Foto © Marie-Laure Briane
Die lustige Witwe, Operette in drei Akten
Libretto von Victor Léon und Leo Stein
Musik von Franz Lehár, Spielzeitpremiere
Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 29. September 2018
Von Barbara Hauter
Seit über 100 Jahren wird die „Lustige Witwe“ im Münchner Gärtnerplatztheater gespielt. Intendant Josef E. Köpplinger liefert mit seiner Interpretation die – seit 1906 – zwölfte Witwen-Inszenierung des Hauses. Das Gärtnerplatztheater ist eine Volksoper, dessen Publikum sich vor allem einen schönen Abend machen will und unbeschwert entlassen werden möchte. Und diese Aufgabe gelingt der Regiearbeit: die Kostüme – prächtige Glitzerroben mit voluminösen Colliers für die Damen und Frack mit Lackschuhen für die Herren – kommen gut an. Die fetzigen Ballettszenen und vor allem die beschwingten, mitreißenden Mitsumm-Melodien des solide spielenden Orchesters liefern den ersehnten Theaterzauber.
Bei der Spielzeitpremiere, die erstmals von Mario Hartmuth als musikalischem Leiter geführt wird, gibt es im ersten Akt ein paar Startschwierigkeiten, bis Orchester und Sänger ihre vollen Leistungen abrufen können. Den feierfreudigen Grafen Danilo Danilowiotsch präsentiert Daniel Prohaska zu Beginn so angeheitert, dass man ihn zunächst schwer versteht. Nach einem verhaltenen Anfang entwickelt er sich dann aber prächtig, Sein Nebenbuhler Lucian Krasznec als Camille de Rosillon ist von Anfang an voll präsent mit seinem markanten, klaren Tenor. Auf Anhieb bühnenfüllend singt Alexandra Reinprecht, die lustige Witwe Hanna Glawari, die mit ihrem vibratoreichen, sich in den Höhen öffnenden Sopran alles überstrahlte. Das passt zu ihrer Rolle als starke Frau, die sich von niemanden reinreden lässt.
Eine rauschende Ballnacht in Paris: Hanna ist reich verwitwet und wird von Möchtegern-Heiratskandidaten umschwärmt. Doch ihr Heimatland Pontevedro steht vor dem Bankrott, ein Landsmann soll sie ehelichen um die (Phantasie-) Nation zu retten. Graf Danilo Danilowitsch soll es sein. Doch die beiden waren schon einmal ein Paar, die Eheschließung scheiterte aber an Hannas Mittellosigkeit. Sie wurde von der gräflichen Familie nicht akzeptiert. Gefühle sind auf beiden Seiten noch da. Mit einigen Verirrungen finden die beiden bis zum Ende des dritten Aktes schließlich zusammen.
„Die lustige Witwe“ bedient sich dabei aus ganz unterschiedlichen Genres: die Ballnacht ist walzerseelig und mondän. Der Chor leistet dabei einiges: die Sänger wirbeln im Dreivierteltakt auf der sich drehenden Bühne und liefern dabei singend den perfekten Handlungshintergrund. Der zweite Akt spielt auf dem Land, und Musik und Tanz haben einen folkloristischen Touch. Im dritten Akt wird es ein wenig frivol – er entführt ins Pariser Maxims. Köpplinger fährt nicht nur Cancan-Tänzerinnen auf, sondern auch bärtige Tänzer im Rüschenrock. Conchita Wurst lässt grüßen. Sie bekommen stürmischen Applaus.
Sein stärkster Regieneinfall ist aber die Figur des Todes, die er einführt und die es in der Operette ursprünglich nicht gibt. Tänzer und Choreograf Adam Cooper, in schwarzem, langen Soldatenmantel, kahlköpfig, streng aber nicht düster, dafür hoch erotisch, ist als stummer Tod fast immer mit auf der Bühne. Er betritt sie als Erster, noch während das Orchester stimmt, ist wie ein Strippenzieher dabei, wenn Paare zueinander finden oder auseinandergehen, begleitet die gefühlintensiven Momente mit großen Gesten und einer unglaublichen Präsenz. Ein Memento Mori, der Tod ist in allem Leben und Lieben. Aber auch zeitkritisch. Die rauschenden Feste der k. u. k. Monarchie sind ein Tanz auf dem Vulkan, in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, in der das kommende Sterben schon präsent war in den Köpfen der Menschen.
„Die lustige Witwe“ des Gärtnerplatztheaters endet mit der Nachricht des Attentates auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, das der Auslöser für den ersten Weltkrieg war. Und mit dem die gesamte 1000jährige Geschichte der Herrschaft des Adels in Europa endet. Übertragen auf heute ist der Tod eine Mahnung, dass auch unsere Herrschaft der Demokratie gefährdet ist und untergehen könnte. Der Regisseur packt die Bühne jedenfalls in einen dichten Nebel, in der der Tod mit Hanna auf den Armen entschwindet. Als wenn mit ihr eine ganze Epoche im Nebel der Geschichte verschwinden würde.
Barbara Hauter, 30. September 2018
für klassik-begeistert.de
Baron Mirko Zeta: Hans Gröning
Valencienne, seine Frau: Jasmina Sakr
Graf Danilo Danilowitsch: Daniel Prohaska
Hanna Glawari: Alexandra Reinprecht
Camille de Rosillon: Lucian Krasznec
Vicomte Cascada: Peter Neustifter
Raoul de Saint-Brioche: Juan Carlos Falcón
Bogdanowitsch: Maximilian Berling
Sylviane, seine Frau: Valentina Stadler
Kromow: Frank Berg
Olga, seine Frau: Susanne Seimel
Pritschitsch: Holger Ohlmann
Praskowia: Dagmar Hellberg
Njegus: Sigrid Hauser
Der Tod: Adam Cooper
Chor, Ballett, Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Musikalische Leitung: Mario Hartmuth
Regie: Josef E. Köpplinger
Choreografie: Rainer Sinell
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Barbara Hauter, M.A. Germanistik, Psychologie und Biologie, schreibt seit sie die Tastatur bedienen kann, für Tagespresse, Zeitschriften und Internet. Als Redakteurin betreute sie viele Jahre Foto- und Tierzeitschriften. Als freie Journalistin sind ihre Themenschwerpunkt Menschen, Tiere und Medizin. Ihre Passion sind „Kritiken fürs Volk“, weil sie dafür brennt, mehr Menschen für Klassik und Ballett zu begeistern. Barbara Hauter lebt in der schönen Opernstadt München.