Wenn es klar sein soll, lasst es Janowski machen!

Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5 in B-Dur, WDR Sinfonieorchester,  Marek Janowski  Kölner Philharmonie, 24. November 2023

https://www.br.de/mediathek/podcast/klassik-aktuell/marek-janowski-zum-80-geburtstag-perfektion-statt-glamour/1486906

Gerade auch das Publikum weiß diese zu schätzen und lässt sich zu einem erstaunlich langen Schlussapplaus mit stehenden Ovationen über weite Flächen hinreißen. Selbst bei einem – wie heute – nur halb vollen Saal, kann man doch anerkennen, dass dieser Abend insgesamt ein lohnendes Erlebnis gewesen ist. Man darf sich jedenfalls darauf freuen, wenn Janowski ein nächstes Mal wieder seinen Weg hierhin findet. Der Rezensent wird sich das sicher nicht entgehen lassen!

Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 5 in B-Dur

WDR Sinfonieorchester
Marek Janowski, Dirigent

Kölner Philharmonie, 24. November 2023

von Daniel Janz

Die Auftritte von Marek Janowski zusammen mit dem WDR Sinfonieorchester sind immer ein Highlight. Nicht nur haben seine Besuche beim Stammorchester in der Domstadt am Rhein eine lange Tradition. Auch hat er sich auf jene Komponisten spezialisiert, die man zurecht als Spitze der deutschen Hochromantik bezeichnen kann.
Unter Kennern und Liebhabern müssen die Konzerte mit ihm daher immer als (Geheim)tipps gehandelt werden. So auch seine Aufführung an diesem Freitag, bei der er sich mit Anton Bruckner einem der größten deutschen Sinfoniker widmet.

Die heute auf dem Programm stehende fünfte Sinfonie von Bruckner ist ein sperriges Werk. Entstanden in einer Zeit voller Krisen stellte Bruckner hier insbesondere sein technisches Können zur Schau. Sein „kontrapunktisches Meisterstück“ – von der Nachwelt oft auch als die „Katholische“ bezeichnet – ist in der Tat ein Werk voller kompositorischer Schärfen und Kniffe. Eine von Tragik getragene Musik voller Wiederholungen, pathetischer Kontrapunkte, einem gewissen Rumreiten auf der Konsonanz, einem sehr starken Fokus auf den Streichern und auch noch mit religiöser Tragweite – kein Wunder, dass diese Sinfonie heutzutage oft unterschätzt wird. Zu schnell kann so eine Musik bei falscher Herangehensweise langweilig werden oder zäh wirken. Es braucht daher schon Giganten, die diese Musik verinnerlicht haben, um sie auch lebendig zu vermitteln.

Mit Marek Janowski steht ein solcher Gigant auf der Bühne. Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen erfuhr diese Dirigentenlegende bereits zurecht in ihrem Leben. Wenn der 84-jährige Pole heute auf der Bühne steht ist es, als würde ein Großmeister seiner Zunft den Taktstock ergreifen.

Da gehört es auch zum Selbstverständnis als großer Künstler, dass er sogar so komplizierte Werke, wie Bruckners Fünfte komplett auswendig dirigiert. Bei manch einem Anderen würde das schiefgehen. Bei ihm zweifelt man aber keine Sekunde lang daran, ob es gelingen wird.

Und dabei gäbe es bei Bruckners Fünften so viele Stellen, über die man stolpern könnte. Die gesamte Sinfonie ist durchsetzt mit Passagen, in denen allzu leicht der Fokus entgleiten oder die Klarheit der Themen gegeneinander untergehen könnte. Bei der Uraufführung zu diesem Werk soll der Dirigent deshalb auch massiv den Rotstift angesetzt und viele Passagen frei verändert, neu instrumentiert oder gekürzt haben – unter anderem strich er eben auch jene Doppelfuge im letzten Satz, die unter Musikern eigentlich als Königsliga des Komponistenhandwerks verstanden wird.

