„Die tote Stadt“ III in Hamburg: (Welt)-Klasse klingt anders!

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Alexey Bogdanchikov, Marta Swiderska, Charles Workman, Manuela Uhl,  Staatsoper Hamburg

Bei der letzten Aufführung – hoffentlich mit Klaus Florian Vogt und Allison Oakes – am 13. Oktober 2018 kann nur alles besser werden…. KLASSIK-BEGEISTERT.DE EMPFIEHLT: GEHEN SIE UNBEDINGT HIN, WENN SIE IN HAMBURG SIND!

Foto: © Westermann
Hamburgische Staatsoper,
10. Oktober 2018
Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt

von Leonie Bünsch und Andreas Schmidt

Viele Plätze bleiben leer an diesem Abend in der Hamburgischen Staatsoper. Es ist die vorletzte Vorstellung von Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ in dieser Saison und es scheint, als sei die Luft bereits jetzt raus. Ganz ehrlich: Selten war ein Opernbesuch in der Staatsoper derart schmerzhaft!

Schuld daran sind weder Korngolds großartige (!!!) Bühnenmusik noch die ausgeklügelte Inszenierung von Karoline Gruber.

Es sind die Sängerinnen und Sänger, die den Abend zu einer herben Enttäuschung machen. Alexey Bogdanchikov und Marta Swiderska eröffnen die Oper als Frank und Brigitta. Ihre Stimmen klingen von Beginn an so blass und farblos, dass binnen weniger Sekunden die Vorfreude auf die Hauptrolle steigt. Charles Workman als Paul sitzt bereits auf seinem Stuhl, den Zuschauern den Rücken zugewandt. Dort trauert er um seine geliebte Marie, deren Haar er wie eine Reliquie aufbewahrt und anbetet.

Als Workman zu singen beginnt, verpufft die vorher dagewesene Vorfreude auf einen Schlag. So angestrengt und unsauber hat schon lange keine Titelpartie gesungen. Gerade in den Höhen hat der Tenor arge Probleme. Dazu kommt, dass keiner der drei Singenden auch nur ansatzweise zu verstehen ist. Gegen das Orchester kommen sie stimmlich nicht an. Die Obertitel sind an diesem Abend ein Segen!

Damit ist diese wirklich großartige Oper, dieser kongeniale Geniestreich des jungen Erich Wolfgang Korngold, dieser Melodienrausch und diese Ausgeburt an musikalischem Einfallreichstum und klanglicher Raffinesse auch an diesem Abend leider nicht einmal ansatzweise Mittelmaß im Haus an der Dammtorstraße. Und das ist wirklich schade bei so einer Jahrhundert-Oper!

Es bleibt zu fragen, wer vom HH-Opern-Team solche Sänger wie Workman und Bogdanchikov in das Opernhaus der zweitgrößten deutschen Stadt holt? Hören die Verantwortlichen nicht, dass es sich hier um Sänger handelt, die gemeinhin nationalen oder gar internationalen Ansprüchen nicht (mehr) genügen? Sogar bei YouTube gibt es Aufnahmen, die von dem Mittelmaß, vom mediokren Timbre und von der Fehleranfälligkeit dieser SängerInnen zeugen… Voraussetzung: Die Verantwortlichen sind in der Lage, Abweichungen von einem viertel bis halben Ton zu hören und können diese Stimmen mit international anerkannten Sängern vergleichen.

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Charles Workman, Manuela Uhl, Staatsoper Hamburg

Aber es geht auch ganz anders, wie die erste Aufführung am 2. Oktober gezeigt hatte – mit den internationalen Spitzenkräften uns wie immer alle Töne treffenden und schön singenden Klaus Florian Vogt (Tenor) und Allison Oakes (Sopran): Diese beiden Ausnahme-Sänger leisteten Großartiges und sollen auch noch einmal am 13. Oktober 2018 singen. ES GIBT NOCH REICHLICH KARTEN… KLASSIK-BEGEISTERT.DE EMPHIEHLT JEDEM OPERN-FREUND: LASSEN SIE SICH DAS NICHT ENTGEHEN!!!

