Foto © Peter Hundert
Arthur Honeggers dramatisches Oratorium über die Heilige und französische Nationalheldin ist vieles zugleich : ein opulentes Orchester- und Chorwerk, ein buntes Kaleidoskop gespickt mit mannigfaltigen musikalischen Anleihen und ein großformatiges Bühnenspiel, das Scharfsinn, Furie und überdrehte Ironie vereint. Alan Gilbert führte ein hochkarätiges Schauspiel- und Sängerensemble durch den vorgezeichneten Leidensweg der Titelheldin und entlockte den Philharmonikern aparte Klangperlen.
Alan Gilbert, Dirigent
Marion Cotillard, Éric Génovèse und Christian Gonon, Sprecher
Berliner Philharmoniker
MDR Rundfunkchor
Vokalhelden
Arthur Honegger, Jeanne d’Arc au bûcher
Philharmonie, Berlin, 7. Juni 2024
von Lukas Baake
Anlass für Honeggers Komposition war ein Impuls der russischen Tänzerin und Schauspielerin Ida Rubinstein, die ein Werk über die Jungfrau von Orléans bei dem Komponisten in Auftrag gab. Als reine Sprechrolle angelegt, verlangt die Titelrolle Expressivität und Agonie, die immer wieder die Größen des Schauspielfachs, so etwa Ingrid Bergman 1954 in Paris, herausgefordert hat.
Für die Aufführung in Berlin konnte die Französin Marion Cotillard gewonnen werden, die nicht nur in zahlreichen Kinoproduktionen der vergangenen zwei Jahrzehnte überzeugte, sondern bereits ebenso lange die Jeanne in Honnegers mystère lyrique verkörpert. Zwischen einem apathisch-entrückten Zustand und kämpferischen Lebenswille schwankend stand Cotillard im Mittelpunkt der halb-szenischen Inszenierung, und war, zumindest gemessen an dem Schlussapplaus, für viele Besucher ein Hauptgrund für den Besuch des Konzerts. Kongenial komplettiert wurde das darstellende Ensemble durch Christian Gonon als gutherzig, bisweilen überspannter Erzähler sowie Éric Génovèse als Frère Dominique.
Der fein ausbalancierte MDR Rundfunkchor fügte sich umstandslos in den Gesamtklang ein und bildete einen musikalisch wie dramatisch prägenden Kraftpol. Dabei nutzte der Regisseur Côme de Bellescize in seiner Inszenierung den Raum der Berliner Philharmonie geschickt aus: Die drei Hauptprotagonisten waren zentral hinter dem Orchester platziert und größtenteils von dem Kinderchor umgeben. Diese Konstellation eröffnete nicht nur eine überraschend dynamische Personenführung, sondern ermöglichte auch gelungene Interaktionen mit den Chören. Durch die Positionierung einzelner Sänger in den Rängen – hervorzuheben ist an dieser Stelle die Leistung von Elsa Benoit und Adèle Charvet als Marguerite und Catherine – wurde der statische Raum der Berliner Philharmonie zu einer lebendigen Bühne.
Getragen wurde der Abend von dem kontrolliert-präzisen Dirigat von Gilbert. Unter seiner souveränen Führung verwandelten die Philharmoniker Honeggers weitgefächerten Stil zwischen spätromantischen Phrasen, Jazzelementen und mittelalterlichen Choralen in aparte Klangperlen, die lange nach dem Schlussapplaus nachhalten.
Lukas Baake, 11. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at