Das WDR Sinfonieorchester Köln (WSO), aufgenommen in der Philharmonie Köln. | Bildquelle: © WDR/Clüsserath

Heute aber erklingt die ungekürzte Fassung ohne Becken und Fernorchester, die zum ersten Mal erst 1935 erklang, obwohl Bruckner sie um 1874 vollendete. Und diese hat es in sich. Bereits der erste Satz startet mit einer für Bruckner ungewöhnlichen Introduktion bevor das eigentliche Thema auftritt. Doch wie das Orchester unter Janowski den kontrastreichen Klang der Streicher gegen Trompeten und Posaunen setzt, bevor es im tutti zur vollkommenen Harmonie kommt, ist schon ein besonderes Erlebnis. Das Pathos dieser Musik streicht Janowski von Anfang an gekonnt heraus.

Und auch aus dem Orchester glänzt es heute. In ungewohnt tiefer Lage fließen die Streicher vor sich hin und wechseln stets von einem Schmachten ins nächste hoffnungsvolle Aufblicken. Strahlende Soli von Horn und Flöte gestalten die Musik  aus. Die brillanten Fanfarenstöße und Choralpassagen der Trompeten und Posaunen – oft in Unterstützung der Tuba – rahmen diesen feierlichen Satz ein. Seine Vollendung findet er dann in einem drängenden Finale inklusive Pauke. Das Blech hätte hierzu zwar ein Quäntchen stärker sein können. Doch im Großen und Ganzen stellt dieser erste Satz ein Statement für großes Können dar.

Die beiden Mittelsätze bereiten dem Rezensenten für gewöhnlich die meisten Probleme. Wegen ihrer kompositorischen Schwächen fehlt ihm dort der Fokus, weshalb er Bruckners Fünfte auch nicht zu seinen Lieblingssinfonien zählt. Das gesagt muss man der Aufführung heute aber anerkennen, dass der Fokus stets erhalten bleibt. Es überwiegen die Streicher in einem leicht süßlichen Schmachten, zu dem die Oboe einen einsamen Gesang vollführt. Ein zwischenzeitliches Tutti bricht strahlend wie der Sonnenuntergang an einem milden Herbstabend herein. Immer wieder fällt auf, dass Bruckner die Melodie auf einem einzigen Grundton – einem so genannten Orgelpunkt – aufbaut. Ein wenig ermüdend wirkt das auf Dauer schon. Dass es nicht langweilig wird, liegt einzig und alleine an einem Dirigenten plus Orchester, die durch betonte Akzentuierung die Spannung aufrechterhalten. Man merkt, dass während der Proben hier ein besonderer Schwerpunkt gelegt wurde. Heute performen sie die Musik nicht nur. Sie haben sie komplett durchdrungen.

Das kommt auch dem robusten dritten Satz zugute, der durch seinen trabenden Streicherrhythmus bestimmt wird. Zu schnell kann dies in eine unangemessene Hast ausarten. Heute aber gelingt es, den Ball flach zu halten und dadurch die schnellen Figuren in den Holzbläsern einzufangen. Nur die mehrfache Wiederholung der Anfangsfigur dieses Satzes überstrapaziert dann doch irgendwann ihr Willkommen. Vielleicht wäre etwas mehr Tempo also doch angemessen gewesen? Andererseits muss man Janowski zugute halten, dass seine Stimmführung auch hier ausgezeichnet funktioniert und jede noch so unbedeutend erscheinende Melodie klar hervorsticht. Selbst in den Nebenstimmen. Insofern ist das wohl eine bewusste Abwägung.

Der Schlusssatz stellt dann schließlich so etwas wie eine Abrundung der gesamten Sinfonie dar. Hier greift Bruckner denselben Beginn auf, wie zum ersten Satz, nur um dann erst über die Klarinette und dann einen Bläserchoral zwei neue Themen vorzustellen. Diese bilden auch das Material für jene Doppelfuge, für die diese Sinfonie bekannt ist. Mal von einigen unbestimmten Zwischenpassagen abgesehen dürfte dieser Satz damit wohl einer der am strengsten durchkomponierten Sinfoniesätze der Geschichte sein. Und die große Herausforderung, die er für jedes Orchester darstellt, bestehen Janowski und das WDR Sinfonieorchester heute auch vorbildlich. Stets bleiben die Themen erkennbar und in ihrer Verarbeitung plastisch. So erscheint das glorreiche Finale am Ende auch gut vorbereitet und stark inszeniert.

