Klein beleuchtet kurz 54: Double Whopper für Klassikliebhaber – Mäkelä rockt die Elphi an zwei großen Abenden

Klein beleuchtet kurz 54: Klaus Mäkelä rockt die Elphi  Elbphilharmonie, 2. April 2025

Seung-Won Oh, Klaus Mäkelä, Royal Concertgebouw Orchestra; Foto Patrik Klein

Er ist jung, erfolgreich wie kein anderer seiner Generation – Klaus Mäkelä übernimmt ab 2027 das Royal Concertgebouw Orchestra, eines der besten Klangkörper der Welt – eine Liebe auf den ersten Blick zwischen ihm und dem Orchester? Ja, darf man konstatieren – an zwei Abenden schenkt er dem Hamburger Publikum feinste Cocktails der klassischen Musik ein – nur der klassischen? Nein, da geht noch mehr – und wie das geht! – man kriegt den Mund vor Staunen kaum noch zu.

von Patrik Klein

Eröffnet wurde das Doppelkonzert mit einem Stück einer lebenden Komponistin, die auch noch anwesend war und sich nach fünfzehn Minuten vom Jubel des Publikums aus den Weinbergrängen des Hauses mitreißen ließ.

Das Auftragswerk Spiri III der koreanischen Komponistin Seung-Won Oh erlebte als Schlussteil der „Spiri“- Trilogie seine Hamburger Erstaufführung. Themen waren die Auseinandersetzung mit Atem, universeller Energie und der zyklischen Natur des Universums. Zudem griff die Musik auf das anschließende Stück von Sofia Gubaidulina zurück, der es gewidmet war und die vor Kurzem in Hamburg verstarb.

In klangvollen Bildern lauschte man dem Blühen und Verwelken von Blumen als Beginn eines Lebenszyklus, der für Menschen unermesslich und unvollständig erfahrbar ist. Kontrastreich zwischen lebendiger Emsigkeit und Ruhe balancierend, gerieten die Klänge aufregend, auch mal scharf im Wechsel, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehend.

Wie ineinander verschachtelt skalierte dann Sofia Gubaidulinas „Offertorium“, eigentlich für Gidon Kremer Anfang der 1980er Jahre komponiert, als tiefgründige Beschäftigung mit der Transformation von Bachs „Musikalischem Opfer“. Statt Kremer stand das Multitalent aus Litauen Julian Rachlin auf dem Podium, der nicht nur als exzellenter Geiger und Bratschist, sondern auch als großartiger Dirigent anerkannt ist.

Musikalisch war man von der Spiritualität trotz der innovativen Klangfarben, der brillanten Technik des Solisten, der Mikrotonalität und der rhythmischen Vielfalt ergriffen. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass hier mathematisch die Grenzen der Musiksprache ausgelotet wurden, konstruiert und wieder dekonstruiert wurde. Das riesig besetzte Orchester brachte die Kommunikation zwischen sich und dem Solisten, die Momente voller intensiver Lyrik, und auch die Passagen von großer Dissonanz und dramatischer Kraft wirkungsvoll aufs Podium. Trotz oder gerade wegen dieser ungewöhnlichen Hörerlebnisse jubelte das Publikum bereits vor der Pause.

Dann wurde es Klassik aus dem 19. Jahrhundert mit Brahms Freund Robert Schumann, dem Rheinländer, der sich wie viele Zeitgenossen erst spät traute, Sinfonien zu schreiben. Zu groß war der Respekt vor dem Meister, vor Beethoven. Mäkelä gab mir nach meinem Geschmack wie bereits beim Gastspiel mit den Wienern vor einigen Monaten etwas zu viel Gas, Kühle  und Härte. Bei den ungewöhnlichen Satzstrukturen des Werkes mit dem Bruch mit der bisherigen Kompositionsweise, hätte ich mir etwas mehr Feinheit und Finesse gewünscht – aber das wäre Jammern auf extrem hohen Niveau – und die Feinheit gab es dann doch noch reichlich bei der Zugabe von Franz Schubert.

Der zweite Teil der beiden musikalischen Cocktailabende schüttete dann zunächst Atonalität und Zwölftontechnik in die Kelche. Bei Schönberg wurden die Töne aus der Bindung an das Dur-Moll-System befreit, alle zwölf Töne als gleichwertig definiert und eine Art Emanzipation der Dissonanz erzeugt. Die „Verklärte Nacht“, die wohl zu seinen meistgespielten Werken zählt, tauchte die menschliche Psyche in all ihren Facetten in Musik. In dem zu Grunde liegenden Gedicht über ein wandelndes Paar, wirkten Natur und Nacht nicht mehr düster und bedrückend, sondern erschienen nun durch die Liebe der beiden buchstäblich „verklärt“. Mäkelä bewies hier, dass er auch zarte und feinste Nuancen fördern kann. Voller Dichte gelangen die Spannungsbögen, das An- und Abschwellen der Tonfolgen bis hin zur stürmischen Entwicklung und der Auflösung im Happy End.

Klaus Mäkelä und das Royal Concertgebouw Orchestra; Foto Patrik Klein

Alle Wege führten zu Gustav Mahler, den berühmten Komponisten, der einige Jahre in Hamburg verbrachte als eifriger Kapellmeister an der Oper und als emsiger Komponist seiner vielfältigen Werke. In einem emotionalen Ausnahmezustand, er war bis über beide Ohren verliebt, komponiert er seine erste Sinfonie, die er in einem regelrechten Furor innerhalb von wenigen Wochen zu Papier brachte.

Überarbeitet wegen der Erfolglosigkeit dieser seiner neuartigen Musik des Werkes bei der Erstaufführung, gestrichen um den zweiten Satz „Blumine“, zitierte er zwei der „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und eine Passage aus „Die zwei blauen Augen“.

Klaus Mäkelä und sein formidables Weltklasseorchester aus Amsterdam nahmen dann den durstigen Gast an der Bar mit auf eine abwechslungsreiche Reise durch das klanggewaltige und emotionale Spektrum Gustav Mahlers. Naturgesang aus der Ferne, Vogelstimmen, Liedzitate, ländliche Frische und Energie, aber auch lyrische Ruhepunkte, Trauermärsche, Melancholie und Sehnsucht mit einem triumphierenden und strahlenden Ende tauchten die Elbphilharmonie Hamburg in einen Tempel der Glückseligkeit und der überschwänglichen Gefühle.

Eigentlich sollte ein Reigen gut gemixter Cocktails und ein Double Whopper reichlich satt machen; hier aber entstand Lust auf mehr!

Patrik Klein, 2. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Royal Concertgebouw Orchestra

Julian Rachlin, Violine
Dirigent: Klaus Mäkelä

Seung-Won Oh
Spiri III: Sacred Ritual für Orchester

Sofia Gubaidulina
Offertorium / Konzert für Violine und Orchester Nr. 1

Robert Schumann
Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120
Zugabe: Franz Schubert
Entracte III / aus: Rosamunde, Fürstin von Cypern D 797

Arnold Schönberg
Verklärte Nacht op. 4 (Fassung für Streichorchester)

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1 D-Dur

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

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