Thielemann katapultiert den Wiener Lohengrin in den Wagner-Himmel – trotz eines "Regie"-Totalausfalls

Richard Wagner, Lohengrin  Wiener Staatsoper, 4. Mai 2025

Christian Thielemann © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

In Wien meldete sich das Regie-Team um Jossi Wieler wieder einmal mit einem szenischen Totalausfall, diesmal Lohengrin genannt. Dank allesamt atemberaubenden musikalischen Leistungen auf der Bühne wie im Graben wurde der Abend dennoch zu einer Sternstunde der jüngeren Operngeschichte!

RICHARD WAGNER
LOHENGRIN
Romantische Oper in drei Akten

Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito

Wiener Staatsopernchor
Orchester der Wiener Staatsoper (vulgo Wiener Philharmoniker)
Dirigent: Christian Thielemann

Wiener Staatsoper, 4. Mai 2025

von Johannes Karl Fischer

Anscheinend wollte das Regieteam Jossi Wieler/Anna Viebrock/Sergio Morabito mit diesem Wiener Lohengrin nun ihr künstlerisches Insolvenzverfahren abschließen, nachdem sie mit den Berliner Meistersingern vor drei Jahren eine regietechnische „Bankrott-Erklärung“ (wie mein Kollege Peter Sommeregger zurecht feststellte) hinterlegt hatten.
Sorry, aber das war einer der szenisch sinnfreisten und lächerlichsten Operninszenierungen aller Zeiten, die hier als Nachfolge von Andreas Homokis sehr gelungener Vorgängerregie an diesem Haus zu sehen war.

Ein überaus statisches, kaum der Handlung zuzuordnendes Bühnenbild war gefüllt mit fast schon zirkusartigen Regieeinfällen: So taumelte der vom König gerufenen Telramund wie sturzbetrunken über eine die Bühne kreuzende Geländermauer, ehe der Chor in einer wohl recht aufwendigen Wellenchoreografie die stürmischen Weltmeere auf die Bühne bringen wollte…

Bei diesem Lohengrin passierte nicht einmal wirklich was, die Figuren standen weitgehend wie halbkonzertant auf der Bühne herum und rezitierten ihre Monologe. Außerdem hat diese Regie wohl eine Vorliebe für passioniert knutschenden Paare, nach Sachs und Eva traf es dieses Mal Ortrud und Telramund. Nur, bitte, was hat das mit Lohengrin zu tun? Diese Inszenierung gehört in jedem Fall an die Spitze von Roščićs Streichliste!

Die beispiellos sensationellen musikalischen Leistungen fegten allerdings jegliche Regie-Totalausfälle mit Bravour von der Bühne.
Klaus Florian Vogt war als Lohengrin eingesprungen und räumte schon mit der der Eröffnungsarie „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan­­“ den Abend regelrecht ab. Mit reiner, klarer doch kraftvoller Stimme traf er alle Nuancen des lyrischen Wagner-Gesangs, während sein inzwischen heldenhafter Tenor gleich an mehreren Stellen spektakulär im Saal resonierte. Souverän webte er sich in das insgesamt thronende Gesangsensemble ein und ließ die schwebenden Melodien im Quintett im ersten Aufzug mühelos durch den Saal gleiten.

Lohengrin © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Auch Camilla Nylund ließ die endlosen Melodien der Elsa mit brennender Passion durch den Saal schweben. Ihre Darbietung der Elsa brachte die intensiven Emotionen und Gefühle dieser Figur mit kräftigem, doch klaren und mühelosen Sopran auf die Bühne. Die stimmliche Macht ihrer hochdramatischen Stimme ließ sie schon in ihrem Eröffnungsgesang „Einsam in trüben Tagen“ durch den Saal strahlen, ihre Stimme ließ einen die volle Wucht von Elsas Hilflosigkeit und Liebe mitfühlen!

Lohengrin © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Anja Kampes ebenfalls präsenter, selbstbewusster Sopran war mit das fesselndste Highlight des Abends. Die böse Zauberin ist in diesem Werk die Strippenzieherin, übrigens wohl auch wohl der einzig sinngebende Einfall der Regie, welche sie unübersehbar omnipräsent an allen Ecken des Bühnenbilds erscheinen ließ. Jordan Shanahan gelang mit seinem kämpferischen doch stimmlich klaren Friedrich von Telramund ein regelrechter Paukenschlag. Mit souveräner Brillanz brachte seine dunkle Stimme Klage gegen die Elsa und legte die Melodien glasklar wie glanzvoll in den Saal.

Lohengrin © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Viel Euphorie gab es auch für Günther Groissböcks König Heinrich, und das völlig zu Recht: Mit melodischem, doch bärenstarkem Bass beherrschte er mächtig sein Volk. Vor allem im dritten Aufzug war er sehr passioniert unterwegs, stimmlich schien für diese Rolle ziemlich zu brennen. Attila Mokus lieferte eine mindestens solide Leistung als Heerrufer, wenn auch er stimmlich nicht ganz so selbstsicher wirkte wie sein König.

Lohengrin © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Lohengrin wäre nicht Lohengrin ohne eine Reihe an spektakulär komponierten Chornummern. Der Chor der Wiener Staatsoper meisterte diese Aufgabe mit makelloser und souverän kräftiger Präzision. Vor allem im Schlagerchor „In Früh’n versammelt uns der Ruf“ waren die Sängerinnen und Sänger äußerst engagiert unterwegs und füllten das Haus aus Seele mit ihren Stimmen. Das war eine absolute Paradeleistung des Wagner’schen Operngesangs!

An der unangefochtenen Spitze dieses insgesamt sensationellen Wagnerabends stand allerdings das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Christian Thielemann. Sein hochdifferenziertes, umschlingendes Dirigat ließ das Vorspiel in all seinen Facetten aus dem Graben strömen. Sanft legte er dem Gesang einen fein gewobenen Klangteppich zugrunde und spornte den Chor mit links zu kraftvollen Spitzenleistungen an, während er an einigen gesanglosen Stellen die Staatsoper mit tönenden Trompeten akustisch fast in ein Konzerthaus verwandelte. Wagner brauchte keine Symphonien, er hatte ja Thielemanns Lohengrin.

Trotz eines regietechnischen Totalausfalls herrschte im Haus am Ring wieder einmal beispiellose Furorestimmung für eine thronend souveräne musikalische Leistung. Ganze sechs Mal holte der nicht endend wollende Applaus die Solisten noch vor den Vorhang, der Beifall war auch in diesem Ausmaß völlig verdient!

Johannes Karl Fischer, 6. Mai 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 5. Mai 2024

Pathys Stehplatz (48) – Vorspiel zur Wiener „Lohengrin“-Premiere: Thielemann flimmert nur von der Leinwand klassik-begeistert.de, 27. April 2024

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