Ryan Bancroft © Benjamin Ealovega
Zwei Einspringer und eine Programmänderung: Das Spitzenorchester aus Toulouse gastiert am Konzerthaus Dortmund unter Ryan Bancroft.
Roman Borisov, Klavier
Orchestre national du Capitole de Toulouse
State Choir Latvija
Ryan Bancroft, Dirigent
Sergei Rachmaninow (1873-1943) – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18
Gustav Holst (1874-1934) – Die Planeten. Suite für großes Orchester op. 32
Konzerthaus Dortmund, 9. November 2025
von Brian Cooper
Dieses Konzert stand zunächst unter keinem guten Stern, auch wenn gleich sieben Himmelskörper, in Form von Gustav Holsts Die Planeten, zum Höhepunkt des Nachmittagskonzerts werden sollten.
Zunächst hatte der „Exklusivkünstler“, wie es am Dortmunder Konzerthaus heißt, Tarmo Peltokoski, abgesagt. Ryan Bancroft sprang ein, wie schon Anfang 2024, als er statt Esa-Pekka Salonen das Philharmonia Orchestra dirigiert hatte.
Dann sagte auch noch Superstar Yuja Wang ab, und das ursprünglich vorgesehene Zweite Klavierkonzert von Prokofjew wurde durch jenes von Sergei Rachmaninow ersetzt. Natürlich ist auch das keine Strafe, zumal mit dem gerade einmal 23-jährigen Roman Borisov spannender Ersatz gewonnen wurde. Doch hat man dieses Konzert ähnlich oft gehört wie das vierte und fünfte von Beethoven; das fantastische und mitreißende Prokofjew-Werk hört man hingegen so gut wie nie live. Leider!
Der Intendanz in Dortmund waren die Änderungen jedenfalls vor Konzertbeginn eine schöne und großzügige Geste wert: Alle Besucherinnen und Besucher bekamen ein Glas Orangensaft bzw. Sekt aufs Haus, wegen der Umstände. Auch so geht Kundenbindung, und das bei hohem Stress für alle Beteiligten wie für das Haus.
Vom jungen Pianisten Borisov hätte man gern mehr gehört, doch leider ließ Bancroft das sehr gut aufgelegte Orchester aus Toulouse mit allzu viel forte-Verve aufspielen. Sicher, es gab auch leise Momente, aber die meiste Zeit war das Orchester einfach zu laut, und das lag weder am Pianisten noch an seinem Instrument.
Der russische Pianist hat eine sympathische Bühnenpräsenz. Beim Auftrittsapplaus war möglicherweise ein einzelnes „Buh!“ zu vernehmen. Ich hoffe, ich habe mich verhört, wäre dies doch eine unfaire, unfeine und ungehörige Meinungsbekundung. Vielmehr wäre Dankbarkeit angebracht, oder man bleibt einfach zuhause: In der Tat waren im offiziell ausverkauften Konzert einige Plätze leer geblieben. Dennoch war auch so deutlich zu vernehmen, dass Erkältungszeit ist…

Beeindruckend war, wie viel Zeit sich der Pianist nahm, bevor er die ersten Akkorde in einem fein gewählten Tempo anschlug. Trotz vorheriger Ansage vom Band klingelte schon beim zweiten Akkord das erste Handy. Bancroft ließ das Orchester in den ersten Takten süffig das c-Moll-Thema spielen, doch schon bald begann das Überdecken des Solisten.
Schade, denn Borisovs Spiel ist beeindruckend dicht und agogisch meisterlich. Auch wenn das Orchester das Thema hat und der Solist nur vermeintlich begleitet: Eine gute Klangbalance ist für dieses Werk eminent wichtig. Die fehlte hier leider allzu oft. Eine Referenzaufnahme ist für mich jene mit Cécile Ousset und Simon Rattle.
Dennoch war beileibe nicht alles so. Im zweiten Satz entstanden beispielsweise einige magische Momente. Die Streicher bereiteten dem Solisten einen wunderbaren Klangteppich, Soloflöte und -horn spielten hervorragend auf. Borisovs aufmerksame Blicke gen Holzabteilung zeugen von seinem tiefen Verständnis von Zusammenspiel und langen musikalischen Linien, etwa den begleitenden Figuren der Klarinette. Einmal mehr beeindruckte das Holz – wie so oft bei französischen Orchestern.
