Foto: (c) by Friedrich Luchterhandt
Stadttheater Minden, 9. September 2018
Richard Wagner, Götterdämmerung
von Guido Müller
Seit 2015 führt das Stadttheater Minden mit wesentlicher Unterstützung des Richard Wagner Verbandes Minden und über 100 Sponsoren jedes Jahr einen Teil des Rings von Richard Wagner auf. Entscheidenden Anteil daran hat der musikalische Leiter und ausgewiesene Wagner-Spezialist Frank Beermann mit der Nordwestdeutschen Philharmonie.
Auch in diesem Jahr vereinigt er zusammen mit dem Regiealtmeister Gerd Heinz wieder eine Schar herausragender Gesangssolisten zu einer musikalisch grandios gelungenen Vorstellungsserie im September zwischen dem Ende der Bayreuther Festspiele und dem allgemeinen Saisonbeginn der Opernhäuser. So treffen sich seit Jahren die Wagner-Liebhaber aus ganz Deutschland und dem Ausland im westfälischen Minden. Stilbewusst wird vor Beginn der jeweiligen Aufzüge auch jeweils ein Motiv aus der Oper vom Balkon geblasen. Da schlägt das Herz der Wagnerianer höher!
In diesem Jahr ist wieder bewährt und in guter stimmlicher Verfassung – trotz familiärem Schicksalsschlag – Thomas Mohr als Siegfried dabei. Dara Hobbs gestaltet die Brünnhilde mit einem farbenreichen, nie ermüdenden und nie scharfen, weiblich fülligen Sopran. Ihr Gesang vermag zutiefst zu berühren. Bereits 2012 sang sie die Isolde in Minden und mittlerweile auch an anderen Häusern.
Hagen verleiht der Meisterschüler Kurt Molls, Andreas Hörl, nicht nur tiefschwarze, durchschlagende Stimmfarben, sondern auch warme, sympathische und berührende Basstöne. Ganz im Einklang mit der Regie stellt Hörl Hagen als jungen selbstbewussten Gegenspieler Siegfrieds dar. Eine ganz besonders auch das Publikum überzeugende und zu Beifallsstürmen hinreißende Leistung.
„Ich mache es für mich“ singt Hagen selbstbewusst in der Traumszene mit Alberich, und er hat den letzten Satz in der Oper: „Zurück vom Ring!“ So wenig der Schluss der „Götterdämmerung“ eindeutig ist, und damit offen und ungenau (Ulrich Schreiber), so dieser Satz, der auch im Sinne Wagners gedeutet werden kann: Lasst ab von der Besitzgier. Hagen ist eigentlich der am wenigsten fremd gesteuerte Charakter in der „Götterdämmerung“, der durch seine Intrige das Ende der Götter und der alten Welt herbeiführt, das dann Brünnhilde durchführt.
Reiz und Dilemma der Inszenierung des Rings durch Gerd Heinz zeigen sich ganz besonders im Schluss: Während Patrice Chéreau 1976 in Bayreuth am Ende das überlebende Volk auf das Publikum blicken lässt, erheben sich in der Mindener Inszenierung am Ende nach Brünnhildes Schlussgesang alle Toten auf der Bühne wieder zum Leben und blicken mit dem Rücken zum Publikum auf das auf der Bühne ansteigend sitzende und hell beleuchtete riesige Ring-Orchester und den Dirigenten. Das Orchester als Hauptakteur in Wagners Ring. Von den Harfen über Siegfrieds Horn, Holzbläser und die Celli bis zu den drei extra angefertigten Stierhörnern ist so viel Exquisites vom Orchester zu hören.
Aber auch zum abschließenden Hoffnungsmotiv der Hinweis auf die Musik als Erlösung. Berechtigt auch die Qualität der Nordwestdeutschen Philharmonie und des Dirigenten zu dieser Deutung, so hat Wagner doch nicht ohne Grund in Bayreuth das Orchester in den unsichtbaren Graben verlegt.
Die Regie zeichnet auch Gunther (luxuriös und gewichtig mit dem Sänger des Wotan Renatus Mészár besetzt) und Gutrune (Magdalena Anna Hofmann als selbstbewusste Schwester eines Königs und nicht als blondes Dummchen gezeichnet und mit besonders schönen Stimmfarben in der mittleren und hohen Lage) als Menschen mit durchaus auch sympathischen Zügen.
Kathrin Göring verleiht der Waltraute in ihrem zentralen Gespräch mit Brünnhilde stimmlich und darstellerisch hohe Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit. Genauso gilt dies für die drei Nornen und drei Rheintöchter von Tiina Penttinen, Christine Buffle und Julia Bauer.
Lediglich Frank Blees bleibt in seinem Debut als Alberich etwas farblos. Besonders stimmkräftig und strahlend singt hingegen der Wagner Chor Minden 2018. Leider muss er immer hinter dem Orchester stehen, statt einmal mit Hagen zusammen auf der Vorderbühne prächtig das Publikum direkt anzusingen – sonst immer einer der besonders eindrucksvollen Momente der „Götterdämmerung“.
Insgesamt nimmt sich die Regie sehr zurück. Auch das gewaltige Orchesterzwischenspiel nach Siegfrieds Tod wird nicht bebildert, außer mit einem intensiv rot leuchtenden Ring und drei darüber liegenden roten Balken, die sich zum Ende ins Blau des Rheins verfärben. Die Kostüme Frank Philipp Schlößmanns verweisen auf die Gegenwart. Und es gibt Schwert und Speer zu sehen. Lediglich die Tablets der Nornen mit eingespielten Videos (Matthias Lippert) oder Bierkästen sind dann Zugeständnisse ans Heute.
Noch einige Vorstellungen im September 2018 und zwei Ring-Zyklen im Herbst 2019 lohnen den Besuch der Ring-Opern in Minden besonders für ein weniger an Regietheater und Experimenten als an Stimm- und Orchesterkultur ausgerichtetes Publikum.
Guido Müller, 12. September 2018, für
klassik-begeistert.de
Ich kann mir nicht helfen, aber ich kann die Euphorie für den Hagen-Sänger gar nicht teilen. Die Stimme klingt uneinheitlich in Höhe wie Tiefe, und von Begeisterungsstürmen würde ich nicht sprechen. Neben Siegfried und Gunther fand ich ihn nicht wirklich gut. Sein „Hoi-Ho-“ Auftritt hat neben der Stimme zu viele Geräusche. Das bedeutet für mich, dass er mehr will, als die Stimme eigentlich hergibt.
Bruno Jeep