Sommereggers Klassikwelt 262: Vor 70 Jahren starb der Dirigent Wilhelm Furtwängler

Sommereggers Klassikwelt 262: Wilhelm Furtwängler  klassik-begeistert.de, 27. November 2024

Foto: Erich Salomon, Wilhelm Furtwängler / Berlin

Wenn die Musikwelt am 30. November, seinem 70. Todestag, erneut des unvergessenen Dirigenten Wilhelm Furtwängler gedenkt, so ist er bereits länger verstorben, als er gelebt hatte. Mit 68 Jahren starb er an den Folgen einer Lungentzündung in der Nähe von Baden-Baden.

von Peter Sommeregger

Nicht mehr viele Menschen können von sich sagen, den Dirigenten noch im Konzertsaal oder in der Oper erlebt zu haben. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb ist Furtwänglers Nachruhm längst zur Gloriole, zum Heiligenschein geworden.

Der Sohn eines berühmten und erfolgreichen Archäologen, Adolf Furtwängler, und einer Malerin entwickelte schon früh eine starke Affinität zur Musik, sah sich als zukünftiger Komponist. Das bildungsbürgerliche Elternhaus förderte seine Neigungen. Er erhielt Privatunterricht, schloss aber niemals eine Ausbildung ab.

Seine ersten Stellungen als Musiker bekleidete er in Berlin, Breslau und München, anfangs als Korrepetitor und Chorleiter, bis ihn schließlich Hans Pfitzner als 3. Kapellmeister nach Straßburg engagierte.

Erstmals Operndirektor wurde er anschließend in Mannheim, nach weiteren Stationen übernahm Furtwängler nach dem plötzlichen Tod von Arthur Nikisch 1922 die Leitung des Orchesters der Berliner Philharmoniker und ebenfalls die Leitung des Leipziger Gewandhausorchesters. Damit hatte er die absoluten Spitzenpositionen des deutschen Musiklebens erobert, zusätzlich wurde ihm auch eine hohe Position an der Deutschen Staatsoper Berlin eingeräumt, er übernahm ebenfalls die Gesamtleitung der Bayreuther Festspiele.

Schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begannen Differenzen zwischen den neuen Machthabern und dem liberalen und eher unpolitischen Musiker, der sich speziell der Ausgrenzung jüdischer Musiker widersetzte. In den folgenden Jahren erwog Furtwängler mehrfach, Deutschland zu verlassen, entschied sich dann aber doch zum Bleiben, was nach Kriegsende zu einem Berufsverbot durch die Alliierten führte, und ihn für längere Zeit als opportunistischen Liebling der Nazis gelten ließ. Erst die Zeugnisse von Zeitgenossen und verschiedenen jüdischen Menschen rückten schließlich sein Bild zurecht.

In seinen späten Jahren erlebte der Dirigent noch zahlreiche Triumphe, sowohl in Deutschland, als auch im Europäischen Ausland.

Eine Tragik seines Lebens bestand darin, dass er sich selbst mehr als Komponist, denn als Dirigent sah. Bedingt durch die starke Auslastung durch seine Dirigententätigkeit blieb sein kompositorisches Werk aber überschaubar. Er sah sich selbst in einer Tradition von Bruckner, Brahms und Max Reger, ohne dabei epigonal zu komponieren. Neben mehreren Kammermusikwerken schuf er ein Klavierkonzert und drei Symphonien, von denen die letzte unvollendet blieb, und erst posthum uraufgeführt wurde. Seine ausladende zweite Symphonie war und ist bis heute das am häufigsten aufgeführte Stück aus seiner Feder.

Wilhelm Furtwängler by Franz Löwy, (c.) 1912

Furtwänglers erste Tonaufnahmen reichen noch zurück in das Schellack-Zeitalter, ein Großteil der späteren Dokumente besteht aus Live-Aufnahmen. So existieren zwei komplette Versionen von Wagners „Ring des Nibelungen“ aus Rom und von der Mailänder Scala, sämtliche Beethoven-Symphonien mit den Wiener Philharmonikern, Opernmitschnitte von den Salzburger Festspielen, sowie Studioaufnahmen des „Fidelio“ und einer „Walküre“, die Teil eines nicht mehr vollendeten Zyklus sein sollte. Auch Filmaufnahmen existieren, wenn auch in kaum akzeptabler Qualität.

Die Einschätzung von Furtwänglers akustischem Erbe ist erschwert durch dessen mangelnde Tonqualität. Mehrfach wurde versucht, durch aufwändiges Remastering deren Qualität zu verbessern, wesentliche Erfolge konnte man dabei aber nicht erzielen. Erst spät tauchte ein besonders interessanter Mitschnitt einer 9. Symphonie von Beethoven, aufgeführt am Vorabend von „Führers Geburtstag“ am 19. April 1942 in Berlin auf. Die extremen Tempi und orgiastisch gestaltete Passagen kann man durchaus als Aufbegehren Furtwänglers gegen das Regime werten.

Leicht fällt eine Einordnung Furtwänglers aufgrund seines akustischen Nachlasses nicht, auch der Mensch Wilhelm Furtwängler wirkt heute ein wenig aus der Zeit gefallen.

