Herbert hört hin 4: Das West-Eastern Divan Orchestra spielt für eine bessere Welt

HHH 4: West-Eastern Divan Orchestra, Zubin Mehta Dirigent  Wiener Konzerthaus, 8. März 2025

Zubin Mehta © Monika Rittershaus

West-Eastern Divan Orchestra
Dirigent: Zubin Mehta

Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 6 in F-Dur op. 68 „Pastorale“

Franz Schubert
Symphonie Nr. 8 in C-Dur D944 „Große C-Dur Symphonie“

Wiener Konzerthaus, 8. März 2025

von Herbert Hiess

Das Samstags-Konzert im Wiener Konzerthaus hat so viele Facetten, dass ein Kommentar diesen besonderen Abend besser widerspiegelt  als ein „konventioneller“ Review.

Warum?

Es dirigierte ein bald 87-jähriger Dirigent mit jugendlicher Frische

Es spielte das erste Mal im Konzerthaus das „Divan Orchester“, das beweist, dass es zumindest in der Musik keine herkunftsmäßigen Unterschiede gibt und

Es mit außergewöhnlichen Damen und Herren im Orchester ein ur-österreichisches Programm aufs Beste hören ließ.

Über Zubin Mehta viel erzählen zu wollen, bedeutet Eulen nach Athen zu tragen; der Dirigent studierte in Wien (gleichzeitig mit Claudio Abbado) bei Hans Swarowsky und war offenbar einer seiner begabtesten Schüler. Er spielte auch Kontrabass unter anderem beim Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester.

Mir schien sein Dirigat gelegentlich als oberflächlich; seine Interpretationen waren immer glasklar und sauber – aber niemals tiefgründig. Er wurde auch sehr gern als „Event-Dirigent“ eingesetzt; nicht zuletzt auch bei einigen Auftritten mit den drei Tenören.

Nun hat sich das Blatt gewendet – seit kurzer Zeit ließ er plötzlich mit tiefgründigen und zu Herz gehenden Aufführungen aufhorchen.

So auch das gestrige Konzert mit dem exzellenten West-Eastern Divan Orchestra, das maßgeblich von Daniel Barenboim gegründet wurde, dem die politische Situation der Region offenbar ein Herzensanliegen ist. Und
in Zeiten wie diesen, wo das „Friedensprojekt“ Europa beginnt, sich in eine Militärmaschinerie einspannen zu lassen, ist ein Zeichen des friedlichen Miteinanders zu setzen noch viel wichtiger.

Man sagt oft spaßeshalber, dass Beethoven und Brahms Österreicher waren; was ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt betrifft, stimmt das auffällig.

Die gestern gehörte „Pastorale“ wurde in Wien geschrieben und 1808 im Theater an der Wien uraufgeführt – Beethoven wurde da nicht zuletzt von Döbling in Wien (19. Gemeindebezirk) inspiriert.

Wenn Sie einmal Wien besuchen, fahren Sie mit der Straßenbahn Linie D nach Nussdorf; dort befindet sich der berühmte „Beethovengang“ am sogenannten Schreiberbach. Dieser inspirierte den Komponisten vor allem für den zweiten Satz „Szene am Bach“. Obwohl der Bach eher mehr ein Rinnsal denn ein richtiges Gewässer ist, kann man sich ungefähr vorstellen, was für ein Szenario der Komponist hier um sich hatte. Übrigens befindet sich in Döbling auch Heiligenstadt, wo Beethoven 1802 mit seinem Brief an die Brüder sich über seine Hörprobleme beklagte („Heiligenstädter Testament“).

Daniel Barenboim, der 1999 Mitbegründer des West-Eastern Divan Orchestra war, ist diese Friedensmission der jüdisch-arabischen Musiker ein Herzensanliegen. Aufgrund seiner Persönlichkeit wurde das Orchester eine fixe Institution im (europäischen) Kulturleben. Da Barenboim durch seine Parkinson-Erkrankung eingeschränkt ist, hat jetzt Zubin Mehta, zumindest für die Frühjahrstour 2025, die künstlerische Leitung übernommen.

Und nach diesem Konzert kann man sagen, dass es ein voller Erfolg wurde.

Zubin Mehta führt das großartige Orchester mit flüssigen Tempi durch die „Pastorale“; vielleicht manchmal sogar etwas zu flüssig. Zeitweise hätte man sich eine Art Innehalten gewünscht. Schon bei dem ländlichen Meisterwerk konnte das Orchester in allen Instrumentengruppen brillieren – die Holzbläser waren eine Klasse für sich. Da überhörte man gerne die Irritation über den leicht verspäteten Horneinsatz beim Übergang zum Finale. Dem Paukisten hätte man hier mehr Mut gewünscht; das berühmte Gewitter war hier nicht mehr wie ein Wetterleuchten. Zum Vergleich könnte man sich das Video unter Leonard Bernstein anschauen, wo Franz Broschek eindrucksvoll erklingen ließ, was man unter Gewitter versteht.

Nach der Pause kam Schuberts „Große C-Dur“Symphonie zum Erklingen; hier war die Orchesteraufstellung so, dass die Holzbläser direkt vor dem Dirigentenpult aufgebaut waren; die Hörner dann hinter den Fagotten.

Das war insofern ein Clou, dass die Holzbläser damit viel präsenter erklangen und nicht wie so oft durch die Streichermassen erdrückt werden. Auch der Paukist zeigte dann plötzlich ab dem ersten Satz, dass es auch anders geht.

Mit höchstmöglicher Transparenz, Verve und Dynamik führte Zubin Mehta das spezielle Orchester durch die Ur-Österreichische Komposition.

Ein Dank an das großartige Orchester für seinen Auftritt, der schon allein durch die Friedensmission zur Nachahmung einladet. Bleibt nur zu hoffen, dass bald einige der europäischen Spitzenpolitiker rechtzeitig zur Besinnung kommen, bevor sie sich in abstruse Kriegswirren involvieren lassen!

Herbert Hiess, 9. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Herbert hört hin 3 klassik-begeistert.de, 16. Februar 2025, Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien

Herbert hört hin 2 klassik-begeistert.de, 30. Jänner 2025

KW Herbert hört 1 klassik-begeistert.de, 6. Januar 2025

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