Bild von Clara Begert, frei verfügbar in Wikimedia Commons
Ein junger Mann, der nicht in das Bewertungsschema diverser Kompositionsprofessoren passte und deshalb in diesem Fach nicht studieren durfte, geht nun seit einigen Jahren als Autodidakt seinen eigenen Weg. Und wie gut er dabei vorankommt, war nun am 23. November 2024 im Herkulessaal der Münchner Residenz bei der Uraufführung seiner Bayerischen Symphonie zu erleben.
Münchner Symphoniker
Markus Bauer musikalische Leitung
Herkulessaal, München, 23. November 2024
von Dr. Lorenz Kerscher
Vor wenigen Wochen habe ich mit Andreas Begert noch im Interview über die geplante Uraufführung seiner ersten, der „Bayerischen“ Symphonie gesprochen und nun war der große Tag schon da! Tatsächlich findet seine Musik inzwischen so viel Interesse, dass der Herkulessaal der Münchner Residenz mit seinen 1270 Sitzplätzen fast vollständig gefüllt war. Das eine Stunde dauernde dreisätzige Werk spielten die Münchner Symphoniker unter der Leitung von Markus Bauer, dem Bruder des Komponisten.
Begerts Stil ist tonal, er verzichtet darauf, den Hörer mit Klangexperimenten herauszufordern, und lässt es doch an harmonischer Raffinesse nicht fehlen. Die Symphonie beginnt mit Flächenklängen, die von den Streichern in schnellem Staccato gebildet werden und Aufbruchsstimmung verbreiten. Ein Marschthema, dessen Kraft dem bayerischen Wesen entsprechend in der Ruhe liegt, setzt sich durch und erfährt durch verschiedene Instrumentengruppen eine mächtige Steigerung. Laute Gongschläge und Paukenwirbel lassen keinen Zweifel am Elan dieses Aufbruchs ins Neuland. Ein filigran gestalteter Zwiefacher (der zwischen Zweiviertel- und Dreivierteltakt wechselnde bayerische Volkstanz) bildet eine reizvolle Episode, gefolgt von einem ruhigen und zarten Abschnitt, bis dann das Hauptthema wiederkehrt und den von der Schriftstellerin Emerenz Meier inspirierten 1. Satz kraftvoll abschließt.
Nun wendet sich die Aufmerksamkeit der rechts vom Dirigentenpult platzierten Anordnung diverser Erzeugnisse bayerischer Handwerkskunst zu. Zwei Milchkannen, Kuhglocken unterschiedlicher Größen, ein mit einem Trommelfell bezogenes hölzernes Bierfass und eine Batterie von Bierkrügen werden nun von dem Perkussionisten Rudi Bauer bespielt. Ein längeres Solo lässt erstaunen, welch ein breites Klangspektrum diesem Arsenal entlockt werden kann, ein einfaches Signal zweier Hörner mischt sich schließlich hinein und später kommt das Orchester hinzu, um den melodiösen und besinnlichen 2. Satz anzustimmen. Von Lena Christs eine unglückliche Kindheit verarbeitenden „Erinnerungen einer Überfüssigen“ inspiriert, gelingt es Begert dennoch, eine tröstliche Grundstimmung zu finden.
Ein Perkussionssolo meditativen Charakters ist nun das Bindeglied zum 3. Satz. Dieser ist von Texten der im KZ umgekommenen Carry Brachvogel inspiriert und bildet ein mitreißendes Finale. Mit den nach Tonhöhen angeordneten Bierkrügen wird ein flottes Gassenhauerthema angestimmt, dass entsprechend einer freien Rondoform mehrmals wiederkehrt. Einmal erklingt es besonders reizvoll im Wechselspiel mit einem virtuosen Tubasolo, das auch dem Tubisten bestens gelang und am Ende besonders laute Bravorufe einbrachte. Das Marschthema des 1. Satzes kommt hinzu und entwickelt, abwechselnd mit einer nach oben strebenden Melodie (die vor fast zwei Jahren noch als Anfangsthema des Werks geplant war), immer mehr Kraft. Eine leisere Episode im Rhythmus des Zwiefachen bereitet die Schlusssteigerung vor, die das Werk so kraftvoll enden lässt, wie man es von einer Bayerischen Symphonie auch nicht anders erwarten würde.