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Klaus Florian Vogt, Allison Oakes, Staatsoper Hamburg

Leider bezieht sich diese harsche Kritik nicht nur auf die Stimmen. Auch die schauspielerischen Leistungen überzeugen heute Abend nicht. Paul, der doch von Trauer getränkt ist, der mit seinen seelischen Konflikten kämpft, da er dabei ist, sich in die Tänzerin Marietta zu verlieben, in der er seine verstorbene Marie sieht, der nicht mehr vermag, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden und unter seinen Wahnvorstellungen Höllenqualen leidet: Diese Rolle bietet nun wirklich so viel Potential, eine emotionale Farbpalette anzubieten. Und auch Marietta, die vor Vitalität sprühen soll und den Witwer durch ihre Energie und Anziehungskraft überzeugen will, von seiner toten Frau Abstand zu nehmen, bietet eine Rolle, in der man zeigen kann, was in einem steckt.

Transportiert wird jedoch: nichts. Starr sind die beiden, als hätte man sie in ihre Rollen zwingen müssen.

Die Inszenierung bietet dagegen großes Potential und auch das Bühnenbild ist großartig. Das Symbol der Haare zieht sich durch mehrere Ebenen. Es ist Kulisse und Requisite zugleich. Marie scheint damit allgegenwärtig zu sein, ohne auch nur einmal als Person in Erscheinung zu treten. Alles verschmilzt in dieser Oper: die tote Stadt und die tote Frau, die verschiedenen Frauenfiguren, Traum und Wirklichkeit. Kinder werden zu Puppen, ein Kleiderschrank zum Sarg. So wie Korngold durch seine Leitmotive musikalische Fäden spinnt, tut es Karoline Gruber durch die Liebe zum Detail.

Auch die Idee der allmählichen Verwandlung des Frank überzeugt. Pauls Freund, der ihn von Beginn an warnt vor dem Festhalten an der Verstorbenen, wird mehr und mehr zum Repräsentanten des Vergänglichen, des Jenseits. Zunächst tritt er als Pierrot auf. Hier übrigens zeigt Bogdanchikov endlich einmal Präsenz, sowohl körperlich als auch stimmlich. Offenbar braucht er ein gutes Kostüm, um seiner Rolle gerecht zu werden. Auch als Todesengel, der am Schluss die Ermordung von Marietta durch Paul bezeugt, Paul aber auch einen neuen Weg aufzeigt, macht er eine gute Figur.

Insgesamt wirkt der zweite Teil der Vorstellung weitaus packender. Die Handlung spitzt sich im dritten Bild dramatisch zu, Korngolds Musik kulminiert in einer düsteren Ekstase, die Chöre – als schaurige Puppen verkleidet – erregen Aufmerksamkeit. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, das im Gegensatz zu den Sängern in Topform ist, gibt zum Schluss noch einmal alles und begleitet Paul mit herrlich zarten Tönen hinein in die Erkenntnis, dass alles nur ein Traum war.

Damit geht ein ausgesprochen aufwühlender Abend zu Ende. Der Schlussapplaus spiegelt die Bandbreite an Reaktionen deutlich wieder: von euphorischem Jubel über konsequente Applaus-Verweigerung bis hin zu ratlosem Kopfschütteln ist alles dabei. Von hysterischen Beifallswogen, wie sie Korngold bei der Uraufführung 1920 in Hamburg entgegenschlugen, war man jedoch weit entfernt.

Leonie Bünsch, 11. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

 

 

 

 

5 Gedanken zu „Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Alexey Bogdanchikov, Marta Swiderska, Charles Workman, Manuela Uhl,
Staatsoper Hamburg“

  1. Mit Verlaub, da muss ich einiges richtig stellen. Die beiden Hauptpartien sind von Workman und Uhl sehr wohl angemessen bewältigt worden. Diese Partien gehören zu den schwersten der Opernwelt, da sie extreme Höhen und grosse Durchschlagskraft, zugleich viel Lyrik und parlando verlangen. Ich habe dieses Werk mit seinen hohen Anforderungen an verschiedenen Opernhäuser erlebt, zuletzt in Berlin und Dresden. Auch habe ich eine Vorstellung in der Premierenstaffel besucht. Frau Uhl hat einen klaren Sopran mit Brillanz und Durchschlagskraft. Unangenehm habe ich das nie empfunden. Das muss man erstmal so singen können. Gleiches gilt für Herrn Workman. Absurd gar ist der Vorwurf, zu wenig „Action“ erlebt zu haben. Das ist ein Thema, dass höchstens der Regisseurin anzulasten ist. Genau so scheint sie es gewollt zu haben, so jedenfalls habe ich es auch in der Premiere empfunden. Diese Aufführung und ihre Sänger, die fachlichen Fähigkeiten des Hamburger Opernteams in Bausch und Bogen runterzumachen, ist weder angemessen, noch wird es dem Abend gerecht. Entgegen hanseatischer Gepflogenheit war der Applaus ausgesprochen heftig und lang. Insbesondere Frau Uhl wurde gefeiert und bekam von vielen Seiten Bravos. Ich verstehe nicht, wie Frau Bünsch derart verzerrt berichten kann und warum.

