Skandinavisches Gipfeltreffen in Baden-Baden

Berliner Philharmoniker, Klaus Mäkelä, Leif Ove Andsnes  Festspielhaus Baden-Baden, 19. April 2025

Alpensinfonie / Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Leif Ove Andsnes brilliert in Rachmaninows drittem Klavierkonzert, Klaus Mäkelä dirigiert Strauss’ Alpensinfonie

Sergej Rachmaninow (1873-1943) – Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll op. 30
Richard Strauss (1864-1949) – Eine Alpensinfonie op. 64

Leif Ove Andsnes, Klavier
Berliner Philharmoniker
Klaus Mäkelä, Dirigent

Festspielhaus Baden-Baden,  19. April 2025

von Brian Cooper, Bonn

„Kinder gehören in die Suppe und nicht ins Ruheabteil!“, erwidert eine liebe Freundin, als ich ihr auf der Hinfahrt nach Baden-Baden meinen Frust darlege. Wir teilen einen makaber-misanthropischen Humor, den nicht alle goutieren. Als zweifache Mutter ist sie über jeden Zweifel erhaben: Sie gibt ihren Kindern Regeln mit auf den Weg und erklärt ihnen liebevoll, dass es gewisse Dinge gibt, die man im öffentlichen Raum nicht tut. Das wünschte man sich von anderen Eltern auch: Das Familienabteil ist nämlich kaum zur Hälfte besetzt, trotzdem ist das Ruheabteil mit lauten Menschen bevölkert, groß und klein. Gute Ideen, liebe DB, schlecht umgesetzt. Aber man würde ja eh nur angepöbelt oder gar geschlagen, wiese man Menschen auf ihr Fehlverhalten hin. Insofern ist die Passivität der DB-Leute im Zug nachvollziehbar.

Stille ist ein Luxus geworden. Und von der Stille leben Beginn und Ende der Alpensinfonie des Richard Strauss. Das war bei den Osterfestspielen in Baden-Baden mit viel Gänsehaut zu erleben. Und das Publikum macht mit. Mein Begleiter erklärt, dass es ein besseres, da disziplinierteres, sei als in Köln. So ist es. Es gibt sogar eine Ansage vorweg, in der unter Anderem gesagt wird, dass Handynutzung während der Aufführung auch die Sitznachbarn stört. Warum gibt es das nicht anderswo? In Köln zum Beispiel, wo vor dem Konzert nichts zu hören ist?

Alpensinfonie / Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Klaus Mäkelä, dessen Debüt bei den Berliner Philharmonikern vor zwei Jahren auch von den üblichen besserwisserischen Stimmen begleitet wurde, dirigierte die Berliner in Baden-Baden. Die Chemie zwischen Dirigent und Orchester habe damals so gar nicht gestimmt, so die Besserwisser. Nun, offenbar war sein Debüt so katastrophal, dass er wieder eingeladen wurde und gleich noch den Ritterschlag Osterfestspiele mitnahm. Ich lasse das mal so stehen. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

Es sind nach dreizehn schönen Jahren die letzten Osterfestspiele mit den Berlinern, die wieder nach Salzburg abwandern.

Alpensinfonie / Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Der Beginn der klanggewaltigen sinfonischen Dichtung kommt, wie gesagt, aus der Stille, und es waren irre Klangfarben, die ins Festspielhaus gezaubert wurden. So gut habe ich das Werk nur von Semyon Bychkov in Amsterdam und von Christian Thielemann in Frankfurt gehört. Die Rheingold-Wellen in den Kontrabässen, die geradezu gläserne Grundierung der ersten Violinen (Konzertmeister: Noah Bendix-Balgley), das pianissimo-Blech: All das ließ von Anbeginn merken, dass es sich um eine Sternstunde handeln würde.

Und die wurde es auch. Man vergaß den Präsidenten der Reichsmusikkammer. Es flirrte, es kamen Stellen mit Rosenkavalier-Charme zum Vorschein, und die gesamte Aufführung, inklusive Sonnenaufgang mit unfassbar schönem A-Dur-Strahlen, bewies, dass Strauss’ Musik eben nicht nur deutsch-schwitzende Knödel-Schnitzel-Schwere, sondern auch subtil sein kann – und obendrein fabelhaft orchestriert ist.

Genau das hörte man hier. Eine Transparenz in der Partitur wie nur selten. Zuweilen sorgten Mahler’sche Herdenglocken für Idylle und Pastorales, Harfen und Celesta für ein Soufflé der Leichtigkeit, und das Holz in Bestbesetzung malte vor dem genial-plastischen Gewitter Bilder: Da verziehen sich die Tiere ob des dräuenden Sturms, zu dem nicht nur Paukist Vincent Vogel mit unglaublicher Musikalität beitrug. Das war wie eine Naturgewalt. Weltklasse. Für so etwas reist man weit, lässt auch im lärmenden Ruheabteil alles über sich ergehen.

Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Zuvor meisterte der norwegische Meisterpianist Leif Ove Andsnes die haarsträubend schwere Partie des 3. Klavierkonzerts von Sergei Rachmaninow. Er ist ein Pianist, der alles kann, sitzt aufrecht am Flügel, stoisch, nichts kann ihn umhauen, auch nicht das leicht unpräzise Zusammenspiel mit dem Orchester im ersten Satz. Halten wir fest, dass es sich bei den Berlinern um eines der drei bis fünf besten Orchester der Welt handelt. Das bewiesen sie in der Alpensinfonie. Bei Rachmaninow war es „nur“ ein Spitzenorchester aus Europa.

Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Andsnes zeichnet stets klare Linien, und das in einer Partitur, die nicht immer leicht durchzuhören ist. Es gibt im Orchester herrliche Passagen, Celli und Bratschen im Kopfsatz cremig-gedämpft. Andsnes’ Kadenz erklingt wie aus dem Ärmel geschüttelt, er scheint nicht einmal ins Schwitzen zu kommen ob der Schwierigkeiten, verzichtet gänzlich auf jegliches Poltern. Im langsamen Satz genießt man die schwelgerischen Passagen, mir geht das englische Wort „wistful“ durch den Kopf. Tänzerische Stellen klingen grandios. Im dritten Satz denke ich an Horowitz und Ormandy mit dem New York Philharmonic, die die Zügel loslassen, und es geht gut. Vielleicht ist das die Aufnahme des Werks schlechthin. Live! In Baden-Baden ist es auch ein berauschendes Finale, wenngleich die Zügel von Mäkelä stramm gehalten werden.

Berliner Philharmoniker, Andsnes, Mäkelä © Monika Rittershaus

Dennoch war diese Darbietung ein skandinavisches Gipfeltreffen mit norwegischem Solisten und finnischem Dirigenten. Wir werden die Berliner vermissen, aber das Concertgebouworkest wird die großen Fußstapfen mühelos füllen. Wie sagte Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa? „Wir tauschen nur die Goldbarren.“

Dr. Brian Cooper, 20. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begistert.at

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