Die ungetreue Zerbinetta hat einen fünften Liebhaber

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos  Wiener Staatsoper, 28. Jänner 2025

Kate Lindsey, Sara Blanch © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Geschickt spielt Sven-Eric Bechtolf in seiner Wiener Inszenierung der „Ariadne auf Naxos“ mit Illusion und Realität. Am Ende wird freilich klar: real ist nur die Musik, die heilige unter den Künsten, die von der Bühne und aus dem Orchestergraben strömt. Und die ist wirklich wunderbar.

Richard Strauss
Ariadne auf Naxos

Oper in einem Akt nebst einem Vorspiel

Musikalische Leitung: Cornelius Meister

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Bühne: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Jürgen Hoffmann

Wiener Staatsoper, 28. Jänner 2025

von Dr. Rudi Frühwirth

Eine Bühne auf der Bühne, eine Oper in der Oper, das war für den Regisseur Sven-Eric Bechtolf die ideale Gelegenheit, uns mit einem raffinierten Spiel von Illusion und Wirklichkeit zu verwirren und zu amüsieren.
Im Bühnenbild von Rolf Glittenberg ist auch der Zuschauerraum im Palais des reichsten Mannes von Wien sichtbar. Die Zuschauer, wie die Darsteller eingekleidet von Marianne Glittenberg, geben sich am Anfang gelangweilt, werden aber dann von der Oper immer mehr gefesselt. Die hinreißende, gegen Ende hymnisch anschwellende Musik lässt sie – und uns! – vergessen, dass die Vereinigung von Ariadne und Bacchus eine Illusion ist, die alsbald durch den respektlosen Abgang der beiden Protagonisten zerstört wird.

Die wahre Liebe wird uns in der seligen Umarmung des Komponisten mit Zerbinetta vor Augen geführt, die allerdings ebenfalls in der fiktiven Bühne auf der Bühne der Staatsoper stattfindet und damit der Realität zweifach entzogen ist.

Was also war real an diesem Abend? Die Musik, die heilige unter den Künsten, wie sie der Komponist im Vorspiel so wunderbar schön definiert. Cornelius Meister am Pult animierte das Orchester der Staatsoper zu einer spritzigen und inspirierten, am Ende mächtig aufblühenden Leistung. Die durchsichtige Textur des Orchestersatzes fordert von allen Orchestermitgliedern höchste Präzision, die auch fast durchwegs erreicht wurde.

Die Sängerinnen und Sänger haben es in der „Ariadne“ deutlich leichter als in den vorhergehenden Opern des Meisters mit ihrer massiven Instrumentation. Im Vorspiel ist die tragende Rolle der Komponist.
Kate Lindsey gestaltete ihn intensiv; die Darstellung seines inneren Zwiespalts geriet allerdings etwas zu hektisch. Darunter litt wohl auch die Stimme ein wenig; stellenweise war sie recht scharf mit zuviel Vibrato.

Dem Komponisten zur Seite stand Adrian Eröd als Musiklehrer, stimmlich wieder voll auf der Höhe, nachdem er zuletzt im „Tempest“ etwas geschwächelt hatte. Seine Darstellung war der notwendige Gegenpol zu Lindsey, besonnen, klug und tolerant gegenüber menschlichen Schwächen.

Thomas Ebenstein gab wieder seinen köstlichen Tanzlehrer. Bernhard Schir war sprachlich perfekt, ließ gewähltes Hochdeutsch mit leicht wienerischem Akzent vernehmen und verlieh seiner Rolle als Haushofmeister die nötige Überheblichkeit.

Dass der Komponist sich Hals über Kopf in Zerbinetta verliebt und damit die anschließende Oper erst möglich macht, verwundert angesichts der reizenden Sara Blanch überhaupt nicht. Im Vorspiel wickelt sie den Komponisten kokett um den Finger, in der Oper hat sie dann ihren großen Auftritt mit ihrer Rede an die „Großmächtige Prinzessin“. Blanch meisterte die mit allen denkbaren Schwierigkeiten gespickte Arie bravourös; höchst amüsant war die Passage, in der der Komponist die Zerbinetta die abenteuerlichsten Koloraturen quasi vom Blatt singen lässt.

Mühelos dirigiert Zerbinetta ihre vier lustigen Partner, von denen Harlekin, verkörpert von Jusung Gabriel Park, schließlich das Werben gewinnt. Aber nur scheinbar – der eigentliche von Zerbinetta Auserkorene, der fünfte Liebhaber, ist der Komponist, der für sein Werk am Ende mit einer langen Umarmung belohnt wird.

Sara Blanch, Daniel Jenz, Simonas Strazdas, Andrea Giovannini, Jusung Gabriel Park © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Nun endlich zu den beiden Protagonisten der Oper in der Oper!
Lise Davidsen ist als Ariadne eine königliche Erscheinung mit ebenso gewaltiger Stimme. Zwar klangen zunächst einige Spitzentöne gar sehr nach Brünnhilde, aber bald zeigte sie, dass sie auch im Piano meisterhaft ansetzen und phrasieren kann. Ergreifend gestaltete sie ihre Verzweiflung und ihren Überdruss, ebenso das Bangen vor und das Staunen nach der Verwandlung, das neue Leben anstatt des sehnlich erwarteten Todes.

Michael Spyres als Bacchus war Davidsen ein in jeder Hinsicht ebenbürtiger Partner. Ohne jede hörbare Anstrengung meisterte er die hochliegende Partie sicher und klangschön. Den hymnischen Aufschwung „Und eher sterben die ewigen Sterne“ am Ende der Oper habe ich selten so eindrucksvoll und bar jeder Erdenschwere gehört. Darstellerisch ist die Rolle undankbar – außer großen Gesten, die ihn als jungen Gott ausweisen sollen, ist dem Regisseur (oder dem Sänger?) nicht viel eingefallen.

Lise Davidsen, Michael Spyres © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Es bleibt noch das Trio Najade/Dryade/Echo zu erwähnen, das diesmal – anders als in so manchen vergangenen Vorstellungen – sehr angenehm anzuhören war. Offensichtlich war „Ariadne“ bei der Wiederaufnahme sowohl szenisch wie auch musikalisch gründlich geprobt worden.

Das Publikum spendete stürmischen Beifall, verstärkt durch laute Bravorufe für Davidsen, Blanch, Spyres und den Dirigenten.

Dr. Rudi Frühwirth, 29. Jänner 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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