Foto: Michael Pöhn (c)
Wiener Staatsoper, 10. September 2018
Richard Strauss, Ariadne auf Naxos
von Jürgen Pathy
Leicht getrübt beginnt die Pilgerfahrt ins Mekka der Opernkunst, der ehrenwerten Wiener Staatsoper, zu deren 150. Jubiläum neben sechs Neuproduktionen auch bewährtes Repertoire das breit gefächerte Programmheft füllt. „Wegen Erkrankungen von Daniela Fally und Stephen Gould übernehmen dankenswerterweise Hila Fahima und Herbert Lippert…“ ist einer Vitrine am Haupteingang zu entnehmen – dass die 25. Aufführung der „Ariadne auf Naxos“ in der Sven-Eric-Bechtolf-Inszenierung (2012) dennoch ein versöhnliches Ende nimmt, dafür sorgen an diesem angenehmen Spätsommerabend andere Protagonisten.
Zum einen Sophie Koch, 49, die der heiklen Hosenrolle des Komponisten viel dramatische Strahlkraft verleihen kann. Mit ihrem dunkel gefärbten Mezzo, den die Kammersängerin in allen Lagen sicher und ausdrucksvoll führt, erlangt sie die volle Zustimmung des Wiener Publikums, das mit Bravi und lautem Beifall diese außergewöhnliche Darbietung honoriert. Kleine Schwächen der französischen Sängerin offenbaren sich nur bei der deutschen Artikulation.
Wonnen des Glücks und Gänsehautmomente entlockt mit ihrem Strauss-Gesang par excellence die kanadische Sopranistin Adrianne Pieczonka, 55. Egal ob im cremig, weichen Piano oder in expressiven, dramatischen Ausbrüchen: im ausdrucksstarken Gesang der Kanadierin offenbaren sich alle Facetten der todessüchtigen Ariadne. Im Haus am Ring wird die Ausnahmekünstlerin in dieser Saison auch noch in einer weiteren großen Strauss-Partie zu bewundern sein: als Feldmarschallin im „Rosenkavalier“.
Dieses Mal lobenswert unterstützt wird die feine Gesangskunst vom Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung des deutschen Dirigenten Patrick Lange, 37. Im Vergleich zur ersten Vorstellung am Freitag ein qualitativer Quantensprung – einige Augenblicke funkelt er wieder, dieser unvergleichliche Legato-Klang der Wiener Philharmoniker, aus deren Reihen sich das großartige Staatsopernorchester zum Teil formiert. Fein verwebt sich der Klang der trübseligen Solo-Klarinette, der stark an Mozarts „La Clemenza di Tito“ erinnert, mit dem zarten kammermusikalischen Orchesterspiel.
Weniger Unterstützung bietet Kammersänger Herbert Lippert, 60, der als Gott Bacchus der Ariadne kein jugendlich-strahlendes Erlebnis der Liebe bescheren kann. Beginnend bei den kläglichen Circe-Rufen bis hin zum Duett mit Pieczonka wirkt der Oberösterreicher von dieser mittleren, aber schwierigen Partie völlig überfordert und lässt seine geniale Gesangspartnerin im Stich. Zumindest rettet das Ensemblemitglied, das als Einspringer im Heldenfach regelmäßig in Erscheinung tritt, mit einer annehmbaren Deklamation im mittleren Register wieder einmal den Abend. Den forcierten Höhen fehlt jedoch jeglicher Glanz. Im Vergleich zur ersten Vorstellung kann Herbert Lippert leider keine Steigerung verzeichnen – im Gegenteil: der nicht mehr so junge Gott erleidet an diesem Abend sogar eine schmerzhafte Bruchlandung.
Gemischte Gefühle erzeugt die israelische Sopranistin Hila Fahima, 31, in der halsbrecherischen Partie der Zerbinetta. Als Ersatz für Daniela Fally, die bei der ersten Vorstellung bereits zur Pause mit „allergischer Reaktion der Stimmbänder“ angekündigt wurde, erklimmt die junge Israelin den Gipfel des Mount Everest der Koloraturpartien ohne ersichtliche Schwierigkeiten. Mühen bereiten der zarten Sängerin jedoch die unteren Basislager – in den tieferen Registern fehlt es an Volumen und Ausdruckskraft. Auch mag die Darstellung der lasziven Zerbinetta, die der Freizügigkeit frönt und Liebeskummer mit Leichtigkeit überwindet, nicht vollends überzeugen. Hoch anrechen muss man dem jungen Ensemblemitglied die kurze Vorbereitungsphase dieser großen, schwierigen Partie, von der sie erst am Samstagmorgen erfahren hatte.
Als süffisanter Haushofmeister brillierte wieder Kammerschauspieler Peter Matić, 81, dessen markante Stimme einem großen Publikum aus Film und Fernsehen bekannt sein dürfte: als Synchronstimme des britischen Oscarpreisträgers Ben Kingsley. Auch die Besucher des Musikvereins Wien werden regelmäßig von der Stimme des Ensemblemitglieds des Burgtheaters aufgefordert ihre Mobiltelefone auszuschalten.
Die Partie des Musiklehrers präsentiert der deutsche Charakterbariton Jochen Schmeckenbecher, 51, der genügend Persönlichkeit, Routine und Souveränität austrahlt, um in dieser Partie zu reüssieren. Die drei Nymphen – Maria Nazarova, Svetlina Stoyanova, Olga Bezsmertna – erscheinen an diesem Abend homogener als in der Freitag-Vorstellung. Aufgrund grotesker Schauspieleinlagen erlangt Ensemblemitglied Thomas Ebenstein, 39, fragwürdigen Ruhm und lautstarken Beifall.
Dass der Schlussapplaus zögerlich entfacht, mag mit Sicherheit nicht an einer der beliebtesten Strauss-Werke liegen – der dritten Zusammenarbeit des Erfolgsduos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal: Ohne einen ausgezeichneten (jugendlich) dramatischen Bacchus funktioniert die „Ariadne auf Naxos“ nicht, kann das Werk nicht in einem überwältigenden Ende kulminieren, für das die Opern des bayerischen Komponisten so berühmt sind.
Hoffentlich erholt sich Stephen Gould, 56, rechtzeitig von den Bayreuther Strapazen und kann der Vorstellung am kommenden Donnerstag, 13. September 2018, den notwendigen Glanz verleihen – die fulminate Adrianne Pieczonka hätte sich den glorreichen Abschluss verdient!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 11. September 2018, für
klassik-begeistert.at
Patrick Lange,Dirigent
Sven-Eric Bechtolf,Regie
Rolf Glittenberg,Bühne
Marianne Glittenberg,Kostüme
Jürgen Hoffmann,Licht
Peter Matić, Der Haushofmeister
Jochen Schmeckenbecher, Ein Musiklehrer
Sophie Koch, Der Komponist
Herbert Lippert,Der Tenor / Bacchus
Hila Fahima, Zerbinetta
Adrianne Pieczonka, Die Primadonna / Ariadne
Thomas Ebenstein, Tanzmeister
Won Cheol Song, Perückenmacher
Markus Pelz, Lakai
Rafael Fingerlos,Harlekin
Jinxu Xiahou,Scaramuccio
Wolfgang Bankl,Truffaldin
Pavel Kolgatin,Brighella
Maria Nazarova, Najade
Svetlina Stoyanova, Dryade
Olga Bezsmertna, Echo