Foto: © Claudia Höhne
Elbphilharmonie Hamburg, 3. November 2018
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Anna Vinnitskaya, Klavier
Matthias Höfs, Trompete
Constantinos Carydis, Dirigent
Dmitri Schostakowitsch
Kammersinfonie c-Moll op. 110a / Bearbeitung
Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester c-Moll op. 35
Wolfgang Amadeus Mozart
Maurerische Trauermusik c-Moll KV 479a
Adagio und Fuge für Streicher c-Moll KV 546
Sinfonie C-Dur KV 551 »Jupiter«
von Sebastian Koik
Am 3. November 2018 in der Elbphilharmonie beginnt das Konzert mit der Kammersinfonie c-Moll op. 110a. Dmitri Schostakowitsch verstand sein gesamtes Schaffen als Trauerarbeit für die Opfer des Faschismus, der Gewalt und des Krieges. Doch dieses Stück ist noch mehr. Der große russische Komponist schrieb sein eigenes Requiem.
„Mir war klar, dass nach meinem Tod niemand ein Werk zu meinem Gedächtnis schreiben würde. Daher beschloss ich, ein solches Werk selbst zu komponieren.“
Dmitri Schostakowitsch gab dem Stück eine musikalische Signatur: Das aus seinen Initialen gebildete Vierton-Motiv D–(E)S–C–H, das allen Sätzen als Motto zugrunde liegt. Außerdem hält der Komponist hier eine Lebens-Rückschau, zitiert sich selbst aus mehreren früheren Werken: aus der 1. und 5. Symphonie, dem 2. Klaviertrio, dem 1. Cellokonzert und der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“.
Man muss aber auch gar nichts über die Hintergründe wissen, die Musik spricht für sich selbst. Es ist ein wunderbares und höchst interessantes Stück: voller Härte, Zartheit, Energie und mit einer geheimnisvollen Kraft – ein Stück voller Brutalität und Leben!
Äußerste Klanghärten prägen den zweiten Satz, es sind Metaphern der faschistischen Gewalt – Gewalt, die alles durchzieht und die musikalischen Themen fast bis zur Unkenntlichkeit deformiert und entstellt. Einzig ein zarter jüdischer Klagegesang – entnommen aus dem Finale des e-Moll Klaviertrios des Komponisten – scheint zu protestieren.
Schostakowitsch schrieb das Stück im Jahre 1960, und es ist wie so viele seiner Werke eine wunderbare Vermählung der guten alten klassischen Tonkunst mit Elementen der Moderne des 20. Jahrhunderts. Der Kontrast zwischen freitonalen, dissonanten Elementen und reiner Tonalität prägt die gesamte Sinfonie. Die Komposition hat die Schönheit, die Harmonie, den Sinn und das menschliche Maß aus der Klassik und Romantik, bereichert um neue Ausdrucksweisen für das Unaussprechliche, die unmenschlichen Monstrositäten des 20. Jahrhunderts.
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Constantinos Carydis spielt das ganz stark mit großer Musikalität, Spannung und hervorragendem Timing. Der Grieche Carydis dirigiert ohne Taktstock, dafür mit extrem fließenden Bewegungen seiner Finger, Hände, Arme, ja, seines ganzen Körpers. Es sieht ein wenig aus wie Thai Chi – und ja: Die Energien fließen! Wunderbar auch das Ende der bemerkenswerten Darbietung: Sehr, sehr spät erst löst Carydis die Spannung nach dem letzten verklungenen Ton auf und erzeugt nach diesem besonderen Stück so eine lange und äußerst angemessene Stille.
Wir bleiben bei Schostakowitsch: Für das „Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester c-Moll op. 35“ ergänzen die Pianistin Anna Vinnitskaya und der Trompeter Matthias Höfs das formidable Bremer Orchester.
Anna Vinnitskayas Finger fliegen über die Tasten, ihr Timing ist perfekt, ihre Musik erfüllt von großer Spritzigkeit und Leichtigkeit, bei gleichzeitig großer Tiefe. Die junge Meisterpianistin und Professorin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg interpretiert voller Witz und Esprit, dosiert ihren Anschlag perfekt.
