Thielemann zaubert göttergleichen Klangteppich im Goldenen Saal: Bruckner 8 in Wien

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll, WAB 108 (Fassung Haas), Wiener Philharmoniker Christian Thielemann, Dirigent  Musikverein Wien, 25. Februar 2023

© SF / Marco Borrelli

Das Team um Dirigent Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker-Altmeister zeigt sich in astronomischer Höchstform. Von Anfang bis Ende beherrscht eine goldene Stimmung den goldenen Saal des Musikvereins. Der Chef am Pult spricht eine klare, stille Sprache: Ohne Worte.

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll, WAB 108 (Fassung Haas)

Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann, Dirigent

Musikverein Wien, 25. Februar 2023

von Johannes Karl Fischer

Im Parkett wollen einige in Thielemanns Schlussstille rein klatschen. Geht gar nicht, finden ein paar  andere, lautes Gezische ertönt aus den hintersten Reihen. Die Musik ist zu Ende, aber der Chef am Pult hat den Taktstock noch oben. Zwei Augenblicke später starten stehende Ovationen für diesen Gipfel der Wiener Klangkunst.

Von Anfang bis Ende beherrscht eine goldene Stimmung den goldenen Musikverein. Die Wiener Philharmoniker unter der Leitung eines kompromisslosen Perfektionisten transformieren den Schuhschachtelsaal in eine klangliche Badewanne und umschwärmen das Publikum mit einem göttergleichen Klangteppich. In diesem tiefblauen Musikmeer schwimmen scheinbar schwerelos die goldenen Frauenskulpturen, welche prachtvoll die Wunderwand-Akustik schmücken. Das ist wie ein sechsundzwanzig Grad warmer Ozean. Aus dieser Bruckner-Sinfonie möchte man nie wieder raus.

Vor allem in langsamen Satz zeigt sich das Team um die Philharmoniker-Altmeister Rainer Honeck und Volkhard Steude in astronomischer Höchstform. Bruckner lebt von unerwarteten musikalischen Wendungen und schwebenden Akkorden. Was dieses Orchester damit macht, ist reinste Klangmagie. Alles ausspielen, die Spannung halten. Das Publikum in den Bann der Musik ziehen. Bei jedem Magiemoment dieser Musik – davon gibt es in dieser Sinfonie viele – steht die Zeit still.

Selbst der Kopfsatz – eigentlich nicht die Stärke des Linzer Komponisten – gelingt diesem Klassik-Traumteam wie ein musikalischer Monet. Zum Staunen und Schwärmen. Diese Musik streichelt sanft die Ohren wie ein genussvolles Gazpacho die Zunge. Vor allem die Streicher singen eine unendliche Melodie, kunstvoll gemischt wie eine strudelnde Schokoladensauce. Die Anreise hat sich schon für die Vorspeise gelohnt. Sowas verdient drei musikalische Michelin-Sterne!

Zur Sache geht es im Scherzo, da hauen einen die Wiener Pauken völlig auf die Stuhlkante. Der Klang im Ohr ist trotzdem sanft wie Seide, Bratschen und Celli-Melodien fliegen an einem vorbei wie Waldvögel in der Wachau. Zum innerlichen Empfinden des ersten Satzes kommt nun ein wenig windige Natur hinzu. Doch der große Sturm lässt auf sich warten, der kommt erst im Schlusssatz. Eine unglaubliche Energie aus tönendem Blech und wuchtigen Streicher-Tremoli fegt durch den Saal. Triumphale Trompeten läuten den strahlenden Schluss ein, wie eine Erlösung aus den wunderbar schmerzlichen Emotionen, die in diesen anderthalb Stunden auf innerlichste Weise zum Ausdruck kommen.

Stehende Ovationen sind die logische Folge. Für Dirigent und Orchester. Das Publikum will einfach nicht aufhören zu klatschen. Unzählige Male kommt Christian Thielemann nochmal auf die Bühne. Einige hätten wohl noch den ganzen Nachmittag voll Begeisterung den Bruckner-Gott mit Bravo-Rufen gefeiert.  Aber auch der will irgendwann nach Hause. Außerdem steht für einige auf der Bühne wie im Publikum noch eine gewisse Beethoven-Oper auf dem Tagesspielplan.

Nach dem morgigen Sonntagskonzert geht dieses goldene Bruckner-Team auf große Tournee. In die USA. Liebe Amis, lasst euch diese Chance nicht nehmen. So ein hohes Wunder der westlichen Klangkunst wird es so schnell nicht wieder geben.

War Thielemanns  – ebenfalls exzellentes  – Berliner Parsifal-Vorspiel im Dezember geprägt vom Kopfschütteln und Zurechtweisungen am Pult, so scheint am heutigen Tage auch er endlich mal seinen Klangzauber einfach zu genießen. Lassen wir den Experten urteilen, der Ur-Beliner wird uns keine Kritik ersparen. Seine lautlose Sprache aber spricht Klartext: Ohne Worte.

Johannes Karl Fischer, 26. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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