Wenn uns Asmik Grigorian in den Schlummer singt… kann es etwas Schöneres geben?

Asmik Grigorian, Richard Strauss, Vier letzte Lieder  Musikverein Wien, 18. Jänner 2025

Asmik Grigorian und Petr Popelka © Amar Mehmedinovic

Der Höhepunkt des Konzerts der Wiener Symphoniker waren die “Vier letzten Lieder” von Richard Strauss, in der herzergreifenden Interpretation der großen Asmik Grigorian.

Asmik Grigorian  Sopran
Petr Popelka  Dirigent

Wiener Symphoniker

Musikverein Wien, Großer Saal, 18. Jänner 2025

von Dr. Rudi Frühwirth

Wenn die Vier letzten Lieder von Richard Strauss mit Asmik Grigorian angekündigt sind, beginnt das Herz in Vorfreude zu schlagen. Aber noch war ein wenig Geduld angesagt – die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka begannen den Abend mit der Orchestermusik op. 9 von Gottfried von Einem.
Sie waren es auch, die das Werk 1948 unter der Leitung von Karl Böhm zur Uraufführung brachten. Stilistisch ist das brillante Stück typisch für den Komponisten: er verlässt die – allerdings sehr weit gespannte – Tonalität nicht, ignoriert unbekümmert die Entwicklung der seriellen Technik in den vergangenen Jahrzehnten, und fesselt den Zuhörer durch intensive thematische Entwicklung und scharfe rhythmische Akzente, hierin nicht unähnlich dem großen Béla Bartók. Kurzum, ein Stück, das in jedem Takt die Pranke des geborenen Musikanten spüren lässt. Popelka forderte sein Orchester erfolgreich zu größter Präzision heraus, vom Hammerschlag zu Beginn bis zum Trauermarsch am Ende.

Dann war es soweit: Asmik Grigorian betrat das Podium und begann mit dem Frühling, dem ersten der Vier letzten Lieder, erstaunlicherweise im gleichen Jahr komponiert wie von Einems op. 9. Sie sind ein wehmütiger Rückblick des greisen Komponisten, aus der Zeit gefallen, eine allerletzte Blüte der Spätromantik von ergreifender Schönheit.

Schon im ersten Lied zeigte Grigorian alle Facetten ihrer Gesangskunst: ein strömendes Legato in der ersten Strophe, eine strahlende Höhe in der zweiten, starke Emotionen in der dritten. Ihre Stimme mag nicht die Zärtlichkeit der Elisabeth Schwarzkopf, nicht die kühle Schönheit der Gundula Janowitz haben – Grigorian bringt neben ihrer technischen Perfektion eine Intensität des Ausdrucks mit, die den Zuhörer überwältigt.

Wie vollendet sie die Kunst der Phrasierung beherrscht, zeigte sich deutlich im zweiten Lied, dem September. Fabelhaft war auch der Ausklang im Pianissimo, kongenial begleitet vom Solohorn.

Das dritte der Lieder, Vorm Schlafengehen, ist für mich das allerschönste. Es beginnt mit den warmen Tönen der Bratschen, nach der ersten Strophe setzt der Konzertmeister zu seinem himmlischen Solo an, dem sich die Sopranistin anschließt, sodass in der dritten Strophe ein emotionaler Höhepunkt erreicht ist, der im reichen Liedschaffen des Komponisten, und auch in dem so mancher anderer,  seinesgleichen sucht.

Im Abendrot,  das letzte der vier Lieder, ist geprägt von Resignation und dem Ausblick auf den unvermeidlichen Abschied von der Welt. Vom warm aufblühenden Crescendo zu Beginn bis zur leise gehauchten Frage am Ende „Ist das etwa  der Tod?“ strömt die Musik ruhig atmend, die Flöten lassen die Lerchen zwitschern, die wandermüde Seele kommt endlich zur Ruhe.

