Stehende Ovationen und ein paar Tränen : Soheil Nasseri führt sein Publikum gekonnt durch den Abend

Soheil Nasseri, Klavierkonzert,  Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin

Foto: © Werner Schüring
Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin,
18. Oktober 2018
Klavierkonzert von Soheil Nasseri

von Yolanda Marlene Polywka

Auf die Minute genau um 20 Uhr betritt Soheil Nasseri die Bühne im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Der gebürtige Amerikaner und Sohn iranischer Einwanderer ist auf Anhieb sympathisch und hat das mitunter sehr wählerische Berliner Publikum sofort auf seiner Seite – spätestens mit seinen bewegenden Erläuterungen zum ersten Stück des Abends.

Denn Viktor Ullmann, geboren 1898 im damaligen Österreich-Ungarn und ermordet 1944 in den Gaskammern des Konzentrationslagers Auschwitz, ist den meisten Zuhörern kein Begriff. Ullmann, der unter anderem ein Schüler Arnold Schönbergs war, schrieb die Sonate Nr.7 kurz vor seinem Tod. Nasseris Erläuterungen werden mit höflichem Beifall bedacht, der sich schlagartig steigert, als der Pianist den Ehrengast des Abends vorstellt: Margot Friedländer, Mitinsassin Ullmanns im KZ Theresienstadt, in dem der Komponist zahlreiche seiner Stücke schrieb.

Später entsteht noch ein wunderbar witziger Moment, als Nasseri die Blumen, die ihm auf die Bühne gereicht werden, an die von ihm mit ihrem Vornamen angesprochene Margot weitergeben möchte, die allerdings lachend signalisiert, dass sie die Hände bereits voller Blumen habe. Daraufhin werden Sträuße hin und her gereicht, bis der Künstler mit einem Augenzwinkern sagt, dass er nun wirklich arbeiten müsse – obwohl sein Spiel zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt, dass es sich dabei um Arbeit handeln würde.

So ernst der Abend mit Ullmanns melancholischer Sonate begonnen hat, so ausgelassen endet er. Auf Ullmann folgen das Rondo in C-Dur, op. 51 Nr.1 Ludwig van Beethovens und seine Sechs Bagatellen, op. 126. Ersteres schrieb Beethoven mit Mitte 20; das Idol seiner junger Jahre, Wolfgang Amadeus Mozart, ist deutlich herauszuhören. Der Unterschied zu den Bagatellen, die der Komponist am Ende seines Lebens, taub und halbblind, verfasste, könnte kaum größer sein, und der Pianist weiß ihn gekonnt herauszuarbeiten. Die andächtige Stille zwischen den Stücken kann nicht einmal das Handyklingeln aus Block H stören.

Nach der Pause folgt – Zitat Soheil Nasseri: – „der spaßige Teil des Abends“: Frédéric Chopins Andante spianato et Grande Polonaise brillante, op. 22 lädt zum Träumen ein. Nasseris Finger scheinen die Tasten des Steinway-Flügels förmlich zu streicheln. Er beendet das Stück furios und reißt die Arme in die Höhe. Doch das Highlight kommt wie immer zum Schluss. Mit zehn von Johannes Brahms‘ eigentlich 21 Ungarischen Tänzen hat sich Nasseri einiges vorgenommen, und er kommt zwischenzeitlich ganz schön ins Schwitzen, muss sich immer wieder das Gesicht abtupfen. Irgendwann zieht er sich sogar auf der Bühne die Schuhe aus und pfeffert die Einlagen mit einem charmanten Kommentar in die Ecke.

Trotz dieser zahlreichen lustigen, kleinen Momente lässt Soheil Nasseri die Zuhörer nie vergessen, was für ein genialer Künstler er ist. Besonders sein Chopin perlt großartig durch den Raum, und man merkt, dass er mit dem Stück sehr vertraut ist. Spannungsgeladene Pausen lässt er da, wo es angebracht ist, stellenweise erschlägt einen sein furioses Spiel beinahe. Auch die Ungarischen Tänze kommen spürbar gut bei den Konzertbesuchern an. Mit Viktor Ullmanns Sonate hat er sich keinen leichten Einstieg gewählt, die Gegensätze zu den nachfolgenden Stücken sind groß. Sein Mut und vor allem sein wunderschönes Spiel werden dann aber mit stehenden Ovationen und Bravo-Rufen seiner Zuhörer belohnt. Letztlich muss er den Applaus mit einem Blick auf die Zeit sogar selbst beenden – das Publikum möchte ihn am liebsten gar nicht mehr von der Bühne lassen.

Fazit des Abends: Handys gehören in Konzerten ausgeschaltet, ein guter Pianist kann auch in Socken überzeugen und vor allem ist er wirklich ein wahnsinnig sympathischer Typ, dieser Soheil Nasseri.

Yolanda Marlene Polywka, 19. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

2 Gedanken zu „Soheil Nasseri, Klavierkonzert,
Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin“

  1. Eine sehr schöne Rezension. Ich war zwar nicht in Berlin, habe Soheil Nasseri aber kurz darauf mit dem gleichen Programm in Bonn erlebt und bestätige gern, dass auch hier das Publikum von seinem Spiel hingerissen war. Seine Einführung zur Ullmann-Sonate fand ich ganz besonders bewegend, und die Sonate selbst ließ keine Zweifel daran, dass man Ullmanns Kompositionen unbedingt mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte. Am meisten beeindruckten natürlich die von Brahms selbst für Klavier zu zwei Händen herausgegebenen zehn Ungarischen Tänze, die vermutlich im Schwierigkeitsgrad hinter „Gaspard de la Nuit“ von Ravel nicht zurückstehen. Ein grandioser Pianist, von dem man hoffentlich noch viel zu hören bekommen wird…
    Ernst Sell

  2. Rufe mir zum ersten Mal diese Seite auf, weil Soheil Nasseri – und heute wieder – in unser Haus gekommen ist, um uns „Altvordere“ mit seiner so erfrischenden Persönlichkeit und seinem so tief greifendem Können zu beglücken. Als passionierte Klavierspielerin sehr alten Datums ohne Markierendes an Ausbildung durch Krieg, Flucht und Lebensgeschichte, ist diese bemerkenswerte künstlerische Persönlichkeit auch familiengeschichtlich im Werden und Wachsen ein (Lasten)-Träger von Verwerfungen in der Menschheitsgeschichte, die so dringend immer wieder – und dies auf die zugänglichste Weise für alles Menschliche – durch die Sprache der Töne Zugang finden kann in das Innerste von Verstehen lernen können … ich danke sehr!

    Editha von Hülsen

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