Auf den Punkt 70: Wider eine Zensur à la Gent

Auf den Punkt 70: Wider eine Zensur à la Gent  klassik-begeistert.de, 19. September 2025

Lahav Shani © Marco Borggreve

Eins muss man den Machern des „Gent Festival van Vlaanderen“ lassen, ihnen ist ein wahrer Marketingcoup gelungen. Was keine PR-Agentur mit märchenhaftem Budget vollbracht hätte, gelang über Nacht. Bislang ein nur regional bekanntes Musikfestival in der wunderschönen belgischen Hafenstadt Gent,  ist die Veranstaltung seit Tage in aller Munde. Nicht nur in interessierten Kreisen, sondern eigentlich überall. Was war passiert?

 von Jörn Schmidt  

Lahav Shani ist designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Im September 2026 beginnt seine Amtszeit, aktuell läuft man sich gemeinsam  warm auf einer Europatournee. Einer von Shanis Mentoren ist Daniel Barenboim, der mit seinen Mitteln für ein friedliches Zusammenleben im Nahen Osten streitet. Sein West-Eastern Divan Orchestra überwindet kulturelle und politische Grenzen.

Ich bin mir sicher, Shani hat diese Werte in sich aufgesogen. Er lebt sie Tag für Tag, als Musiker, aber auch als Privatperson. Mir sind jedenfalls keine gegenteiligen Zitate bekannt. Das reicht heutzutage anscheinend nicht mehr.

Denn Shani ist Israeli. Und so kam es, dass die Macher aus Gent an Shani herantraten mit einer klaren Ansage: Er möge ein politisches Statement abgeben, sonst wird das nichts mit einem Auftritt in Gent. Lesen Sie dazu bitte nachstehend die Stellungnahme Lahav Shanis.

Ich möchte noch einen anderen Gedanken hinzusetzen. Die Musikgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts ist unter anderem geprägt durch die Ideale des Bürgertums. Man wollte sich seinerzeit von traditionellen Adelsstrukturen emanzipieren.

Opernhäuser und Konzertsäle wurden zu Orten dieser Emanzipation. Die wunderschöne  Hamburger Laeiszhalle ist ein Beispiel bürgerlich-hanseatischen Mäzenatentums. Wenn man so will, war das Bürgertum so etwas wie die Speerspitze im Kampf gegen die Theaterzensur.

Heutzutage von untadeligen Künstlern politische Statements zu verlangen, ist ein Schritt zurück. Macht das Schule, darf nur noch auftreten, wer nach der Pfeife der Veranstalter tanzt: Ein Auftrittsverbot als stärkste Form der Zensur?   Zensur à la Gent darf nicht weiter Schule machen.

Jörn Schmidt, 19. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Stellungnahme Lahav Shanis zur Konzertabsage in Gent

 »In den vergangenen Tagen fand ich mich, zusammen mit zwei Orchestern, die mir besonders am Herzen liegen – den Münchner Philharmonikern und dem Israel Philharmonic Orchestra – ungewollt im Mittelpunkt einer öffentlichen Empörungswelle, die schnell zu einem diplomatischen Zwischenfall eskalierte. Der Aufschrei folgte auf die bedauerliche Entscheidung der Organisatoren des Gent Festivals, das für diese Woche geplante Eröffnungskonzert der Münchner Philharmoniker unter meiner Leitung abzusagen.

Die Festivalleitung handelte unter dem Vorwand, dass „Musik eine Quelle der Verbindung und Versöhnung sein sollte“, wie in den Medien zitiert wurde. Doch damit entleerte sie die Aussage jeglicher Bedeutung, indem sie politischem Druck nachgab und von mir eine politische Stellungnahme verlangte, obwohl ich mich seit langem öffentlich für Frieden und Versöhnung einsetze.

Ab dem Moment der Absage des Konzerts erhielt ich sowohl privat als auch öffentlich Nachrichten des Beistands und der Ermutigung, die mich zutiefst berührten. In erster Linie bin ich den Musiker*innen der Münchner Philharmoniker und deren Leitung für ihre unermüdliche Unterstützung dankbar, die mich mit noch größerem Stolz erfüllt, Teil dieses Orchesters zu sein. An ihrer Seite standen der Bürgermeister und der Kulturreferent der Stadt München, Vertreter der deutschen und bayerischen Regierung sowie Kollegen aus Deutschland, Europa, Israel und der ganzen Welt. Ebenfalls von großer Bedeutung war die Solidaritätserklärung des belgischen Premierministers durch seinen Besuch unseres Konzerts in Essen am vergangenen Samstag. Schließlich fühle ich mich sehr geehrt, dass der deutsche Bundespräsident mich gestern ins Schloss Bellevue eingeladen hat.

Am 7. Oktober 2023 erlebte Israel ein schreckliches, noch nie dagewesenes Ereignis. Wie viele andere fürchtete ich sofort um mein Leben und um das Leben derer, die mir nahestanden. Kein Israeli war von diesen Ereignissen unberührt. Die israelische Gesellschaft trauert weiterhin um die Folgen des unmenschlichen Angriffs der Hamas und sehnt sich nach der Rückkehr von 48 Zivilisten, die nach wie vor unter unerträglichen Bedingungen als Geiseln gehalten werden. Dennoch habe ich, wie viele Israelis, meine menschlichen Werte nicht aufgegeben. Die Bilder und Zeugnisse aus dem Gazastreifen sind zutiefst erschütternd, und es ist unmöglich, dem Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen inmitten der Katastrophe, die dieser Krieg über sie gebracht hat, gleichgültig gegenüberzustehen. Es muss alles getan werden, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und den langen Prozess der Heilung und des Wiederaufbaus beider Gesellschaften zu beginnen.

Das Israel Philharmonic Orchestra, mit dessen musikalischer Leitung ich betraut bin, blickt auf eine lange Reihe der größten und humanitärsten Musiker*innen zurück, wie etwa Leonard Bernstein und Zubin Mehta, sowie Arturo Toscanini, der die allerersten Musiker*innen des Orchesters dirigierte: jüdische, aus Europa geflüchtete Menschen. Das seit seiner Gründung von Musiker*innen geführte Israel Philharmonic Orchestra ist ein einzigartiges Beispiel für die Freiheit, die Künstler*innen haben sollten, um aufzutreten. Unter ihrer Leitung ging die Förderung der klassischen Musik stets Hand in Hand mit den Bemühungen, Menschen innerhalb Israels und zwischen Israel und der Welt zu verbinden.

Am gestrigen Abend traten die Münchner Philharmoniker und ich beim Musikfest Berlin auf – ein Konzert, zu dem wir infolge der Absage in Gent eingeladen wurden. Ich möchte mich bei den Berliner Festspielen und der Stiftung Berliner Philharmoniker für ihre Initiative und ihren Einsatz herzlich bedanken. Wir bei den Münchner Philharmonikern sind alle sehr gerührt von dieser Geste, die ein perfektes Beispiel für die Macht der Musik darstellt – die Macht, Menschen zu verbinden, anstatt sie zu trennen.«

Lahav Shani, 16. September 2025

http://mphil.de/konzerte-und-karten/statement-lahav-shani#c5654

Berliner Philharmoniker und Lahav Shani Philharmonie Berlin, 21. September 2024

Münchner Philharmoniker, Lahav Shani, Dirigent und Klavier Isarphilharmonie München,  4. September 2024

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