Ad astra! Die Rotterdamer glänzen, und alles hat ein Ziel

 Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 8 c-Moll  Konzerthaus Dortmund, 24. November 2024
Lahav Shani © Hans van der Woerd


Anton Bruckners achte Sinfonie mit Rotterdams Philharmonisch Orkest unter Lahav Shani im Dortmunder Konzerthaus.

 Anton Bruckner (1824-1896) – Sinfonie Nr. 8 c-Moll (1887/90)

Rotterdams Philharmonisch Orkest
Lahav Shani, Dirigent

Konzerthaus Dortmund, 24. November 2024

von Brian Cooper, Bonn

„Und? Sind die Ohren noch dran?“, fragt jemand in amüsiertem Tonfall seine Begleitung beim Hinausgehen aus dem Parkett des Dortmunder Konzerthauses. Die bejaht sofort lachend, ebenso fix kommt man überein, dass es ein außerordentlich gelungener Nachmittag war, an dem Rotterdams Philharmonisch Orkest – inzwischen bei Tourneen zu „Rotterdam Philharmonic Orchestra“ anglisiert – unter der Leitung seines Chefdirigenten Lahav Shani Bruckners Achte gespielt hatte.

Denn es war nicht nur an den einschlägigen Stellen sehr laut, angemessen laut, kompromisslos laut, sondern das Publikum erlebte die gesamte Bandbreite eines erlesenen Brucknerklangs, wie man ihn sich kaum besser wünschen kann.

Bemerkenswert hierbei: wie ein noch recht junger Dirigent den Mut beweist, mit grundsätzlich langsamen Tempi die Architektur der Bruckner’schen Kathedrale aufzuzeigen, die großen Bögen zu spannen, insbesondere im sehr langen Adagio.

Die Rotterdamer sind gern gesehene Gäste im Ruhrgebiet; in Erinnerung bleibt eine vorzügliche Auferstehungssinfonie vom Mai des vergangenen Jahres.

Der Beginn kommt aus dem Nichts, und von Anbeginn fällt auf, wie großartig die acht Kontrabässe dem monumentalen Werk Struktur geben. Shani dirigiert ohne Stab, ab und an scheint die Zeit stillzustehen, man lauscht verzückt, wie etwa Horn und Oboe ihr Es-Dur-Duett vortragen. Der Schluss verebbt morendo, ersterbend, das Publikum verharrt einige Sekunden respektvoll.

Lahav Shani © Marco Borggreve

Das Scherzo beginnt zügig, nicht ersterbend, eher nach dem Motto „live hard and fast“, was so gar nicht zu Bruckner passte. Alles ist im Fluss, die zweitönigen Oboen-Einwürfe sind klar zu hören – der Dirigent weiß um deren Wichtigkeit. Das ist nur eines von sehr vielen Details, die auch hier transparent zu hören waren. Und nicht nur im Scherzo verzückt die gesamte Holzabteilung.

Ein weiteres Beispiel für die Transparenz: diese tolle Ges-Dur- Stelle, wo Bässe, Celli und Bratschen magische Stimmung erzeugen. Im Trio spielt das Solo-Horn überaus exquisit, und die drei Harfen veredeln die Abschnitte der Passagen.

Der kaum zu begreifende langsame Satz ist in Länge und Komplexität schwer zu fassen, geschweige denn zu dirigieren. In Dortmund verstand man die bisweilen todesnahen Auf- und Abschwünge, und Shani schaffte es auf bemerkenswerte Weise, auf den größten Höhepunkt mit Beckenschlag und Triangel zuzusteuern, ohne den vorangegangenen Aufschwüngen ihre Intensität zu nehmen. „Schreitend“, notiere ich, „irre Trauermusik“, aber immer auf ein Ziel zusteuernd, der Ludwig hat’s vorgemacht in seiner Eroica.

Die Harfen führen ins Elysium, ergreifend ist das Seitenthema der Celli, überhaupt malen die Streicher förmlich ihr Klangbett, auf dem der gesamte langsame Satz ruhen kann. Mit sehr viel Farbe und gefühlt quer durch den Quintenzirkel. Shani versteht die großen Bögen. Man denkt an ein langes, erfülltes Leben: Der Betrauerte hat viel Gutes getan und erlebt, es ist eine Trostmusik, die Wagner-Tuben spielen in Vollendung.

Und ich wollte doch nicht persönlich werden in meinen Konzertberichten, aber hier sei’s gesagt: Das Finale ging mir am Sterbebett meines Vaters durch den Kopf, obwohl der gar nicht so viel mit Bruckner am Hut hatte. Aber er hat sein letztes Konzert in Dortmund gehört, und wir haben auch irgendwann in Köln die Achte zusammen gehört, und so las ich mit Interesse den geschätzten Kollegen Jörn Schmidt, als der kürzlich von der Totenuhr sprach. In Amsterdam besprach ich die Achte mit dem Concertgebouworkest – es war der Vorabend der Urnenbeisetzung in Irland, logistisch ein wenig riskant, aber „et hätt noch immer jot jejange“, wie der Rheinländer sagt.

Die Kavallerie rast in Zeitlupe in den Finalsatz – „geiles Tempo“, notiere ich hier. Auch hier schreitend, stets dem Ziel entgegen. Nur im Aufbau der Finaltakte, die mir am Sterbebett so intensiv durch den Kopf gingen, ausgerecht hier, zieht Shani das Tempo an, das pochende „Pa-Paaaa“ kommt für meine Begriffe etwas unter die Räder.

Trotzdem sei hier das in jeder Hinsicht glänzende Blech hervorgehoben. Meine Lebensgefährtin, die oft weise Bonmots von sich gibt, sagte anschließend, sie würde kein Blechblasinstrument lernen wollen, wenn man das Instrument so glanzvoll polieren müsse, wie es in Dortmund auf der Bühne zu sehen gewesen sei. Darauf konnte ich nur erwidern, dass das Blech nicht in jedem Orchester derart glänze wie in Rotterdam.

Und das ist durchaus im doppelten Wortsinn gemeint. Ad astra! könnte als Motto über diesem Konzert stehen. Von c-Moll nach C-Dur, es gibt unter Frommen einen Glauben an das Leben nach dem Tod.

Machen wir das Beste aus unserem Leben. Und wenn es nach einer monumentalen Aufführung einer monumentalen Sinfonie ein solches Fazit gibt, dann war’s doch ein tolles Konzert.

Dr. Brian Cooper, 25. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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