Foto: Peter Hundert (c)
Der Zuhörer erfährt Schauer des Glücks, erlebt ein tiefes inneres Dauer-Grinsen. Es ist schon sehr, sehr viel passiert in der Elbphilharmonie in Hamburg, diesem wunderbaren Musiktempel an der Elbe, doch diese Bruckner-Aufführung gehört zu den allergrößten Highlights in der bisher so glorreichen Elbphilharmonie-Ära!
Elbphilharmonie Hamburg, 11. Oktober 2018
NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert, Dirigent
Inon Barnatan,Klavier
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 E-Dur
von Sebastian Koik
Das wunderbare Vorspiel eines gewaltigen Konzertes:
Der Abend in der Elbphilharmonie Hamburg am 11. Oktober 2018 beginnt mit Ludwig van Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58. Am Flügel sitzt Inon Barnatan. Er beginnt sanft, zärtlich und voller Innerlichkeit. Er spielt mit leicht wirkender Souveränität, mit präzisen, schnellen Läufen und schön konturierten Tönen. Der Vortrag im ersten Satz ist sehnsuchtsvoll und sehr musikalisch.
Den zweiten Satz beginnt das Orchester herrlich grimmig, kraftvoll und stark. Ein paar Takte lang ist die Musik erfüllt von roher Gewalt. Der Solist Inon Barnatan spielt dann herrlich zart auf dem Flügel. Der Kontrast zum Orchester-Part ist wundervoll! Der amerikanisch-israelische Pianist lässt den Flügel luftig leicht singen.
Auch im dritten Satz lässt Barnatan seine Finger über die Tasten fliegen. Das Orchester könnte hier allerdings ein klein wenig spritziger und leichter klingen.
Dann Bruckner. Siebte Sinfonie. Es wird ein Fest!!!
Von Beginn an musiziert das NDR Elbphilharmonie Orchester stark. Es passt alles! Die musikalische Spannung ist groß. Der Vortrag ist von makelloser Präzision und herrlicher Schärfe. Das Musizieren ist voller Reife und Eleganz. Ganz große Klasse! Das wunderbare Orchester erzeugt Musik voller Dringlichkeit, Dramatik, Intensität, Leidenschaft, agiert kraftvoll, zupackend und herrlich mutig. Der erster Satz gelingt dem Orchester unter seinem designierten Chefdirigenten sensationell!
Und in der Qualität geht es weiter: Im zweiten Satz darf das glückliche Publikum in zauberhaftem Klang baden, grenzenlose Schönheit genießen! Das Hamburger Spitzenorchester lädt ein zum Eintauchen in die Musik, präsentiert Klangkultur allererster Güte! Als Zuhörer kann man sich davontragen lassen. Das Streicherkollektiv tänzelt mit einer begnadeten Leichtigkeit! Das ist Weltklasse!
Alan Gilbert macht hier einen hervorragenden Eindruck, scheint eine sehr gute Verpflichtung als neuer Chefdirgent der wunderbaren Hamburger zu sein! Grandios ist das Blech, der Paukist schlägt perfekt. Die Streicher und Holzbläser spielen atemberaubend schön!
Als Zuhörer ist man begeistert, wach, aufmerksam. Gleichzeitig aber auch entspannt, ruhig. Man analysiert nicht, denkt nicht nach. Stattdessen reiner Genuss. Man ist erfasst von einem wunderbaren Rausch. Es ist ein klarer Rausch. Man ist vollkommen da, im Hier und Jetzt, maximal präsent – aber das Ganze mit vollkommen ruhigem Geist, mit herrlich leerem Kopf. Es gibt keine Sekunde von Langeweile in diesem langen Bruckner-Stück. Keinen Moment schweift man ab. Auch dieser zweite Satz ist ganz, ganz groß!
Im dritten Satz bläst das Blechbläser-Ensemble mit aller Macht den letzten trüben oder überflüssigen Gedanken weg!
Die Klangmacht des Orchesters beglückt! Und im nächsten Moment bekommt das Publikum zartesten Streicher-Zauber auf die Ohren! Wahnsinn! Gänsehaut! Schauer der Begeisterung!
Und so geht es weiter. Auch der vierte Satz begeistert maximal. Der Zuhörer erfährt Schauer des Glücks, erlebt ein tiefes inneres Dauer-Grinsen.
Es ist schon sehr, sehr viel passiert in der Elbphilharmonie in Hamburg, diesem wunderbaren Musiktempel an der Elbe, doch diese Bruckner-Aufführung gehört zu den allergrößten Highlights in der bisher so glorreichen Elbphilharmonie-Ära!
Sebastian Koik, 31. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Als Besucher dieses Konzerts am 11. Oktober 2018 im Großen Saal der Elbphilharmonie kann ich diesen späten Konzertrückblick – von „Kritik“ kann ja hier mit Blick auf die Aneinanderreihung von Superlativen kaum die Rede sein – nicht teilen.
Ohne Zweifel war es ein schöner Konzertabend mit sehr ordentlichen, überdurchschnittlichen Darbietungen von Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 sowie Bruckners 7. Sinfonie, und die unvergleichliche Atmosphäre des Hamburger Musiktempels trug sicherlich dazu bei, dass man sich gerne und mit positivem Gesamteindruck daran erinnert. Von einer Weltklasseleistung möchte ich indes nicht sprechen, denn dazu war die Leistung des Orchesters in einigen Details doch zu durchwachsen. Speziell bei Bruckners Siebter fielen mir gelegentliche, jedoch durchaus ins Gewicht fallende Schwächen bei den Bläsern – insbesondere den Hörnern – auf. Für meine Begriffe gibt es hier noch deutliches Steigerungspotenzial auf dem Weg hin zu einem echten Spitzenklangkörper.
Vermutlich hängt die Wahrnehmung allfälliger Ungenauigkeiten in den einzelnen Instrumentengruppen jedoch (auch) davon ab, wo genau man sitzt. In diesem Falle saß ich recht hoch hinter dem Orchester (Bereich O Reihe 1) mit unverstelltem Blick auf die fraglichen Bläsergruppen. Dass sich hier andererseits der Gesamteindruck des Klangs etwas unausgewogener darstellt als frontal vor dem Orchester, ist ebenfalls klar – eine Beurteilung von diesem rückwärtigen Platz aus dürfte insofern schwierig sein.
Folglich relativieren sich die individuellen Eindrücke, die man aus einem Konzert mitbringt, und vielleicht sollte man als Bestandteil einer Konzertkritik generell den Platz nennen, von dem aus man die Aufführung erleben durfte – zumindest, wenn es um Konzertsäle geht, in denen der Klangeindruck derart stark von der Position des Zuhörers abhängt, wie es im Großen Saal der Elbphilharmonie der Fall ist.
Roland Stuckardt