Foto: © Tourismus Salzburg / G. Breitegger
Salzburger Festspiele, Domplatz, Salzburg, 19. August 2018
Hugo von Hofmannsthal, Jedermann
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes
Michael Sturminger, Regie
Renate Martin, Andreas Donhauser, Bühne und Kostüme
Wolfgang Mitterer, Komposition und Musikalische Leitung
Andreas Heise, Choreografie
Stefan Ebelsberger, Hubert Schwaiger, Licht
Jakob Barth, Videodesign
Angela Obst, Dramaturgie
Peter Lohmeyer, Stimme des Herrn / Tod / Der Spielansager
Tobias Moretti, Jedermann
Edith Clever, Jedermanns Mutter
Hanno Koffler, Jedermanns guter Gesell / Teufel
Sigrid Maria Schnückel, Der Koch
Roland Renner, Ein armer Nachbar
Fritz Egger, Ein Schuldknecht
Martina Stilp, Des Schuldknechts Weib
Stefanie Reinsperger, Buhlschaft
Hannes Flaschberger, Dicker Vetter
Stephan Kreiss, Dünner Vetter
Christoph Franken, Mammon
Mavie Hörbiger, Werke
Johannes Silberschneider, Glaube
Ensemble 013
von Sebastian Koik
Magisch wehen die vielen hundert Quadratmeter weißer Bühnenvorhang im Wind. Sie sind das I-Tüpfelchen an Atmosphäre dieses ganz besonderen Freilufttheaters vor dem Portal des Salzburger Doms, mit Blick auf die schroffen Felsen und der darauf kronenden Festung.
Es wird schon seine Gründe haben, weshalb das Stück bereits knapp 700 Mal in den knapp 100 letzten Sommern gespielt wurde. Und es wird auch seine Gründe haben, weshalb der „Jedermann“ dabei immer ausverkauft ist, und zahllose Menschen trotzdem vergeblich darauf hoffen, diesem einzigartigen Theater beiwohnen zu dürfen.
Und der Klassiker kommt in der Gegenwart an: Die überarbeitete, ganz neue und ganz andere Inszenierung von Tobias Moretti und Regisseur Michael Sturminger aus dem Vorjahr wirft historisierende Kostüme über Bord und bringt das alte Stück ganz nah an die Lebenswelt der Zuschauer. – Und das funktioniert wunderbar! Auch Wolfgang Mitterers Musik zum Stück verleiht der Produktion ganz stark große Spannung und sehr viel atmosphärische Dichte und möchte man nicht mehr missen.
Die Rolle des Jedermanns ist eine riesige Herausforderung, da der Darsteller den Großteil des Stückes und damit auch des Textes allein auf seinen Schultern tragen muss. Die Hauptfigur bekommt in diesem Stück keine Pausen, abwechselnd agieren diverse andere Figuren gemeinsam mit dem Jedermann, doch letztendlich ist es eine meist einsame Reise: Der Zuschauer verfolgt die letzten Stunden im Leben eines Mannes, seinen Kampf mit dem Abschied vom Leben.
Tobias Moretti meistert die gewaltige Herausforderung ganz wundervoll! Als Zuschauer wird man mehrfach am Abend von diesem Jedermann überrascht. Moretti beweist wahrhaft große Wandlungsfähigkeit, zeigt bravourös einen Mann, der sein Selbstverständnis verliert und sich mehrfach und kontinuierlich radikal wandelt.
Anfangs agiert Moretti wie ein Teufel. Er stellt einen gewissenlosen, unbarmherzigen, gierigen, harten Menschen ohne Mitleid und Herz dar. Er ist ein Bösewicht mit kalt funkelnden Augen, ein Scheusal in glänzendem Luxus-Anzug.
Im Gespräch mit seiner Mutter zeigt er sich wieder von einer ganz anderen Seite. Er spielt. Er spielt die Sohn-Rolle. Er legt vor ihr seine Bösewichts-Natur ab, beziehungsweise versteckt sie. Es ist ein Mutter-Sohn-Gespräch, das Milliarden Söhne und Töchter in ähnlicher Form aus eigener Erfahrung kennen und absolut nachvollziehen können. Bei seiner Buhle, seiner Geliebten, seiner Partnerin zeigt er wieder ein anderes Gesicht. Auch hier kann er sich umgänglich geben.
