Anastasia Kobekina © Julia Altukhova
Sinfonische Leidenschaft
Jean Sibelius: Pelléas et Mélisande op. 46, daraus die Sätze 1-3 und 6-8
Dmitri Schostakowitsch: Violoncello-Konzert Nr. 1 Es-Dur op. 107
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60
Anastasia Kobekina Violoncello
Tarmo Peltokoski Dirigent
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Bremer Konzerthaus Die Glocke, 28. März 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Kompositionen seines Landmanns Jean Sibelius haben es dem jungen finnischen Dirigenten Tarmo Peltokoski sichtlich angetan. Und „weil die Musik so schön ist“ (Peltokoski), hat er den laut Programm vorgesehenen vier Sätzen aus der Suite „Pelléas et Mélisande“ gleich noch zwei weitere hinzugefügt.
Ein Einstieg, bei dem die Deutsche Kammerphilharmonie unmittelbar gehörig in die Vollen steigen kann. Wuchtig, mit geradezu imperialem Pathos lässt Peltokoski Satz 1 „Am Schlosstor“ angehen; zart Melodiöses charakterisiert „Mélisande“ (Satz 2). Erwartungsgemäß unruhig geht es zu, wenn die Titelheldin das Spinnrad dreht (Satz 6), während bei der Zwischenaktmusik (Satz 7) folkloristisch heitere Beschwingtheit mit gehörigem Drive präsentiert wird. Und wer es danach über die Maßen melodramatisch mag, kann bei „Mélisandes Tod“ nordische Tristesse in fahlen, sordiniert vorgetragenen Harmonien, aber auch in einem krass kontrastierenden, aufwühlend donnerndem Fortissimo erleben, das schließlich wie ein letzter Atemhauch, wie ein liebevoll nachgesandtes ‚Requiescat in pace‘ in allerfeinstem Klangschleier ins Nichts entschwebt.

Sarkasmus und Lamento bei Schostakowitsch
Ähnlich vielfacettig ist nachfolgend das Violoncello-Konzert von Dmitri Schostakowitsch zu erleben. Nur tupfend, aber zugleich mit großer Bestimmtheit streicht Cellistin Anastasia Kobekina die Eingangstakte. Kaum hat sich das Orchester dazugesellt, geht es weiter in scharf pulsierendem Rhythmus. Was zunächst noch wie witzig erscheint, bekommt zunehmend einen geradezu aufmüpfigen, sarkastisch anmutenden Ausdruck. Mitreißende Impulsivität und schier unbändige Energie bestimmen die Ausführungen von Solistin und Orchester. Selbst wenn es dabei mitunter metrisch etwas diffus zu werden scheint, drängt alles unvermindert kraftvoll und zielstrebig voran.
Der 2. Satz Moderato könnte sich dazu kaum heftiger unterscheiden. Verschattete, von Elegie durchtränkte Klangflächen als tieftrauriges Lamentoso, dazu ein über weichem Streicherflor vom Solo-Cello mit gefühlsintensivem Vibrato angestimmtes Klagelied vermitteln den Eindruck einer zutiefst gequälten Seele: Die tief auslotende, durchaus auch auf Überzeichnung setzende Interpretation bringt in faszinierender Weise das musikalische Psychogramm des jahrzehntelangen Repressalien ausgesetzten Komponisten zum Vorschein.
Grandios, fast schon überirdisch leuchtend zelebriert Kobekina den melodiösen Flageolettpart, bei dem die Cellostimme ungewohnt über den Orchesterstreichern liegt. Leider wird, wie häufig an diesem Abend, das wunderschöne Pianissimo durch etliche laute Saalgeräusche gestört.
Beim 3. Satz Cadenza hat Kobekina gestalterisch völligen Freiraum, den sie auch mit nuanciertem, ausdrucksstarkem Vortrag extensiv zu nutzen weiß. Mit exzellenter Grifftechnik und Bogenführung erzählt sie eine eindringliche Geschichte, ein dramatisches, mit Herzblut geschriebenes Poem, mal sinnierend, mal aufgebracht, aber durchweg hoch virtuos dargeboten in einer hochspannenden Performance.
Pure Leidenschaft beim finalen Sturmlauf
Der erneute Einsatz des Orchesters im 4. Satz kommt brutal, martialisch hämmernd. Die Finger der Solistin huschen wie wild über das Griffbrett, der Bogen wirbelt derart, dass sich prompt einige Bogenhaare verabschieden. Bei dem von purer Leidenschaft durchdrungenen Spiel startet das Orchester gleichermaßen ungebärdig und wild zu einem finalen, abrupt endenden Sturmlauf, der einmündet in den tosenden Beifall des hingerissenen Publikums. Nach derart kräftezehrendem Einsatz ist die Pause wahrlich verdient. Aber vorher verabschiedet sich Kobekina mit einer nicht minder packenden Zugabe: der rasanten „Galliarda für Cello und Tamburin“ ihres Lieblingskomponisten und Vaters Vladimir Kobekin, die die sympathische Solistin gemeinsam mit dem Orchester-Perkussionisten Bao-Tin Van Cong zum Besten gibt.

Auf die Spitze getriebenes Laut-Leise-Klangmosaik
Bei Beethovens 4. Sinfonie setzt Peltokoski erneut auf effektvolle Gegensätze. Der sehr verhaltenen Eröffnung folgt – wie zu erwarten – dröhnendes Donnergetöse beim Übergang zum spritzigen Vivace. Die dynamischen Wechsel zwischen elegantem Schwingen und ohrenbetäubender Wucht erfolgen teils schlagschattenhart kontrastierend, teils in sanfter fließenden Übergängen. Dem hochromantisch breit angegangenen Adagio-Satz fehlt es ein wenig an Ruhe; er imponiert zunehmend als kernig und robust; seine pastorale Atmosphäre ist indes zum Ende hin gut nachvollziehbar. Sportlich agiles Tempo bestimmt indes Satz 3; auch hier lässt Peltokoski wieder ein auf die Spitze getriebenes Laut-Leise-Klangmosaik entstehen.
Beim Finalsatz Allegro wird der „ma-non-troppo“-Zusatz quasi ins Gegenteil verkehrt: Mit schier atemberaubender Rasanz legt das Orchester los, koboldhaft flirrende Streicherfiguren werden wiederholt von Dampfhammergetöse abgelöst, alles scheint wie im Aufruhr ungebremst dem Schlussakkord entgegenzusprinten. Wäre da nicht zuvor noch die abrupte, spannungsvoll gedehnte Generalpause, dann der wie erschrocken wirkende zögerliche Neustart mit den kurzen, knackigen Schlussakkorden. Ein Kehraus nach Maß, so wie ihn das Publikum mag und mit frenetischem Beifall und Bravo-Rufen bejubelt.
Mit der Zugabe, den versöhnlichen Harmonien des 5. Satzes „Pastorale“ aus der eingangs vorgetragenen Pelléas-und-Mélisande-Suite, schlagen die Kammerphilharmoniker schließlich einen gelungenen Bogen zurück zum Konzertbeginn.
Dr. Gerd Klingeberg, 29. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at