Obwohl das heute eine über weite Strecken sehr gute Leistung war, stellt sie den Rezensenten allerdings nur bedingt zufrieden. Ja, das WDR Sinfonieorchester hat hier gezeigt, dass es den großen Romantikern gewachsen ist. Gleichzeitig aber fehlte dem Rezensenten das letzte Quäntchen Schärfe und Konsequenz in der Dynamik. So kam ihm die ein oder andere Wiederholung im dritten Satz dann doch auf die Dauer etwas ermüdend vor. Und auch das Finale hätte einen noch durchschlagenderen Anstrich vertragen können. In diesem Zusammenhang erinnert er sich auch an eine regelrecht legendäre Aufführung derselben Sinfonie, die er vor mehreren Jahren mit demselben Orchester noch unter Jukka-Pekka Saraste miterleben durfte – damals mit 8 anstatt 5 Hörnern. Gefühlt fehlte da heute noch ein bisschen was.

Nichtsdestotrotz soll das aber nicht die heutige Glanzleistung schmälern. Gerade auch das Publikum weiß diese zu schätzen und lässt sich zu einem erstaunlich langen Schlussapplaus mit stehenden Ovationen über weite Flächen hinreißen. Selbst bei einem – wie heute – nur halb vollen Saal, kann man doch anerkennen, dass dieser Abend insgesamt ein lohnendes Erlebnis gewesen ist. Man darf sich jedenfalls darauf freuen, wenn Janowski ein nächstes Mal wieder seinen Weg hierhin findet. Der Rezensent wird sich das sicher nicht entgehen lassen!

Das Konzert kann online noch bis Weihnachten 2023 unter folgendem Link nachgehört werden:

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-wdr-sinfonieorchester-marek-janowski-100.html

Daniel Janz, 25. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Rezension: Giuseppe Verdi, Un ballo in maschera, Orchestre Philharmonique de Monte Carlo, Marek Janowski klassik-begeistert.de, 17. Juni 2023

WDR Sinfonieorchester, Marek Janowski, Frank Peter Zimmermann, Violine Kölner Philharmonie, 17. Dezember 2021

CD-Rezension: Ludwig van Beethoven, „FIDELIO“, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski

Ein Gedanke zu „Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5 in B-Dur, WDR Sinfonieorchester, Marek Janowski
Kölner Philharmonie, 24. November 2023“

  1. Lieber Daniel,

    vielen Dank für Deine treffende Rezension. In der Tat war es ein besonderes Konzert. Den dritten Satz habe ich jedoch etwas anders empfunden als Du. Ich hatte keineswegs den Eindruck, dass ein schnelleres Tempo zu erwägen gewesen wäre. Direkt mit den ersten Taktschlägen hatte ich vielmehr den Eindruck, dass Janowski ein im Vergleich zügiges Tempo vorlegt. Zuhause habe ich im Vergleich u.a. nochmals in die Aufnahme von Günter Wand mit dem gleich Orchester hineingehört (ähnlich Thielemann mit den Wienern und unlängst mit den Münchnern, Gergiev mit den Münchnern etc., von Celibidache ganz zu schweigen…). Janowski ist gefühlt 10% schneller. Und in der Tat kommt durch das zügige Tempo in meinen Ohren der Ländler-Charakter der entsprechenden Passagen noch besser zur Geltung. Spontan musste ich da mehr schon an Mahler, denn Bruckner denken. Ich finde es spannend, dass beide Ansätze (eher etwas schneller oder eher etwas langsamer) etwas für sich haben. Wenn Janowski im Radio für seine Verhältnisse überraschend überschwenglich das WDR Sinfonieorchester als Spitzenklasse-Orchester lobt, wird offenbar, dass die Chemie zwischen Orchester und Dirigent wohl auch gestimmt hat. Das Ergebnis konnte man als gelungenen Konzertabend bestaunen, der lange im Gedächtnis bleiben wird.

    Beste Grüße

    Guido

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert