Foto: Ayelet Kagan, (c) Theaterakademie August EverdingAkademietheater, München, 9. November 2019
Arien aus Opern von Händel und Hasse –
Abschlusskonzert eines Gesangworkshops Barock
Theaterakademie August Everding, Akademietheater
Accademia di Monaco auf historischen Instrumenten,
Leitung: Mary Utiger
Studierende des Masterstudiengangs Musiktheater/Operngesang der Theaterakademie
von Gabriele Lange
Unter Sir Peter Jonas war die Bayerische Staatsoper ein Schlaraffenland für Freunde der Barockoper. Seit seine Intendanz 2006 zu Ende ging, sind die Münchner auf Diät gesetzt. Wem die wenigen Konzerte und Inszenierungen nicht reichen, der muss reisen – oder begibt sich auf Entdeckungstour zur Münchner Musikhochschule. Hier lassen sich immer wieder Leckerbissen aufstöbern. Und manchmal ist der Tisch unerwartet reich gedeckt.
Fünf Wochen lang setzten sich Studenten im Workshop „Barocker Operngesang“ mit Arien von Händel und Hasse auseinander. Zunächst mit ihrem Professor Joachim Tschiedel, dann vertieften sie ihre Praxis eine Woche lang mit Countertenor Flavio Ferri-Benedetti, der auch als Musikwissenschaftler und Gesangslehrer arbeitet. Für einzelne Studenten war dieser Workshop die erste Begegnung mit barocken Verzierungen. Beim Abschlusskonzert im intimen Rahmen des kleinen Akademietheaters erreichten die Studierenden dann teilweise ein höheres Niveau als man in manchen „professionellen“ Aufführungen erlebt.
Einige Sänger haben mich dabei besonders beeindruckt – die Auswahl ist notwendigerweise subjektiv und damit sicher ungerecht.
Henrike Henoch, Sopran, etwa bringt trotz ihrer Jugend eine Diven-Power auf die Bühne, dass man zunächst stutzt. Doch sie liefert ab: ausdrucksstark, elegant und stimmlich absolut überzeugend singt sie „Ah spietato! E non ti muove“, die Arie der Melissa aus „Amadigi di Gaula“ von Händel (begleitet von Ana Inés Feola auf der Solo-Oboe).
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(c) Theaterakademie August Everding
Jacoba Barber-Rozema ist ein anderer Typ – scheinbar unbekümmert marschiert sie nach vorn, legt los – und man ist beeindruckt von der Kontrolle, mit der die Sopranistin ihre klare, ausdrucksstarke Stimme führt („Veggio la sponda“, Didone Abbandonata, Hasse).
Mit besonderer Bühnensicherheit fiel Gabriel Rollinson auf. Der Bassbariton sang „Sorge infausta una procella“ aus Händels Orlando und hatte während der Arie des Zoroastro das Publikum im Griff.
Wirklich fasziniert war ich von Ayelet Kagan. Die Sopranistin sang Rosmenes Arie „Ingrata mai non fui“ aus Händels Imeneo nuancenreich, scheinbar mühelos bis in die Höhen und mit tiefem Gefühl. Und sie beendete auch die Aufführung: Mit einer kraftvollen, rasanten und sicheren Fassung von „Spiegai lini, abbandona la sponda,“ einer Arie des Megabise aus Hasses Artaserse, zeigte sie eine ganz andere Seite – ein perfekter Kehraus für einen wunderbaren Barocknachmittag.
Wer in München hochklassiges Theater sehen will, geht in die Kammerspiele oder ins Residenztheater. Ich bin allerdings ein großer Freund des Volkstheaters. Hier stehen vor allem junge, hochbegabte Schauspieler auf der Bühne, gefördert vom Prinzipal Christian Stückl. Hier gibt es keine saturierte Selbstgefälligkeit, sondern Hunger nach Ausdruck, Begeisterung für die Kunst. Da geht man voll ins Risiko. Manchmal geht auch was daneben – aber so entsteht oft auch etwas ganz Besonderes. Mit demselben Mut haben sich ausnahmslos alle jungen Sänger ans Thema Barock gewagt – mit mehr oder weniger Erfahrung, aber alle mit Leidenschaft, Hoffnung und spürbarer Freude. Sie versuchten die elf Da-Capo-Arien und die zwei Rezitative auch emotional auszugestalten – nicht selten gelang das wirklich fesselnd. Coach Flavio Ferri-Benedetti erklärte, er sei richtiggehend verliebt in diese Studenten. Mir ging es ebenso.
Der Kontext der Akademie hat übrigens einen zusätzlichen Vorteil für die Zuhörer: Joachim Tschiedel und Flavio Ferri-Benedettigaben zwischendurch einige Hintergrundinfos, etwa über die vielfach verwendeten Libretti Metastasios und die verbreitete Praxis, aus eigenem und fremdem Material neue Werke zu schaffen. Mit dem Pasticcio wurde im Barock also bereits das Sampling erfunden. Flavio Ferri-Benedetti verglich zudem nicht nur die Nähe der verzierenden Improvisationen zum modernen Jazz, sondern demonstrierte vergnügt einige Trilli-Varianten.
Joachim Tschiedel dirigierte nicht nur, er tanzte regelrecht mit der Accademia di Monaco unter Mary Utiger. Die hoch kompetenten, größtenteils ebenfalls jungen Musiker mit ihren historischen Instrumenten machten das Barock-Glück komplett. Eigentlich schade, dass solche Veranstaltungen vor so kleinem Publikum stattfinden – unter den nicht einmal 250 Zuschauern waren wohl die meisten Insider aus dem Umfeld der Akademie und den Familien der Beteiligten. Dieses liebevoll angerichtete Büffet mit Barock-Delikatessen hätte das Zeug dazu gehabt, bei Klassik-Begeisterten den Appetit auf mehr zu wecken.
Gabriele Lange, 11. November 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daria Kalinina, Sopran
Damien Gastl, Bariton
Ayelet Kagan, Sopran
Anna Magdalena Rauer, Sopran
Christian Lange, Bariton
Milena Bischoff, Sopran
Henrike Henoch, Sopran
Jacoba Barber-Rozema, Sopran
Franziska Weber, Mezzosopran
Gabriel Rollinson, Bassbariton
Joachim Tschiedel, musikalische Leitung