Unter Popelkas subtiler Leitung ließen die Symphoniker Straussens bewundernswerte Kunst der Orchestrierung zu voller Schönheit erblühen, sie gaben der Sängerin den perfekten klanglichen Hintergrund, vor dem sie sich frei entfalten konnte. Das Ergebnis war ein musikalisches Gesamtkunstwerk, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Asmik Grigorian und Petr Popelka © Amar Mehmedinovic

Nach der Pause folgten drei weitere Orchesterlieder von Strauss, zunächst Cäcilie aus dem Opus 27. In ihm konnte Grigorian ihre hochdramatische Seite voll zur Geltung bringen. Das folgende Lied, die beliebte Zueignung aus Opus 10, nahm Popelka recht langsam, sodass wir die Schönheit von Gesang und Orchesterbegleitung voll auskosten konnten. Das letzte der drei war Morgen! aus Opus 27, das zart mit den Streichern, der Harfe und der Solovioline beginnt, und in dem Grigorian wieder ihre perfekte Technik der Intonation und der Phrasierung im Verein mit höchster Audrucksfähigkeit zeigte. Das Publikum dankte ihr, dem Orchester und dem Dirigenten mit höchst verdientem tosendem Applaus und zahlreichen Hervorrufen.

Nach einer kurzen Umbaupause schloß der Abend mit Schuberts siebenter Symphonie, der  Unvollendeten, die vielleicht gar nicht unvollendet ist, sondern einfach in zwei Sätzen zu sagen vermag, was Schubert bei ihrer Komposition bewegte: eine unendliche Trauer, ja Verzweiflung im ersten Satz, die dann im zweiten in wehmütige Gelassenheit umschlägt.

Popelka begann mit seinen Symphonikern das Werk in höchster Konzentration. Kaum hörbar war das Schwirren der Violinen nach dem düsteren Rezitativ der Celli und Kontrabässe, bis die Oboen und Klarinetten mit ihrem klagenden Thema einsetzten. Das kantable Seitenthema der Celli war wundervoll lebendig gestaltet, die Bruckner vorwegnehmende Schlussgruppe als schroffer Kontrast gezeichnet. Wieviel Bruckner Schubert verdankt, wurde mir in Popelkas Interpretation wieder einmal ganz deutlich. Das Orchester bot in allen Gruppen eine lobenswerte Leistung, wobei ich die Holzbläser und die Hörner besonders hervorheben möchte. Sie treten ja im ersten wie auch im zweiten Satz solistisch häufig hervor. Nach dem sanft verklingenden Schluss belohnte rauschender Beifall den Dirigenten und die Symphoniker.

Dr. Rudi Frühwirth, 20. Jänner 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Gottfried von Einem
Orchestermusik op. 9

Richard Strauss
Vier letzte Lieder für Sopran und Orchester, AV 150

Frühling (Hermann Hesse)
September (Hermann Hesse)
Beim Schlafengehen (Hermann Hesse)
Im Abendrot (Joseph von Eichendorff)

Cäcilie op. 27/2 (Heinrich Hart)
Zueignung op. 10/1 (Herrmann von Gilm)
Morgen! op. 27/4 (John HenryMackay)

Franz Schubert
Symphonie Nr 7. h-Moll, D 759 „Unvollendete“

CD-Rezension: Asmik Grigorian, Richard Strauss 4 + 4 = 8 >br> klassik-begeistert.de, 24. Februar 2024

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Richard Strauss (1864-1949): Vier letzte Lieder, Ein Heldenleben op. 40. Baden-Baden, Festspielhaus, Ostermontag, 10. April 2023

Ein Gedanke zu „Asmik Grigorian, Richard Strauss, Vier letzte Lieder
Musikverein Wien, 18. Jänner 2025“

  1. Danke für diese tolle Kritik. Ich fand Asmik Grigorian auch sehr bezaubernd und die Wiener Symphoniker unter Popelka hervorragend. Sternstunden der Klassik!

    Franziska Uebel

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