Artemis Quartett: ein unverkennbar schöner, warmer Ton, nuancierte Pianotöne, ein genaues Aufeinanderreagieren, höchste Perfektion und ein ungewöhnliches Auftreten

Artemis Quartett,  Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal

Foto: wikipedia.de (c)
Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal
, 21. November 2018
Artemis Quartett
Vineta Sareika, 1. Violine
Anthea Kreston, 2. Violine
Gregor Sigl, Viola
Eckart Runge, Violoncello

von Kirsten Liese

Die Kammermusik hat keinen leichten Stand, aber zum Glück gibt es so wunderbare Formationen wie das nach der griechischen Jagdgöttin benannte Artemis Quartett, das es kraft seines hohen Niveaus immer wieder schafft, Säle zu füllen, die bei anderen Gruppierungen oftmals halb leer bleiben. Man will es kaum glauben, dass die Formation im kommenden Jahr schon auf eine 30-jährige Geschichte zurückblicken kann, eine bewegende mit so manchen Besetzungswechseln.

Nach dem tragischen Tod des Bratschers Friedemann Weigle scheiden Mitte nächsten Jahres zwei weitere Mitglieder aus: Cellist Eckart Runge, Gründer des Quartetts, will sich neuen Aufgaben widmen, ebenso verlässt die zweite Geigerin Anthea Kreston die Gruppe. Ihre Nachfolger sollten noch in diesem Herbst bekannt gegeben werden, aber noch ließen sich keine Namen vernehmen.

Insofern verfolgte man das jüngste Konzert im Berliner Kammermusiksaal mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Um vollendet miteinander musizieren zu können, bedarf es schließlich oftmals vieler Jahre gemeinsamer Arbeit. Niemand wusste das besser als der mittlerweile fast 100-jährige Pianist Menahem Pressler, der ebenfalls mehrfach für sein legendäres Beaux Arts Trio neue Kameraden finden musste und schließlich das Trio auflöste, als ihm sein letzter Geiger Daniel Hope – ehrgeizig von solistischen Ambitionen überwältigt – abhanden kam. Mit traurigen Konsequenzen für die Kammermusik: Ein so gutes Trio gibt es nun nicht mehr, hervorragende Geigensolisten dagegen mehr als genug.

Begnügen wir uns also vorerst mit den exquisiten Qualitäten, die das Artemis bei seinem jüngsten Berliner Auftritt zu bieten hatte: einen unverkennbar schönen, warmen Ton, nuancierte Pianotöne, ein genaues Aufeinanderreagieren, höchste Perfektion und ein ungewöhnliches Auftreten.  Seit jeher spielen die Artemis-Vier mit Ausnahme des Cellisten im Stehen. Die Tradition geht auf ihre erste Geigerin Natalia Prishepenko zurück, die aufgrund von starken Rückenschmerzen  im Sitzen nicht musizieren konnte, sympathischerweise behielten die Musiker diese Gewohnheit nach dem Ausscheiden der Russin bei.

Schon Haydns g-moll Quartett op. 74/3 wurde an diesem Abend zu einer Raffinesse, mit der gebotenen Spritzigkeit und Verve vorgetragen und exakt gut abgestimmt im Zusammenspiel. Im Idealfall sollte man nicht hören, wenn ein Instrument das Motiv eines anderen übernimmt und weiterspinnt, und genau so war es hier. Vineta Sareika, Anthea Kreston, Gregor Sigl und Eckart Runge haben sich tonlich, farblich und dynamisch ganz aufeinander eingestimmt.

Den Beinamen „Reiterquartett“, der nicht von Haydn selbst stammt,  wurde dem Werk wohl angesichts der durch Vorschläge geschärften Oktavsprünge im Kopfsatz angedichtet, aber mehr noch assoziierte man  in dieser Interpretation das „galoppierende“, markant rhythmisierte, muntere Anfangsmotiv im Finalsatz mit dem kuriosen Beinamen. Dieses Allegro con brio musizierten die Vier für meinen Geschmack etwas zu schnell, „con brio“ bedeutet zwar feurig, aber keineswegs gehetzt. Fairerweise sei allerdings hinzugefügt, dass alle anderen heutigen Quartette vergleichbar rasche Tempi wählen, es hat vermutlich etwas mit unserer schnelllebigen Zeit zu tun.  Geradezu hinreißend geriet Vineta Sareika, Anthea Kreston, Gregor Sigl und Eckart Runge dafür das Largo assai, betörend zärtlich, intim und leise musiziert. Spätestens da machte sich auch die große Kennerschaft im Publikum bemerkbar: Kein Huster, kein Rascheln störte die herrliche empfindsame Musik!

Das vierte Streichquartett des Ungarn Bela Bartók gab vor allem dem scheidenden Cellisten Runge Gelegenheit, etwas exponierter seinen samtenen Celloton im schwermütigen  Non troppo lento hören zu lassen.

Das Werk gilt vor allem angesichts ungewöhnlicher Spielpraktiken als wegweisend für Bartóks kompositorische Entwicklung. Das col legno-Spiel, also das Schlagen mit der Bogenstange auf die Saiten, gehört ebenso zu diesen Praktiken wie das dichte Spiel am Steg oder am Griffbrett und ein verstärkter Einsatz von Pizzicati. Vor allem das durchweg gezupfte Allegretto pizzicato, entfaltete hier, von allzu dissonanten Tonschichtungen verschont und vor allem auch in seiner Eingängigkeit einen besonderen Reiz.

Was für Empfindungen aber regen sich erst, wenn mit op.51/2 von Johannes Brahms das genialste Werk des Abends ertönt, in der denkbar intimsten Tongebung und ungemein beseelt.

Kummer, Trost, Melancholie und Hoffnung, alles schwingt in dieser überwiegend lyrischen musikalischen Achterbahnfahrt mit. Der Gesamtklang wirkt dabei stets transparent, luzid und ausgewogen, keiner der Vier drängt sich auch nur einen Moment solistisch in den Mittelpunkt. Das mitreißende, synkopierte, ohrwurmartige Hauptmotiv des Finales freilich, bestimmt und energisch von der ersten Geige angestimmt, ging einem noch auf dem Weg nach Hause durch den Kopf.

Kirsten Liese, 22. November 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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