Jérémie Rhorer © Angelo Cricchi
Besser, empfindsamer, nachdrücklicher hätte man Tschaikowskys letztes Opus kaum präsentieren können. Erfreulich, dass auch nach tosendem Beifall dieser tiefe Eindruck nicht durch eine wie auch immer geartete Zugabe gemindert wird.
„Best of Tschaikowsky“
Peter Iljitsch Tschaikowsky:
Violinkonzert D-Dur op. 35
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“
Bomsori Violine
Jérémie Rhorer Dirigent
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Bremer Konzerthaus Die Glocke, 11. Februar 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Der orchestrale Einstieg erfolgt überaus behutsam, fast wie nur getupft. Aber die Steigerung zu theatralem Bombast lässt nicht lange auf sich warten. Unmittelbar darauf fällt alles in sich zusammen, dann klinkt sich die Solistin mit energischem Strich und kraftvoll kernigem Ton ein. Schon die wenigen ersten Takte lassen erahnen, dass es bei diesem Tschaikowsky-Best-of ungemein bewegt zur Sache gehen wird.
Und die Erwartungen werden nicht enttäuscht. Geigerin Bomsori hat offensichtlich klare Vorstellungen für ihre Interpretation des Violinkonzerts. Ihre stupende Technik, ihre agile Bogenführung, ihre prägnante Tongebung, die niemals auch nur die Andeutung eines eben nur Dahingehuschten aufkommen lässt, sind phänomenal. Sie scheut weder sportlich straffe noch sehr zurückgenommene Tempi, nutzt vielmehr entsprechende Änderung als Mittel für eine auf ausgeprägte Emotionalität setzende Ausführung.
Das funktioniert nur mit einem Spitzenorchester wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, die unter dem umsichtigen Dirigat von Jérémie Rhorer jede noch so kleine Nuance derart exakt mitmacht, als wäre sie direkt angedockt an die Solistin. Dass zudem die Balance in jeder Hinsicht optimal ist, das Orchester sich auch jeder variierten Dynamik der Solistin gleichermaßen anzupassen weiß, ist ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Die Kadenz gestaltet Bomsori als spannend erzählte Geschichte, dass die Zuhörer mucksmäuschenstill wie gebannt lauschen angesichts dieser packenden Performance.
Messerscharfe Konturen und Wahnsinnstempo
Einigermaßen kraftvoll startet der Mittelsatz. Die melancholische Note steuert vor allem die Solovioline bei: Sie präsentiert die Canzonetta mit zumeist gemütvollem, angenehm sanglichem Ausdruck, bisweilen so als sei sie in träumerischen Gedanken versunken, ein bisschen weltentrückt in stillem Mit-sich-Einssein. Doch in dieses genussvolle Schwelgen hinein donnert der attacca anschließende Allegro-Schlusssatz, geprägt von messerscharfen Konturen und harten Akzenten, energisch pulsierend in einem Wahnsinnstempo, das noch weiter angezogen wird. Finger und Bogen der Solistin wirbeln wie entfesselt über das Instrument, jede neue Attacke nach gelegentlich kurzem Atemholen gerät noch eine Spur turbulenter bis hin zum schwerlich noch steigerungsfähigen finalen Prestolauf mit donnerndem Schluss-Rumms.
Frenetischer Jubel folgt; die sympathische Geigerin bedankt sich mit einem reizvollen, mit diversen spieltechnischen Raffinessen gespickten Stück für Solovioline, der feinfühlig dargebotenen „Kaprys Polski“ der polnischen Komponistin Grażyna Bacewicz.
Die im Violinkonzert nachhaltig vermittelte Intensität und die starken Kontraste an Emotionalität und Expressivität können Rhorer und das Orchester bei Tschaikowskys letzter Sinfonie „Pathétique“ noch um einige Grade steigern. Largo-langsam ertönen die ersten Takte, die Wiederholung mutet an wie ein allmähliches Erwachen, wird griffiger, schneller, nervöser. Das sangliche Seitenthema schließt sich anrührend und weit ausgreifend an. Rhorer wahrt die Zielsetzung, bremst den Fluss aber immer wieder etwas aus mit kurzen Stopps und nuanciertem dynamischem Auf und Ab.
Der heftige, alles erschütternde Donnerschlag kommt wie aus dem Nichts, wird zur Eröffnung eines Weltuntergangsszenarios mit martialischem Getöse, das sich erst ganz allmählich erschöpft. Geradezu lieblich und wie befreiend mutet das kontrastierende Schicksalsmotiv an; die sich anschließenden hymnischen Bläserakkorde samt unterlegtem Streicher-Pizzikato werden zum leisen finalen Säuseln.
Der wenig aufregende, gemütvoll schwingende 2. Satz sorgt mit eleganter Opernball-Atmosphäre für einige Minuten der Entspannung.
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Ungewitter, Hexentanz und ergreifendes Lamentoso
Flirrend spritzig, dabei stringent tackernd und drängend lässt Rhorer den scherzo-ähnlichen 3. Satz angehen. Immer neue, von schier unerschöpflicher Energie befeuerte Impulse treiben ihn unerbittlich nach vorn, bis er zum tosenden Ungewitter, zum fesselnd turbulenten Hexentanz kulminiert. Rhorer fordert mehr, mehr, mehr. Und das Orchester geht wie berauscht bis ans Limit bei diesem vermeintlichen, überaus packenden Rausschmeißer-Finale, das glücklicherweise nur von ganz wenigen Zuhörern kurz beklatscht wird, so dass der extreme Kontrast zum nachfolgenden Adagio-lamentoso-Satz weitestgehend erhalten bleibt.
Wie ein ergreifendes, von seelischen Qualen gezeichnetes Requiem-Miserere gehen die mit maximaler Ausdrucksintensität ausgeführten Motive unter die Haut, werden zur großflächigen, von tiefer Resignation durchdrungenen Melodie, die, von Rhorer vorsichtig segmentiert, allmählich an einen verzweifelten Klageruf erinnert. Noch einmal ein heftiges Aufbegehren, anschließend, nach einer Generalpause, ein zutiefst trister Hymnus der Bläser als Abgesang, pianissimo gründelnde Bässe bis hin zum perfekt inszenierten Morendo al niente. Dann absolute Stille im Saal.
Besser, empfindsamer, nachdrücklicher hätte man Tschaikowskys letztes Opus kaum präsentieren können. Erfreulich, dass auch nach tosendem Beifall dieser tiefe Eindruck nicht durch eine wie auch immer geartete Zugabe gemindert wird.
Dr. Gerd Klingeberg, 12. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Carl Orff, Carmina Burana Bremer Konzerthaus Die Glocke, 26. Januar 2025
1. Abonnement-Konzert, Rachmaninoffs Geniestreich Bremer Konzerthaus Die Glocke, 24. Januar 2025
4. Philharmonisches Konzert : Gala für Götter Bremer Konzerthaus Die Glocke, 16. Dezember 2024