"Die Zauberflöte": In der Volksoper Wien köchelt der Hölle Rache nur

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte,  Volksoper Wien

Foto: Barbara Pálffy (c)
Volksoper Wien, 
3. September 2018
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte

von Jürgen Pathy

Die Sommer- und Festspielzeit neigt sich langsam dem Ende zu. Traditionell öffnen nun zur Freude aller Besucher die Wiener Kulturinstitutionen wieder ihre Tore – und die ehrenwerte Volksoper Wien die Pforten des Tempels der Weisheit. Auch in seiner zwölften Saison als Direktor des Hauses packt Robert Meyer, 64, „Die Zauberflöte“ aus, um Jung und Alt zu begeistern.

Das Mysterienspiel von Wolfgang Amadeus Mozart rund um das Buhlen der sternflammenden Königin und des vermeintlichen Bösewichts Sarastro um die Gunst des jungen Liebespaares Tamino und Pamina genießt seit der Erstaufführung am 3. Oktober 1906 einen fixen Platz im Repertoire des Hauses am Gürtel.

Die Rolle des Tamino beseelt der deutsche Sänger Mirko Roschkowski mit seiner cremig weichen, lyrischen Stimme – doch der Dortmunder kann auch anders. Nachdem die drei entzückenden Wiener Sängerknaben Tamino ermahnen, standhaft, duldsam und verschwiegen zu bleiben, demonstriert der junge Sänger in dieser lyrischen Partie auch seine Qualitäten als jugendlicher Heldentenor: Das Duett mit dem 1. Priester gestaltet der Sänger neben viel Schmelz mit spannender Dramatik. Sein Gesangspartner , 41, der dem 1. Priester seinen voluminösen, grandiosen Bassbariton verleiht, steht in puncto Gesangsqualität um keinen Millimeter hinten an. Gemeinsam mit dem Orchester fesseln die beiden phänomenalen Künstler das Publikum, das in andächtiger Stille der atemberaubenden Szenerie verfällt.

Diese großartige Unterstützung aus dem Orchestergraben widerfährt den Künstlern auf der Bühne leider nicht durchgehend: Die herzergreifende Bildnisarie des frisch-verliebten Tamino zerhackt das Volksopernorchester unter der Leitung des Hamburger Dirigenten Wolfram-Maria Märtig in tausend Einzelteile – zu scharf akzentuieren die Streicher, lassen jegliche notwendige Subtilität vermissen. Einige Musiker sollten das nächste Mal (Fagott, Bass) etwas ausgeruhter im Orchestergraben erscheinen, um die Feuer– und Wasserprobe unbeschadet zu überstehen.

Wenn nicht aus Respekt dem zahlenden Publikum gegenüber, dann zumindest den Kollegen zuliebe, wie dem genialen Bass Stefan Cerny, dessen pastöser, sonorer Stimme in der wunderbaren Arie O Isis und Osiris viel orchestraler Widerstand entgegenweht. Wie bereits in der letzten Saison als Rocco in „Fidelio“ (Ludwig van Beethoven) in der Wiener Staatsoper und im Theater an der Wien rangiert der Wiener mit dem extravaganten Timbre unter den Besten des Abends. Mit großer Vorfreude erwartet klassik-begeistert.de das luxuriöse Ensemblemitglied als norwegischen Seefahrer Daland in der hauseigenen Neuproduktion der Oper „Der fliegende Holländer“ (Richard Wagner) ab 9. März 2019.

Gemischte Gefühle – wenn auch mit tosendem Schlussapplaus beschenkt – hinterlässt die österreichische Sängerin Beate Ritter in der halsbrecherischen Partie der Königin der Nacht. Zwar kann die Sopranistin das Publikum mit lerchenhaft agilen Koloraturen betören, doch ist der Ruhm teilweise ermogelt: in der weltberühmten Arie Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen riskiert das neue Ensemblemitglied der Oper Stuttgart zu wenig – dadurch mangelt es der Deklamation an Durchschlagskraft, Dramatik und Dynamik.

Selbstverständlich darf der tollpatschige Vogelhändler Papageno, der lieber Speis und Trank statt Erleuchtung sucht, in dieser Freimaurer–Huldigung nicht fehlen. Bei der Besetzung des ulkigen Naturburschen beweist Direktor Robert Meyer – selbst Kammerschauspieler und Ensemblemitglied des Burgtheaters – regelmäßig ein feines Händchen: Ausgerüstet mit viel Wiener Charme und komödiantischer Spiellaune erobert der Wiener Michael C. Havlicek die Herzen von Jung und Alt. So, und nicht anders, besetzt man diese Rolle, deren Fokus neben den gesanglichen Qualitäten primär den grotesk-komischen Einlagen gilt.

Papagenos Weibchen mimt die hinreißende junge Soubrette Juliette Khalil. Über weite Strecken farblos wirkt Rebecca Nelson als Pamina, die an einem schönen Maitag aus dem alles belebenden Zypressenwald entführt wurde. Solide gestalten KS Ulrike Steinsky, die Wienerin Elvira Soukop und die Kroatin Martina Mikelic die drei Damen. Den Mohr Monostatos gibt der Tenor Christian Drescher darstellerisch überzeugend, gesanglich okay.

Der oftmals gestellten Frage „Ja, wird denn die Zauberflöte nicht irgendwann langweilig?“ kann nur perplex erwidert werden: Wie soll ein derart facettenreiches Meisterwerk, bei dem es in jeder Vorstellung Neues zu entdecken gibt, jemals langweilig werden? Abgesehen von der bunten Märchenwelt offenbart sich in diesem Mozart‘ schen Geniestreich des Jahres 1791 eine ungeheure stilistische Vielfalt der Musik: vom pathetischen Ton der opera seria, über das Volkslied, das geistliche Lied, bis hin zu Wagner’schen Klängen erlebt der Zuschauer in der „Zauberflöte“ alles.

Die Begeisterung für dieses Bühnenwerk wird ein süßer, junger Gast, der dem Krabbelalter noch nicht entflohen sein dürfte und regelmäßig das bunte Treiben auf der Bühne voller Inbrunst zu kommentieren versucht, irgendwann einmal bestimmt unterschreiben.

Sollten in Zukunft alle Musiker „stets lustig, heißa, hoppsassa“ wie der Vogelfänger Papageno erscheinen, dann lohnt der Abstecher in die traditionsreiche Volkoper Wien auf jeden Fall – egal ob in Abendrobe oder frei nach dem Motto des Direktors: „Kommt’s in Jeans, aber g’waschen müsst’s sein“.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 4. September 2018, für
klassik-begeistert.at

Wolfram-Maria Märtig, Dirigent
Helmuth Lohner, Regie
Johan Engels, Bühnenbild
Marie-Jeanne Lecca, Kostüme
Thomas Böttcher, Choreinstudierung
Friedrich Rom, Lichtdesign

Stefan Cerny, Sarastro
Mirko Roschkowski, Tamino
Yasushi Hirano, Sprecher/ 1. Priester
Thomas Sigwald, 2. Priester
Beate Ritter, Königin der Nacht
Rebecca Nelsen, Pamina
Ulrike Steinsky, 1. Dame
Elvira Soukop, 2. Dame
Martina Mikelić, 3. Dame
Wiener Sängerknaben, 3 Knaben
Juliette Khalil, Papagena
Michael Havlicek, Papageno
Christian Drescher, Monostatos
Daniel Lökös, 1. Geharnischter
Andreas Baumeister, 2. Geharnischte

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