    1. Sehr geehrte Frau Welter,

      ich bin, sorry, ganz bei Frau Bünsch. In keinster Weise geht es klassik-begeistert.de darum, „diese Aufführung und ihre Sänger, die fachlichen Fähigkeiten des Hamburger Opernteams in Bausch und Bogen runterzumachen“!!! Im Gegenteil: Wir haben in drei Kritiken auch die positiven Aspekte deutlich betont!
      Die Komposition: Weltklasse! Das Bühnenbild: Weltklasse! Klaus Florian Vogt und Allison Oakes: Weltklasse! „Frau Uhl hat einen klaren Sopran mit Brillanz und Durchschlagskraft“, schreiben sie. Nun, da muss ich Ihnen leider sagen: Immer wenn ich Frau Uhl gehört habe, fiel Sie auf durch: viele falsche Töne und ein mitunter unangenehmes Timbre. An der Deutschen Oper Berlin durfte ich erleben, wie sie heftig ausgebuht wurde… Um die Fehler der Frau Uhl (die auch auf Facebook zu hören sind) wahrzunehmen, muss man natürlich in der Lage sein, Abweichungen von einem viertel und halben Ton herauszuhören…. Als ich Frau Uhl in der „Toten Stadt“ in Hamburg gehört habe, war der Applaus eher dezent, euphorisch keinesfalls…
      Wenn Sie diesen Blog regelmäßig lesen, werden Sie auch feststellen, dass wir sehr gute und herausragende Leistungen im Hause an der Dammtorstraße explizit herausstellen… So etwa den neuen „Parsifal“ von Richard Wagner und „Luisa Miller“ von Giuseppe Verdi.
      Herzliche Grüße
      Andreas Schmidt M.A.
      Herausgeber
      klassik-begeistert.de

  2. … P.S. Und auch Herr Workman entsprach bei seinen beiden Auftritten nicht dem Niveau, das sich ein erfahrener Opern-Freund wünscht. Zwischen seinem ersten, mit vielen Fehler behafteten Auftritt etwa und den beiden Gala-Abenden von Klaus Florian Vogt lag leistungsmäßig eine Galaxie.

    Andreas Schmidt

    1. Sehr geehrter Herr Schmidt,

      es mag sein, dass Sie ½- und ¼-Tönen hören. Das ist aber nun alles andere als eine Seltenheit. Ihre Betonung darauf lässt mich schon schmunzeln.

      Korngolds „Tote Stadt“ ist ein überaus komplexes Werk. Ohne tiefer gehendes Partitur-Studium (wenn man es denn kann…), kann man solche Aussage, wie „falsche Töne“ nicht treffen. Hier sind zahlreiche Dissonanzen, harmonische und rhythmische Vorhalte und Rückungen. Reibungen sind durchaus bewusst von Korngold gestaltet.

      Ob Frau Bünsch oder Sie oder Frau Grodzinska das alles beurteilen können, stelle ich mal in Frage. Den Nachweis von Sachkenntnis und Kenntnis der Regeln guter Kritiken Ihrer Rezensenten stehen noch aus: Jedenfalls ist weder in der Terminologie noch in der Methodik für mich Fundiertes feststellbar.(…)

      Eine „gute“ Kritik besteht doch im besten Fall aus einer sachlichen Schilderung der Gegebenheiten (Chronistenpflicht) und einer deutlich als subjektiv gekennzeichneten Einschätzung des Gewesenen, und dies möglichst vor dem Hintergrund einer langjährigen Kenntnis eines Stückes, seiner spezifischen Anforderungen – und das alles verbunden mit einem großen Erfahrungsschatz, der Vergleiche möglich macht. Diese Grundsätze und Fertigkeiten vermisse ich ebenso in Ihrem Forum, wie Respekt vor den Protagonisten und ihren Leistungen.

