Foto © Kai Bienert
Wiener Konzerthaus, 13. Jänner 2019
Mariinsky Orchester
Dirigent: Valery Gergiev
Peter Iljitsch Tschaikowsky:
Symphonie Nr. 2 in c-moll op. 17 „Kleinrussische“
Symphonie Nr. 5 in e-moll op. 64
von Herbert Hiess
Valery Gergiev wird am 2. Mai 2019 66 Jahre alt; ist also in einem Alter, in dem gemäß Udo Jürgens „erst das Leben anfängt“. Oder in einem Alter, in dem sich andere schon gemächlich in den (hoffentlich verdienten) Ruhestand zurückziehen.
Nicht so der ossetische Maestro, der 1977 den Herbert-von-Karajan-Wettbewerb in Berlin gewann. Der Mann hat ein Termin- und Arbeitspensum, bei dem sogar gestählte Persönlichkeiten locker in einen hochgradigen Burnout fallen würden. Gergiev bewältigt nicht nur dieses fast unmenschliche Pensum; er schafft es noch, sich immer weiter zu steigern und dem Publikum Sternstunden zu bescheren.
So auch im zweiten Konzert seines Tschaikowsky-Zyklus‘ im Wiener Konzerthaus, wo er in drei Konzerten alle sechs Symphonien des unsterblichen Komponisten präsentiert.
Am zweiten Abend gab es die allzu selten gespielte zweite Symphonie in c-moll op. 17 „Kleinrussische“ und den Evergreen, die fünfte Symphonie in e-moll op. 64.
Gergiev hat aus dem Mariinsky Orchester einen Klangkörper von Weltrang geschaffen. Da gibt es keine Instrumentengruppe, die auch nur irgendwie hinter den anderen steht. Egal, ob es die grandiosen Blechbläser sind, die hochmusikalischen und virtuosen Holzbläser und die ebenbürtigen Streicher. Das Ensemble ist schon fast Gergievs persönliches Instrument, das mit famoser Sicherheit auf seine flatternden Finger reagiert.
Beide Symphonien klangen durchwegs transparent, ohne dass auch nur irgendwo eine Emotion verloren ging. Ganz im Gegenteil – die St. Petersburger Musiker und der Maestro spielten oft bis zur Grenze der Belastbarkeit der emotionellen Wahrnehmung; man hörte Haupt- und Nebenstimmen ebenbürtig, so dass man erst recht Tschaikowskys Komponierkunst richtig schätzen lernte.
Aus der sehr „kitschgefährdeten“ Fünften schufen Gergiev und sein Mariinski-Orchester eine veritable seelische Abenteuerreise. Diese e-moll-Symphonie mit ihrem ewigen Schicksalsthema ist ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, die seit Karajan niemand so extrem spürbar machte wie die Russen. Das berühmte Andante mit dem brillanten Hornsolo war nur ein kurzer Ruhepunkt auf der wilden Reise, das in einem mehr als brillanten Finale mündete. Unvergleichlich, wie Gergiev, hier die Melodiebögen auskostete und ausreizte, ohne je in eine der vielen, vielen „Kitschfallen“ zu fallen.
Den fast zu erwartenden Riesenapplaus dankten die Musiker mit einer wunderbaren Polonaise aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“, bei der man das elegische Trio wieder neu erleben durfte.
Ein denkwürdiger Abend allemal!
Herbert Hiess, 14. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de
Sehr geehrter Autor, waren Sie vielleicht der „Zuhörer“, der beim gestrigen Konzert (14.Jänner 2019) des Mariinsky Orchesters unter Valery Gergiev schon zu Beginn der 3. Symphonie Tschaikowskys hinter mir schnarchend eingeschlafen ist 😉 ?
Die Darbietung dieser eigentlich so unglaublich schönen Symphonie war das Schlimmste, was ich je im Wiener Konzerthaus zu Ohren bekommen habe!
Lust- und emotionslos runtergespielt, als gäbe es einen Geschwindigkeitsrekord zu brechen. Man hatte den Eindruck, die einzelnen Instrumentengruppen wollten sich gegenseitig niederspielen und Gefühl durch Lautstärke ersetzen. Ich hatte auch keine Sekunde den Eindruck, dass auch nur ein Musiker Freude an seinem Spiel hatte.
Meine Frau und ich verließen Konzert und Haus in der Pause…
Gert Kozak
Herr Kozak,
nein, in diesem Konzert war ich nicht und ich war sogar hellwach. Naja, im beschriebenen Konzert war sehr viel Spielfreude zu sehen und es war für mich tatsächlich eine der besten 5.
Aber wir Menschen sind auch keine Maschinen – und beurteilen kann ich es auch nicht, da ich nicht dabei war.
Alles Liebe
Herbert Hiess
Unabhängig von der Kritik: Ich empfinde es als unheimlich respektlos, eine Vorstellung frühzeitig zu verlassen. Alleine der Musiker wegen. Und mal ehrlich: Wir sind hier im Wiener Konzerthaus, derart schlecht kann hier keine Vorstellung sein.
Respektvoll
Jürgen Pathy
Bei allem Respekt, nur weil etwas im Konzerthaus gespielt wird, muss es nicht zwangsläufig jedem gefallen. Und es muss auch nicht zwangsläufig künstlerisch wertvoll sein, wenngleich man das erwarten darf.
Warum auch immer diese Darbietung der 3. Sinfonie für mein Empfinden so schlecht war, ich denke, es ist eine durchaus zulässige Form der Kritik, das Konzert (in der Pause) zu verlassen. Oder essen Sie etwa in einem Haubenlokal die Suppe auf, wenn sie Ihnen nicht schmeckt, weil so schlecht kann sie ja nicht sein?
Mit freundlichen Grüßen
Gert Kozak