Peter Sommeregger, 27. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

4 Gedanken zu „Sommereggers Klassikwelt 262: Wilhelm Furtwängler
klassik-begeistert.de, 27. November 2024“

  1. Wer sich näher mit dem Thema „Furtwängler und die Nazis“ befassen möchte, dem sei Ronald Harwoods 1995 uraufgeführtes Theaterstück „Taking Sides“ empfohlen, das 2001 unter István Szabó verfilmt wurde (Drehbuch: Ronald Harwood).

    Fragen bleiben: Warum hat Wilhelm Furtwängler überhaupt zu Ehren Adolf Hitlers an „Führers Geburtstag“ dirigiert, hätte eine Weigerung Konsequenzen nach sich getragen, und wenn ja: welche?

    Immerhin war WF meines Wissens nie NSDAP-Mitglied. Unvergessen bleibt jedoch der Händedruck mit Hitler. Auf dem Foto ist zu sehen, wie Furtwängler sich vom Podium aus tief zu Hitler hinunterbeugt. Manche sagen natürlich, das habe er getan, um den Hitlergruß zu vermeiden. Eine ziemlich zwiespältige Geschichte bleibt dieser Aspekt seiner Karriere allemal.

    Brian Cooper

    1. Liebe Kollegen,
      das Theaterstück und der darauf basierende Film „Taking Sides“ sind VÖLLIG überholt und verfälschen die Wirklichkeit.
      Bitte lest das Buch von Klaus Lang: „Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung“, erschienen bei Shaker, über das ich weiland in meiner Kolumne auch ausführlich geschrieben habe. Es enthält das Gegenstück, das richtige Theaterstück, das nämlich auf dem lange Zeit unveröffentlichten originalen Protokollen der Entnazifierung basiert. Alles, was da drinsteht, ist authentisch!! Und sichtbar wird hier Wilhelm Furtwängler nicht als ein Angeklagter, sondern als ein Appellant, der absolut bedenkenlos entnazifiziert wurde und unschuldig und völlig rehabilitiert stolz erhobenen Hauptes den Sitzungssaal verließ und überhaupt nicht den Kopf verzweifelt unter seinen Armen vergrub wie in dem blödsinnigen Film.
      Und nicht ein erfundener, ordinärer amerikanischer Major, sondern zwei kurz zuvor aktive deutsche Widerstandskämpfer saßen Furtwängler gegenüber. Das ganze Verfahren ging in Würde vor sich, in Respekt vor dem größten deutschen Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

      Leider wurde das wesentliche Buch von Lang, eine grandiose Recherche-Arbeit, viel zu wenig zur Kenntnis genommen. Die Musikwissenschaft gefällt sich darin, an falschen Übermittlungen festzuhalten, anstatt sich für die Wahrheit zu interessieren. Und so wird immer wieder an dem falschen Furtwängler-Bild festgehalten. Sehr, sehr traurig.

  2. Schön, dass es doch noch ein gewisses Interesse an Wilhelm Furtwängler gibt. Schade, dass man von den bedeutenden Orchestern, mit denen er arbeitete, den Berliner und Wiener Philharmonikern und dem Gewandhausorchester Leipzig nichts vernimmt. Und auch in den Feuilletons der heutigen oder gestrigen Tageszeitungen finde ich nichts.
    Zur Würdigung Furtwänglers und Diskussion seiner Rolle in der NS-Zeit empfehle ich vor allem den Film „Klassik unterm Hakenkreuz“, den Christian Berger 2022 für die Deutsche Welle gedreht hat (auf YouTube wohl immer noch abrufbar). Ganz aktuell ist ein Vortrag des Musikjournalisten Wolfgang Schreiber, den dieser auf einer Matineeveranstaltung der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft (WFG) Mitte September hielt. Den Text „Was können wir von Wilhelm Furtwängler 70 Jahre nach seinem Tod lernen?“ finden Sie auf der Website der WFG: https://furtwaengler.org/aktuelles.html.
    Passend zum heutigen 70. Todestag des berühmten Dirigenten erscheint auch eine 3-Blu-ray-Disc-Box mit audiovisuellen Dokumenten „Insight Wilhelm Furtwängler“.

    Dr. Helge Grünewald
    1. Vorsitzender der Wilhelm-Furtwängler-Gesellschaft, Berlin

    1. Der gerät nicht in Vergessenheit. Dafür sorgt schon Christian Thielemann, der nicht müde wird, seine Bewunderung für Furtwängler kundzutun. Selbst heute, bei der Matinee zu „Palestrina“, ist sein Name gefallen. Fragen Sie mich nicht, in welchem Bezug. Womöglich hat Furtwängler Pfitzners selten gespielte Oper eingespielt, der Kapellmeister mit großen Ohren gelauscht und Erkenntnisse gewonnen? Würde nahe liegen BUT: I don’t know! An der Wiener Staatsoper leitet Christian Thielemann ab kommender Woche die Wiederaufnahme.

      Jürgen Pathy

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