Foto: © Marco Borggreve
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen,
Elbphilharmonie Hamburg, 4. November 2018
Anna Vinnitskaya, Klavier
Constantinos Carydis, Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart
Kontretanz Nr. 1 D-Dur KV 603
Kontretanz Nr. 3 D-Dur KV 609
Kontretanz Nr. 2 D-Dur KV 565a
Ouvertüre zu »Don Giovanni« KV 527
Dmitri Schostakowitsch
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102
Dmitri Schostakowitsch
Zwei Stücke für Streichoktett op. 11 / Fassung für Streichorchester
Wolfgang Amadeus Mozart
Sinfonie D-Dur KV 504 »Prager«
Von Sebastian Koik
Am 4. November 20ƒ18 in der Elbphilharmonie spielen die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Anna Vinnitskaya den zweiten Abend hintereinander in der Elbphilharmonie.
Es gibt so viele Parallelen zum Konzert am Abend zuvor: Dasselbe Orchester, derselbe Dirigent, dieselbe Pianistin, dieselben Komponisten. Anna Vinnitskaya begeistert erneut mit einer Weltklasse-Leistung, das Orchester hat zunächst (!) dieselben Schwächen bei Mozart – wie am Abend zuvor fehlt es hier wieder etwas an Spritzigkeit und Leichtigkeit.
Natürlich ist wieder das Schostakowitsch-Klavierkonzert mit Anna Vinnitskaya der Höhepunkt des Abends. Das Andante des Schostakowitsch-Klavierkonzertes Nr. 2 könnte das Schönste sein, was dieser Mann je komponiert hat. — Und man kann sich nicht vorstellen, dass das jemals jemand besser, zärtlicher, tiefer, reicher und berührender gespielt hat als Anna Vinnitskaya an diesem Abend in der Elbphilharmonie!
Die Hamburger Professorin agiert am Steinway mit hoch-präziser technischer Souveränität und einer geradezu unfassbaren Unschuld und Reinheit. Man kann bei dieser Musik, dieser Interpretation an einen kalten, klaren Gebirgsbach denken, an eisige, saubere Luft in den Bergen, an Eis, an die Schärfe von Diamanten. Man kann sich nicht vorstellen, dass ein böser Mensch diese Musik auch nur ansatzweise so rein und überzeugend spielen kann. In schnellen Passagen im Hochton-Bereich hämmert die Solistin hochpräzise und geradezu perkussiv in die Tasten. Anna Vinnitskayas Auftritt ist vom Allerfeinsten!
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Constantinos Carydis musiziert gut und leidenschaftlich, leider in einer Tutti-Passage derart überschwänglich, dass die Solistin ein bis zwei Minuten lang gar nicht zu hören ist. Das ist sehr unglücklich, denn bei Anna Vinnitskaya ist es wirklich schade um jeden nicht gehörten Ton, da jeder Einzelne davon so perfekt und wundervoll ist.
Anna Vinnitskaya gewann im Alter von zwölf Jahren ihren ersten internationalen Klavierwettbewerb, war mit 26 Jahren bereits Klavierprofessorin an der renommierten Musikhochschule Hamburg. Schostakowitsch war ebenfalls einer dieser Frühstarter, dieser musikalischen Wunderkinder: er begann mit dreizehn Jahren sein Musikstudium und schrieb bereits als Teenager Meisterwerke.
Die „Zwei Stücke für Streichoktett op. 11 / Fassung für Streichorchester“ komponierte das Musik-Genie bereits im Alter von neunzehn Jahren, ein Stück voller Trauer, Wut und etwas Wahnsinn, reich an Tiefe und Komplexität.
Das Kammerorchester spielt das Stück im Stehen. An die ganz große Klasse des Konzertes am Tag zuvor kommen sie hier nicht mehr heran – manchmal fehlt es etwas an Akzentuierung, an dem letzten bisschen Überschwang und Wildheit. Das Orchester macht seine Sache sehr, sehr gut, ist aber einen Tick zu brav und zurückhaltend, ein wenig fehlt der Mut zum letzten Funken Risiko, der die Komposition dann erst so richtig aufgehen lässt. Dennoch: Schostakowitsch können das Orchester und der Dirigent!
Doch dann die Überraschung:
„Sag niemals nie!“ – Am Abend zuvor enttäuschten die Bremer mit jedem der Mozart-Stücke, man könnte auf den Gedanken kommen, dass das Orchester und/ oder der Dirigent Mozart einfach nicht so gut können, dass ihnen diese Musik schlicht nicht liegt. Man könnte gar einen Schritt weiter gehen und auf den Gedanken kommen, das Orchester und/ oder den Dirigenten in Zukunft bei Mozart zu meiden.
Doch die Bremer und der Grieche Carydis beweisen dann im letzten Stück des Konzertes das Gegenteil! Wolfgang Amadeus Mozarts „Prager-Sinfonie“ gelingt den Musikern am zweiten Abend sogar noch besser als der sehr gute Schostakowitsch. Die Musiker agieren voller Spielfreude und Leidenschaft und glänzen bei plötzlichen Lautstärke-und Tempowechseln. Das letzte bisschen Spritzigkeit und Schwerelosigkeit kann man auch hier vermissen, doch diese „Prager-Sinfonie“ ist beschwingt und macht Spaß. Im Finale lassen die Musiker es so richtig krachen und begeistern.
Sebastian Koik, 5. November 2018, für
klassik-begeistert.de