Am Ende gab es tosenden Beifall und Standing Ovations, extra Bravorufe für den Perkussionisten, für einige Bläsersolisten aus dem Orchester und natürlich für den überglücklichen Komponisten. Und auch an Lob für den Dirigenten darf nicht gespart werden! Markus Bauer verlieh dem Werk mit großer Präzision den nötigen Elan und sorgte für eine immer stimmige Klangbalance.
Besonders hervorzuheben ist sein Sinn für zarte Passagen, deren Zauber er durch bewusste Rücknahme der Lautstärke bestens zur Geltung brachte. Mit dieser Unterstützung konnte Andreas Begert einmal mehr beweisen, dass man auf dem Boden der Tradition Neues erschaffen kann, das die Menschen bewegt und begeistert. In diesem Sinne spreche ich aus meiner dem bayerischen Volkstum zugewandten Perspektive und kann natürlich nicht wirklich abschätzen, wie das Werk auf Menschen wirkt, denen diese fremd ist. Dazu werden sich vielleicht andere Stimmen zu Wort melden. Ich kann nur sagen, dass mich das bodenständige Konzept überzeugt und das Werk mir gut gefallen hat!
Dr. Lorenz Kerscher, 25. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rising Star: Andreas Begert klassik-begeistert.de, 1. November 2024
Seit einiger Zeit verfolge auch ich den Werdegang von Andreas Begert und nehme seine Entwicklung als einen weiteren Hinweis, dass unsere heute (schon fast ekelhaft) akademisierte Orchestermusikkultur nur noch auf Linienförmigkeit und Anpassung gepolt ist. Kein Wunder, dass Komponisten jenseits der Filmmusik in der breiten Gesellschaft heute überhaupt keine Rolle mehr spielen, sondern nur noch für Nischenpublikum ihre Notenexperimente zu Papier bringen.
Mit Blick auf meine eigene Musik (und der vieler anderer Autodidakten und verkannter Talente) macht das aber immerhin ein wenig Mut. Ganz unmöglich ist es trotzdem nicht, das zeigt Andreas Begerts inspirierendes Beispiel! Hoffentlich findet seine Sinfonie so viel Anklang, dass sie auch mal ihren Weg nach Köln findet! Würde mich freuen, sie mal hören zu können.
Daniel Janz
Es ist geradezu ein Glücksfall, dass Andreas Begert keinen Einlass in den Elfenbeinturm des akademischen Komponierens erhielt und trotzdem oder eher gerade erst recht, den Mut und die Kraft aufbrachte, sein eigenes, ganz bodenständiges Ding zu machen.
Er ist zunächst einmal ein „local hero“ in seiner 15.000 Einwohner zählenden Heimatstadt Dorfen im Landkreis Erding und wurde von der Süddeutschen Zeitung leider nur mit einer Rezension im dortigen Lokalteil gewürdigt. Den Weg nach Köln ebnet ihm das nicht unbedingt, auch stellt das sehr spezielle Schlagwerk aus Bierkrügen, Milchkannen etc. wohl eine Hürde für die Verbreitung in andere Regionen dar. Von der Uraufführung wurden jedoch Ton- und Videoaufnahmen gemacht und ich denke, es wird wieder, so wie vorletztes Jahr beim Bayerischen Oratorium, eine DVD entstehen.
Darüber werde ich informieren!
Beste Grüße,
Lorenz Kerscher
Nur ganz kurz:
Das Schlagwerk dürfte doch das geringste Probblem sein. Ich hatte hier schon Stücke von Gordon Hamilton auf Plastikflaschen, Kunststoffboxen, Bierflaschen und Metallblechen oder von John Psathas auf Verkehrsschildern und Motorteilen gehört. Und beide Komponisten sind international inzwischen renommiert, wenn nicht sogar vergleichsweise häufig gespielt (aus Düsseldorf berichte ich auch immer mal wieder darüber, gerade auch von der #IGNITION).
Ausgefallene Instrumentation ist vielleicht sogar genau das, was helfen könnte, den eingeschlafenen Konzertbetrieb wiederzubeleben.
Insofern: Andreas Begert trifft damit doch einen Trend! Mir ist das jedenfalls hunderte Mal lieber, als die nächste in Noten gegossene akademische Hirnflatulenz.
Daniel Janz