Jammern hilft: Thielemann hebelt das szenische „Lohengrin"-Desaster aus

Richard Wagner, Lohengrin  Wiener Staatsoper, 5. Mai 2024

Christian Thielemann: © Matthias Creutziger

Wow – es gibt doch ein Glück! Zweiter Anlauf, komplett konträrer Eindruck. Das Bühnenbild von Anna Viebrock widerspricht noch immer den Mindestregeln der Ästhetik. Die Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann präsentieren die „Lohengrin“-Partitur aber in voller Pracht. Hervorragend, wäre die Untertreibung des Jahres. Die Stimmung in der Wiener Staatsoper kocht.

Richard Wagner
Lohengrin


Wiener Staatsoper,
5. Mai 2024

von Jürgen Pathy

So ein Tag, so wunderschön wie heute, der sollte nie vergehen. Diese Parole des Fußballplatzes trifft gleich zweimal den Kern. Der Wiener Traditionsverein SK Rapid schickt den haushohen Favoriten RB Salzburg mit 2:0 nach Hause. An der Wiener Staatsoper rückt Christian Thielemann alles wieder gerade. Die nicht unweit des Hütteldorfer Allianz-Stadions gewonnene Idee, den Gottfried im Wienfluss zu ertränken, gerät fast in Vergessenheit. Anna Viebrock hat beim Rückhaltebecken Auhof, an der westlichen Stadtgrenze Wiens, ihre Inspiration fürs Bühnenbild gefunden.

Ein optisches Desaster, das Thielemann und die Wiener Philharmoniker hinter faszinierendem Schönklang verdrängen.

Der heimliche König des Abends: das Staatsopernorchester

Fis-Moll, eine finstere Tonart. Dass man die auf derart samtweichen Pfoten heranschleichen lassen kann, hatte man bis gestern nicht erahnen können. Thielemann und die Wiener Philharmoniker schon. Zweiter Akt, Ortrud & Telramund stehen im Mittelpunkt. Das süße Gift, das Lohengrin im dritten Akt vermutet, das verteilt das Staatsopernorchester fein dosiert bereits über den ganzen Mittelakt.

David Butt Philip (Lohengrin) und Ensemble © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Die alte musikalische Rangordnung ist wieder hergestellt. Erster Akt, traumwandlerisch und nur leicht dolce. Bereits das Vorspiel lässt erahnen, was in den kommenden dreieinhalb Stunden folgen wird: Philharmonischer Klangzauber auf höchstem Niveau. Keine Reibungen, keine Disharmonien. Der komplette Streicherapparat, bestimmt 50 Mann, ein einziger Organismus. Das Blech strahlt. Das Englischhorn verdreht einem den Kopf.

Der Kapellmeister regelt. Sitzend, wie immer in Frack gehüllt. Körper ganz nach hinten, Beine in die Höhe, um alle in Zaum zu halten. Die linke Hand streicht regelmäßig durch das Haar. Der Seitenscheitel sitzt. Bei dieser Duftmarke kann man schon mal ins Schwitzen geraten. Die Generalpausen dehnt er bis ans Äußerste. Thielemann macht keine Pausen, er spielt die Pausen.

David Butt Philip (Lohengrin) und Malin Byström (Elsa) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Anja Kampe sticht hervor

Anja Kampe hätte es gar nicht nötig, dass Thielemann sie hofiert. Die hätte bei doppelter Lautstärke noch den ganzen Graben durchbrochen. Nicht so ein Biest wie Petra Lang. Aber diese Ortrud ist ein durchtriebenes Weib, deren Worte deutlicher das Mark durchdringen, als bei der anderen Sopranstimme des Abends. Ihren Telramund hat sie fest im Griff. Ein armes Kerlchen, der dieser Wucht aber noch genügend Gegenwehr bieten kann.

Martin Gantner erwischt einen noch besseren Tag als bei der Premiere. Überhaupt scheint das vielen so zu gehen: David Butt Philip, für manche „der neue Lohengrin“, könnte zwar durchaus öfters seine sanftere Seite enthüllen. Nur Vollgas, trotz vereinnahmendem Timbre, ist nicht der allerletzte Schrei. An seiner Stelle haben aber schon viel größere Namen ebenso heldenhaft die Stimme erhoben.

David Butt Philip (Lohengrin) und Malin Byström (Elsa) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bei dieser Elsa bleibt auch nichts anderes übrig. „Malin Byström hat eine Stimme, die man mag oder nicht – eine Elsa ist sie aber nicht“. Richtig, lieber Stammgast, der im Haus mit einigen „Streithanseln“ alle Hände voll zu tun hat. Das liebliche, das zärtliche, überhaupt das unschuldige Blondchen soll sie zwar nicht sein. Schönreden, braucht man aber gar nichts. Selbst für die vorgesehene Neudeutung des Sujets ist das viel zu mächtig, viel zu kraftvoll. Wo bleiben sanftere Kopftöne, wohin hat sich der Zauber nur verzogen? Vor dieser Elsa flüchtet man lieber, anstatt vors Gottesgericht zu ziehen.

Zeppenfeld in alter Stärke

Der König hingegen vereint wieder alle hinter sich. Georg Zeppenfeld in alter Stärke. Wortgewandt, deutlich, mit unverkennbarem Timbre, das selbst die dicke Wehranlage wieder strömend durchdringt. Die Schwächen seines Heerrufers bei der Premiere muss man ebenso der Indisponiertheit in die Schuhe schieben. Attila Mokus braucht sich an diesem Abend nicht verstecken.

Das Regieduo hat es zum Glück getan. Keine Spur von Jossi Wieler & Sergio Morabito. Der Buhorkan letztens hat sie hoffentlich für lange Zeit von der Bildfläche gefegt. Eine Schandtat, die „Oper aller Opern“ derart in Missgunst zu ziehen. Wo das endet, wenn Thielemann nicht in Hochform agiert, hat man bei der Premiere erlebt.

Für die Wiederaufnahme nächste Saison hat Direktor Bogdan Roščić ihn schon festgenagelt. Gott sei Dank! Damit rettet er gerade noch seinen Ruf.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 29. April 2024 PREMIERE

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Lohengrin
Wiener Staatsoper, 5. Mai 2024“

  1. Das kennt man: die Premiere ist nie so gut wie die nachfolgenden Vorstellungen. Das Personal ist müde und abgekämpft von den vielen Proben.
    Da ich aus „fernem Land, unnahbar euren Schritten“ bin, habe ich die Fernseh-Übertragung mir zu Gemüte geführt. Und habe Ihre Premiere-Kritik nicht nachvollziehen können. Welch Glück, dass Sie nun nachgeliefert haben. Ich fand musikalisch das Ganze nämlich sehr gut bis sensationell, bis auf die Punkte, die Sie selber monieren. Auch szenisch fand ich nicht alles schlecht (abgesehen von den groben konzeptionellen Dummheiten). Aber vielleicht bin ich schon immunisiert gegen szenische Missgriffe, da ich schon unzählige szenische Torheiten über mich ergehen lassen musste. Jedenfalls ist es immer noch besser als eine kitschige Schenk-Inszenierung in einem Peter-Alexander-Stil.

    Hans-Peter Scheidegger

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