Frau Vinnitskaya geht mit der Musik mit, ihr Spiel ist auch körperlich sehr lebendig – gelegentlich scheint sie mit ihrem Flügel dezent zu tanzen. Das Ganze wirkt aber total natürlich und rein, wirkt regelrecht wie pure, unverdorbene, kindliche Spielfreude und hat überhaupt nichts mit der unecht-theatralischen und gelegentlich sehr nervenden Affektiertheit anderer Pianisten zu tun.
Die seit dem Jahre 2009 in Hamburg lebende Russin verleiht dem Flügel Seele, eine Stimme, erweckt ihn zum Leben, zu einem scheinbar fühlenden Wesen. Anna Vinnitskaya lässt das Instrument verzweifelt klagen, hoffen, trotzig widersprechen, wild tanzen oder den Clown spielen. Es wirkt, als könne sie mit dem Instrument alles machen – technisch sowieso: Sie meistert hoch virtuose Passagen scheinbar mühelos, ihr Spiel ist jederzeit von großer natürlicher Souveränität. Aber diese junge Frau kann der Musik auch ein Maximum an Ausdruck geben, ohne je auch nur eine Spur kitschig zu wirken. Alles an ihrer Kunst wirkt natürlich und echt – technisch und künstlerisch exzellent: Eine bessere Klavier-Professorin können sich ihre Studenten nicht wünschen.
Die Musiker des Orchesters sind ebenfalls alle hingerissen von Anna Vinnitskayas Auftritt und spenden ihr entzückt einen langen Applaus. Das Publikum im Saal jubelt!
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen spielt Schostakowitschs Musik ebenfalls stark. Als zweiter Solist überzeugt Matthias Höfs an der Trompete – er brilliert mit klarem präzisem Ton, großer Spielfreude, Virtuosität und Leichtigkeit. Er ist Frau Vinnitskayas Professorenkollege an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Von einer begeisterten langjährigen Mitarbeiterin der Hamburger Hochschule für Musik erhalten beide Solisten Blumen: ein kleiner Strauß für Matthias Höfs, ein großes, wunderschönes Bouquet für Anna Vinnitskaya.
In der zweiten Konzerthälfte steht Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm. Die Menschen lieben Mozart, vielleicht ist Mozart gar der beliebteste Künstler aller Zeiten. Doch anders als viele Menschen meinen, ist wirklich guter Mozart sehr, sehr schwer zu spielen – und leider nur selten in guter Qualität zu hören.
Es beginnt mit der „Maurerischen Trauermusik c-Moll KV 479a“. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen spielt sehr leidenschaftlich und hoch konzentriert. Die musikalische Spannung ist groß. Ein klein wenig fehlt Spritzigkeit und Leichtigkeit. Bei noch „größeren“ Orchestern, als es die Kammerphilharmonie Bremen ohnehin schon ist, klingen die leisen, zarten Stellen leichter, luftiger, ätherischer und überzeugender.
Im „Adagio und Fuge für Streicher c-Moll KV 546“ fehlt es dem Orchester an Biss, es spielt ein klein wenig zu träge. Nein, diese Mozart-Interpretation bringt es nicht, anspruchsvolle Hörer langweilt sie. Der Grieche Carydis agiert immer noch mit engagierten, fließenden Bewegungen. Es sieht immer noch nach Thai Chi aus – doch bei Mozart‘ scher Musik will die Energie nicht so recht fließen. Es gibt gelegentlich bessere Passagen, das Finale ist gut, aber insgesamt ist das zu wenig.
Das gleiche Bild bei der „Jupiter“-Sinfonie: In den schnellen, lauten Tutti-Passagen musiziert das Orchester unter Constantinos Carydis meist besser. Das Finale gelingt überzeugend, aber insgesamt ist der Bremer Mozart meist langweilig und zu wenig – zumindest an diesem Abend.
Der Applaus ist groß, die Hanse-Brüder aus Bremen sind in Hamburg immer gern gesehene Gäste.
Sebastian Koik, 4. November 2018, für
klassik-begeistert.de