwierigkeit von Guggeis Dirigat.
Im zweiten Teil des Konzerts ist das Orchester nun komplett, Zemlinskys 1924 uraufgeführte Lyrische Sinfonie hatte Mahlers Lied von der Erde als Vorbild, sodass vor dem Orchester nun auch noch die deutsche Sopranistin Julia Kleiter und der britische Bariton Simon Keenlyside auf die Bühne kommen. Ebenso wie das Lied von der Erde, fetischisiert der Gesang bei Zemlinsky das Exotische, nur verwendet Zemlinsky nicht wie Mahler nachgedichtete japanische Lyrik aus deutscher Feder, sondern bedient sich direkt beim indischen Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore. Im Wechsel gestehen sich zwei Adlige ihre Liebe, um zum Schluss der Sinfonie sich aus unklaren Gründen wieder zu trennen. Musikalisch wird das hochkomplex untermalt.
Zemlinskys Partitur ist mal exotisch schwül und mal minimalistisch wie Kammermusik, die sechs Strophen gehen zwar ineinander über, finden jedoch mit so abrupten Tempiwechsel statt, dass man regelmäßig erschrickt.
Vom Grübeln aus den Metamorphosen fehlt bei der Staatskapelle jetzt jede Spur. Kontrolliert peitscht Guggeis durch die Partitur, lässt Schlagzeug krachen und Hörner schmettern, achtet jedoch immer darauf, dass die Sänger nicht vom Orchester weggeblasen werden.
Ein Glück, denn beide Sänger leisten Großartiges: Keenlyside singt einen zutiefst leidenschaftlichen und romantischen Prinzen. Kleiter eine gefühlskalte, dekadente Prinzessin, der man den schwelgerischen Text (z.B.: „Mein blauer Mantel wird dich umschmiegen wie Nacht.“) zu keiner Zeit abnimmt.
Der vom Dichter Tagore unklar gelassene Grund für den Zusammenbruch der Liebe erschließt sich durch diese Interpretation überdeutlich. Deutlich ist dann auch der Applaus, der nicht Ekstase aber doch große Begeisterung zeigt.
Arthur Bertelsmann, 18.12.2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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