Der Herr vor mir in Reihe 9 hatte leider auch vergessen, sein Smartphone leise zu stellen. Das klingelte prompt an der magischsten Stelle des Werks, Jazzmusik jaulte ins Ende des zweiten Satzes.
Auch im dritten Satz überdrehte Bancroft die Lautstärke, Borisovs Spiel war schlecht zu hören. Die Fuge geriet zu schnell, um spielbar zu sein. Und dennoch waren die schmissigen Schlusstakte elektrisierend, die Harmonie zwischen Orchester und Solist wiederhergestellt. Schade, dass das nicht im gesamten Stück so war.
Borisov spielte eine jazzige Zugabe, William Bolcoms Rag infernal – ein humorvolles Stück, das dem Pianisten bei allem virtuosen Spiel auch noch Kapazitäten für witziges Flirten mit dem Publikum ließ. (Vorbildlich übrigens, dass die Konzerthaus-Homepage die Zugaben nachträglich einpflegt – ich hätte auf Kapustin getippt.)
Nach der Pause folgte eine durchweg schlüssige und gute Orchestersuite. Die Planeten sind Gustav Holsts bekanntestes Werk, ein Geniestreich. Ebenso die raffinierte St. Paul’s Suite für Streichorchester, die kaum noch jemand kennt. Bancroft und das Orchester aus Toulouse boten eine überzeugende Lesart der Planeten, die Lust auf diesen Komponisten macht.
Schon der kriegerische Mars, der im 5/4-Takt bedrohlich daherstampft, erzeugte eine gerade in diesen Tagen angebrachte Gänsehaut der gruseligeren Art. Die col legno spielenden Streicher, das Schlagwerk wie das Blech in Topform (tolle Hörner!): Alles war angerichtet für ein Ereignis, das Bancroft in seinem Element sah. Er dirigiert die Planeten als Überwältigungsmusik, aber das passt an den einschlägigen Stellen, wie etwa den Hymnen in Jupiter. Elgar ist hier nicht weit, und den gab’s auch in der Nimrod-Zugabe aus den Enigma Variations.
Die absolut sicher spielenden hohen Streicher in Venus erinnerten stellenweise an Messiaen. Der Merkur klang wie ein französisches Scherzo: Humor, raffinierte Rhythmen, subtile Klänge. Die beiden Harfen haben hier viel zu tun und spielten meisterlich.
So auch in Saturn, der Bringer des Alters. Die Uhr scheint zu ticken. Posaunen und Trompeten intonieren ein Marschthema, man denkt an die Musik aus Moonraker – wie man überhaupt beim Hören viel an Filmmusik denkt (Star Wars, Vertigo, Die üblichen Verdächtigen). Und plötzlich bin ich sogar in Tosca, neulich in Hamburg gehört…
Das viertönige Motiv in Uranus: tiefes Blech gefolgt von tiefem Holz, wunderbar das Kontrafagott – oder war’s eine Ophikleide? Ebenso gut einmal mehr die Harfen über flirrenden Streichern. Das Ganze hatte viel Atmosphäre, und die ging im letzten Satz weiter: In Neptun sangen die Damen des lettischen Staatschors Latvija aus der Ferne, hinter der Bühne, bei geöffneter Tür, die sich im wohl „ersten Fade Out der Musikgeschichte“, so das Programmheft, allmählich schloss. Chorisches Atmen vom Feinsten zu Beginn, betörend schöner Gesang durchweg.
Pluto war zum Zeitpunkt der Komposition noch nicht entdeckt und ist inzwischen auch nicht mehr als Planet klassifiziert.
Ein gutes Konzert, zwar mit ein paar Abstrichen, aber dennoch unter denkbar widrigen Umständen mit Leidenschaft und Verve auf sehr hohem Niveau musiziert. Merci!
Dr. Brian Cooper, 10. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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