      Herr Schmidt, es ist natürlich ihr gutes Recht, eine Stimme zu mögen oder auch nicht. Das sind Geschmacksfragen. Auch der von mir geschätzte Klaus Florian Vogt polarisiert bis heute. Ein Blick in „operabase“ auf die vergangenen und künftigen Engagements von Frau Uhl zeigt, dass sie als Künstlerin an vielen bedeutenden Häusern geschätzt und wiederholt engagiert wird. Und das zu Recht, wie ich – und viele andere Menschen – finden. (…)

      Das betrifft auch Ihre Schilderung der Lohengrin-Aufführung in Berlin. Als ich das bei Ihnen las, habe ich im Nachgang mit Herrn Vogt über den Abend gesprochen. Er hat mir gesagt, dass die Buhs von 3 bis 4 Personen aus dem 1. Rang vorne links kamen, nicht mehr – dagegen stand auch viel Zustimmung für Frau Uhl. (…)

      Auch in der „Toten Stadt“ war es ein – für Hamburger Verhältnisse – überaus starker Schlussapplaus für alle Beteiligten, besonders aber – und zwar mit vielen Bravos – für Frau Uhl. (…)

      Unter „Klassik begeistert“ könnte man sich ein Forum vorstellen, in dem Menschen ihre Begeisterung ausdrücken, so etwa, wie RA Poser es in seiner sorgenvollen Vogt-Hymne getan hat. Als Forum für unausgereifte Rezensionsversuche von „ohrenscheinlichen“ Laien, die entweder nur „Weltklasse“ und „ganz mies!“ zu kennen scheinen und nichts dazwischen, ist es durchaus überflüssig.

      Ruth Welter

      1. Liebe Frau Welter,

        herzlichen Dank für Ihren ausführlichen Beitrag.

        Wenn Sie klassik-begeistert.de regelmäßig lesen, werden Sie feststellen, dass alle AutorInnen ein Herz für Klassik und Oper haben und meist sehr positiv und empathisch berichten.

        Wir berichten mit Sachverstand und sprachlich so, dass alle Leser meist große Freude daran haben.
        klassik-begeistert.de ist ein musikalischer und ein journalistischer Blog. Wir schreiben keine
        Quartalsberichte für Gelehrte.

        Unsere Meinungen bezüglich Frau Uhl gehen auseinander. Ich kenne viele Opernbesucher, die wie ich ihre immer wieder auftretenden Fehler genau hören. Das ist auch bei einem Werk wie „Die tote Stadt möglich“ – Voraussetzung ist allein ein gutes Gehör und ein wenig Kenntnis des Werkes. Ich habe es schon 25 Mal live gehört…

        Und, werte Frau Welter: Richtige Töne sind schon wichtig in der Musik. Sehr wichtig! Ein halber Ton ist eine kleine Galaxie – von der weißen zur schwarzen Taste auf dem Klavier… Wenn SängerInnen Töne um etwa einen halben Ton falsch ansingen, ist dies für Menschen mit gutem Gehör, Menschen die Instrumente spielen oder im Chor singen, befremdlich, nicht schön, störend. Falsche Töne trüben einen Opernabend. Sie tun Menschen, die gut hören können, weh. Psychisch und physisch.

        Nach meinen Beobachtungen und Gesprächen können etwa ein Fünftel bis ein Viertel aller Besucher der Hamburgischen Staatsoper Abweichungen von einem halben Ton hören. In der Wiener Staatsoper sind es deutlich mehr…. Wien ist eine musikalischere Stadt als Hamburg. Das Klassik-Gen ist dort weitaus verbreiteter. In fast jedem Wiener Treppenhaus erklingt jeden Tag klassische Musik – aus dem Lautsprecher und self made – Hausmusik.

        Bei richtigen Tönen fängt die Musik überhaupt erst an. Erst dann geht es um Ausdruck, um Gefühl, um Emotionen, um Passion, um Devotion. Sie sind es, die Musik unsterblich und oft göttlich machen.

        Herzlich vom Festival Verdi in Parma, wo fast keine falschen Töne zu hören sind…

        Andreas Schmidt
        Herausgeber
        klassik-begeistert.de

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