Fabio Luisi und das Dallas Symphony Orchestra geben sich virtuos

Anne-Sophie Mutter, Violine, Dallas Symphony Orchestra, Fabio Luisi, Dirigent  Kölner Philharmonie, 14. Juni 2024 

Anne-Sophie Mutter/Dallas Symphony/Fabio Luisi © Christian Palm

Anne-Sophie Mutter beeindruckt im 2. Violinkonzert von John Williams

 Angélica Negrón (*1981) – What Keeps Me Awake

John Williams (*1932) – Violinkonzert Nr. 2

Pjotr Tschaikowsky (1840-1893) – Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64


Anne-Sophie Mutter, Violine
Dallas Symphony Orchestra
Fabio Luisi, Dirigent

Kölner Philharmonie, 14. Juni 2024


von Brian Cooper, Bonn

Konzertbeginn ist ausnahmsweise um 18 Uhr. Das ist klug geplant, steht doch um 21 Uhr das Eröffnungsspiel der diesjährigen Fußball-EM, Deutschland gegen Schottland, an.

Zu Gast ist in Köln das Dallas Symphony Orchestra (DSO), das selten genug in Europa gastiert. Chefdirigent ist seit 2019 Fabio Luisi. Solistin ist Anne-Sophie Mutter, die ein zeitgenössisches Violinkonzert spielt. Wie immer bei dieser Solistin sind die Kartenpreise besonders gesalzen: Karten in der ersten Kategorie kosten 190€, unter 50€ ist zumindest im Vorverkauf nichts zu bekommen. Die Balkone X und U quellen über, und sogar die erste Kategorie ist ausverkauft, wie so ziemlich der gesamte Saal.

Das Programm wird eröffnet mit einem zeitgenössischen Werk, What Keeps Me Awake, der gebürtigen Puerto-Ricanerin Angélica Negrón. Es ist ein spannendes, hörenswertes Werk, bei dem Anklänge an die minimal music durchschimmern, mitunter elegische Passagen eingestreut sind und ein aleatorisch repetierter Ton vor allem in den Holzbläsern das gesamte Stück durchzieht, wie ein Flummi, der eine Treppe hinunterfällt. Und ist es am Ende eine tickende Uhr, die uns gemahnt, die wenige Lebenszeit zu nutzen? Oder ein Wecker, der uns zum braven Kapitalismusgehorsam drängt? Leise verklingt es jedenfalls. Beeindruckend.

Dallas Symphony/Fabio Luisi (c) Christian Palm

Ein weiteres zeitgenössisches Werk gibt es vor der Pause. Mutiges Programm. Aber es ist auch keine Geringere als Frau Mutter, die die Massen anzieht. Abendgage im sehr soliden fünfstelligen Bereich, so wird es kolportiert.

John Williams ist im angelsächsischen Raum, insbesondere im walisischen, ein Allerweltsname. Auf Anhieb fallen mir da mehrere ein: John Williams, der begnadete Gitarrist. John Williams, der großartige Schauspieler, der in Hitchcocks Bei Anruf Mord den Inspektor spielte. John Williams, der Autor des Meisterwerks Stoner. John Williams, der Schiedsrichter, der 1985 das legendärste Snooker-Finale aller Zeiten zwischen Dennis Taylor und Steve Davis leitete. Und ich besitze sogar einen Bildband, Frühe spanische Buchmalerei, von einem John Williams (Prestel, 1977). Googeln Sie mal den Namen: Da gibt’s Sportler, Ärzte, Kleriker, Kriminelle, Geschäftsleute, Richter, Politiker, Militär- und sogar Massenmörder!

Der John Williams, der zweifellos den meisten Menschen bekannt sein dürfte, ist der Filmkomponist, die lebende Legende, die so viele weltberühmte Soundtracks komponiert hat, von Star Wars bis Jaws. Mit Filmmusik hat das zweite Violinkonzert, das jüngste der 18 Solokonzerte des Meisters, das der John Williams für Anne-Sophie Mutter geschrieben hat, allerdings nicht viel zu tun.

Anne-Sophie Mutter/Dallas Symphony/Fabio Luisi (c) Christian Palm

André Previn stellte die Verbindung zwischen den beiden her. Und heute ist Frau Mutter in Topform, man merkt ihr von Beginn an, dass ihr das ihr gewidmete Werk am Herzen liegt. Bei den Orchestertutti geht sie körperlich mit, und ihre Solopassagen, wie auch die hinreißenden Dialoge mit der Harfe, sind phänomenal. Der elegisch-leise Schluss gerät atemberaubend.

Ich habe Frau Mutter oft gehört, und nicht immer war ich restlos begeistert. Ein Sibelius-Violinkonzert in Paris im März 2015 hinterließ einen zwiespältigen Eindruck, da arg routiniert. Hier jedoch spielte sie Läufe, Doppelgriffe und Solostellen bzw. Kadenzen traumwandlerisch mit tollem Geigenton. Was für ein Instrument! Und wie schön, dass sich eine der bedeutendsten Geigerinnen unserer Zeit auf Neues einlässt. Als Zugabe spielte sie mit dem DSO Helena’s Theme aus Indiana Jones.

Dallas Symphony/Fabio Luisi (c) Christian Palm

Nach der Pause folgte Tschaikowskys Fünfte. Der auswendig dirigierende Luisi war offenbar nicht erpicht darauf, das Eröffnungsspiel zu schauen, denn die Tempi in den ersten beiden Sätzen hätten Celibidache alle Ehre gemacht – viel Zeit, alles wurde intensiv ausgekostet, und es war eine wahrlich beeindruckende Darbietung. Das Hornsolo im zweiten Satz, der Charme des Scherzos… Luisi ist einer der elegantesten Dirigenten, die wir dieser Tage erleben dürfen. Das DSO stufe ich auf etwa demselben Niveau ein wie das National Symphony Orchestra: Es fehlt der Glanz, der letzte Schliff, des Chicago Symphony beispielsweise, aber gerade im letzten Satz der Fünften und in der Zugabe (Ouvertüre zu Glinkas Ruslan und Ljudmila) bewies das Orchester Virtuosität und herbe Frische.

Ein Wort zum Publikum: Mindestens ein Drittel meiner satirisch gedachten Regeln wurde befolgt. Ich dachte beim Tschaikowsky an Mariss Jansons’ grandiose Fünfte, weiland in der Salle Pleyel, der eher dazu neigte, die Sätze attacca ineinander übergehen zu lassen. Luisi ließ hingegen die Arme fallen, ihm war offenbar egal, dass dies die Huster aktiv werden ließ.

Dr. Brian Cooper, 15. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klein beleuchtet kurz Nr 37: Das Dallas Symphony Orchestra stellt sich in der Elbphilharmonie Hamburg vor klassik-begeistert.de, 12. Juni 2024

 

Anne-Sophie Mutter, Kammerorchester Wien-Berlin, Rainer Honeck, Kulturpalast Dresden, 26. Mai 2019

Salzburger Festspiele, Pittsburgh Symphony Orchestra, Manfred Honeck, Anne-Sophie Mutter, Witold Lutoslawski, Peter I. Tschaikowski, Großes Festspielhaus, Salzburg

Neue Philharmonie Westfalen, Benjamin Pope, Filmmusiken von Hans Zimmer und John Williams, Tonhalle Düsseldorf, 8. April 2022

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