In Gesellschaft ist er zunächst wieder der Alte: habgierig, geizig, brutal.
Doch dann wendet sich ihm der Tod zu. Sein Ende ist nahe, und er realisiert ihn nach und nach als gewiss. Alles verändert sich.
Der einst in jeder Rolle und Situation so selbstsichere Jedermann zeigt sich verwirrt, unsicher, ängstlich. Für seine ehemaligen Weggefährten wirkt er jetzt wie ein Wahnsinniger, ein Fremder, im besten Falle noch wie ein Kranker.
Tobias Moretti brilliert in all diesen Wandlungen; mindestens genauso großartig wie den weltlichen Teufel spielt er jetzt den Verzweifelten in Todesangst. Es ist ein ganz anderes Wüten, dass er jetzt auf der Bühne zeigt, nicht mehr das Weltaneignen, „Weltfressen“ mit spitzen Ellenbogen und kühl rechnendem Verstand, sondern ein Wüten gegen das so schwer zu akzeptierende Schicksal vom Ende des Lebens auf dieser Welt. Seine Welt ist aus den Angeln gehoben. Morettis Gesicht zeigt pures Entsetzen und existenzielle Verlorenheit.
Die Spannung ist enorm, das Publikum verhält sich mäuschenstill und folgt gebannt konzentriert und mitgerissen.
Der Tiroler Moretti verändert sich weiter, zeigt sich immer wieder neu: nachdenklich, mit Gedanken an Reue. Es ist eine Freude, ihm beim Spielen zuzusehen.
Peter Lohmeyer windet sich als der Tod in seltsamen schlingernden und unmenschlich anmutenden Bewegungen wie eine Art Schlangenwesen über die Bühne. Selbst das Geschlecht des Todes wird in dieser Inszenierung in Frage gestellt. Der Tod ist hier nicht klar männlich. Lohmeyer trägt wie selbstverständlich Schuhe mit Absätzen und sehr weiblich anmutende Kleidung, die er lasziv durch den Raum bewegt. Das hat schon was!
Alle auf der Bühne machen ihre Sache sehr gut, doch die drei beeindruckendsten Künstler auf der Bühne an diesem Abend sind neben Moretti und Lohmeyer Mavie Hörbiger als Werke, Christoph Franken als Mammon und Hanno Koffler in seiner Rolle als Teufel!
Mavie Hörbiger als Werke/ gute Werke ist eine Schwindsüchtige, die zunächst im Krankenbett liegt und am Ende ist – ein Leben lang vernachlässigt von Jedermann. Von Jedermann angerufen wringt sie fast selbstzerfleischend das Letzte an Lebenskraft aus ihrem schwachen Körper, sie spielt sehr körperlich ein sehr ätherisches Wesen, das kurz davor war, sich in Nichts aufzulösen. Das beeindruckt!
Christoph Franken als goldener Mammon und Hanno Koffler in seiner Rolle als Teufel stellen ihre speziellen Figuren sehr exzentrisch und mit fast explodierender Spielfreude dar. Ein Fest der Schauspielerei und es macht großen Spaß zuzuschauen, wie diese beiden Männer selbst sichtbar gewaltigen Spaß am Spiel haben.
Am Ende wird der Jedermann demütig und sanfter, er ist jetzt jemand ganz anderes. Etwa eineinhalb Stunden früher hätte man das nicht für möglich gehalten! Tobias Moretti liefert ein großes schauspielerisches Spektakel, er beglückt mit Schauspielkunst.
Anfangs ein abstoßendes Ekel, schafft er es tatsächlich am Ende zu berühren. Der Tod bekommt jeden. Der nahende Tod verändert. Der Tod macht alle gleich. Der Tod betrifft jedermann und jedefrau. – Und das ist einer der Gründe für die Faszination an diesem Stück.
Großer Applaus, Bravo-Rufe, Jubel und Standing Ovations – besonders für Tobias Moretti.
Sebastian Koik, 20. August 2018, für
klassik-begeistert.de