Benjamin Bernheim und Elbenita Kajtazi (Foto 2022/RW)
Jules Massenet (1842 – 1912)
Manon
Libretto – Henri Meilhac und Philippe-Emile-François Gille
(nach Antoine François Prévost d’Exiles’ „Histoire du chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut aus den Mémoires et aventures d’un homme de qualité qui s’est retiré du monde“)
Uraufführung – 19. Januar 1884, Paris (Opéra-Comique, Salle Favart)
Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Giedrė Šlekytė – Musikalische Leitung
David Bösch – Inszenierung
Patrick Bannwart und Falko Herold – Bühne und Kostüm
Staatsoper Hamburg, 22. Mai 2024
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertexten
von Jörn Schmidt und Regina König
Thomas Baltensweiler titelte 2022 in der NZZ (Neue Zürcher Zeitung), Pene Pati sei eine Art „YouTube-Pavarotti“. Das weckt schlimme Assoziationen, es gab da vor gar nicht langer Zeit einen Paul Potts, der allerhand Alben an den Mann brachte, dies indes nicht tenoralem Talent, sondern einer britischen Casting-Show verdankte. Man kann sich das und insbesondere sein „Nessun dorma“ auf eigene Gefahr bei YouTube ansehen, künstlerisch ist es jedenfalls ohne Bedeutung.
Mit Pene Pati verhält es sich ausnahmslos anders, er hat seine immense Begabung instinktiv und zielsicher in künstlerische Wahrhaftigkeit umgemünzt, gelangte aber eher zufällig (der Legende nach weil ihn anderenfalls, also ohne gleichzeitiges Engagement im Chor, das Rugby Team seiner High School nicht aufgenommen hätte) auf die tenorale Laufbahn und bezog sein Handwerkszeug anfangs aus dem Studium von Pavarotti-Videos auf YouTube. Ein reiner Autodidakt ist Pati indes nicht, er ließ sich auch von Dritten in Stimmbildung unterrichten.
Figürlich passt der Vergleich mit Pavarotti, das war’s dann aber eigentlich schon mit den Parallelen bei der Karriereplanung. Während Pavarotti vornehmlich mit dem italienischen Werke-Kanon in Verbindung gebracht wird, liegt Pati offensichtlich das französische Repertoire. Es bildet einen Schwerpunkt seiner Rollen, außerdem schreckt er selbst vor der barocken opera seria nicht zurück wie 2022 anlässlich der Barocktage an der Staatsoper Berlin als König Pontus in Mozarts Mitridate.
Während „Mr. Big P.“ erst mit Anfang 40 den Schritt vom Tenore lirico zum Tenore lirico spinto wagte, ist Pati bereits mit 37 Jahren mutiger und singt den Des Grieux eher wie ein Jugendlicher Heldentenor denn als Lyrischer Tenor. Bei YouTube gibt’s übrigens bereits ein „Nessun dorma“ von Pati, hochgeladen am 22. März 2023. Der Weg vom Belcanto zum Heldentenor ist indes niemals schmerzfrei, da hilft nur Intuition. Und davon gab’s an diesem Abend genügend.
Die junge litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė und Pene Pati könnten Weggefährten werden, wenn sie es nicht schon sind. Nicht nur, dass beide im Juni nach Berlin weiterziehen und dort den Rigoletto geben, sondern weil sie u.a. in Sachen Agogik reichlich intuitiv unterwegs sind. Šlekytė kann sich Intuition leisten, weil ihr Dirigat auf einer klassischen Ausbildung und akribischer Vorbereitung fußt. Pati hat Intuition nötig, weil er sich noch im Prozess der Stimmbildung befindet und einhergehende Schwächen durch Überschwang im Ausdruck ziemlich gekonnt überspielt.
Šlekytė nutzte ihre Intuition desgleichen, um Patis Stärke, sein mal edel vor sich her glimmendes, dann wieder fast ansatzlos lustvoll-glühend herausfahrendes Timbre, mit eleganten Tönen zu unterstreichen. Und wenn Pati plötzlich und vollkommen überraschend für einen kurzen Moment zugeschnürt klingt, wie ein Sekundenschlaf, dann wird das mit leidenschaftlich aufblitzendem Orchesterklang kaschiert. Wenn man so will ein intuitiv musizierendes Dreamteam.
Zusammen ist das großes Tennis, wie Dr. Wegner und Harald Nicolas Stazol bereits trefflich herausgearbeitet haben. Das muss man erstmal schaffen, bei der streckenweise ermüdenden Partitur. Wenn sich Pati nicht übernimmt, haben wir in fünf bis zehn Jahren nichts mehr zu kritteln und er bekommt sein eigenes Label: „Bro Big P.P.“ möchten wir vorschlagen. Klassik-begeistert hält Sie informiert.
Die Inszenierung ist ein Relikt aus Corona-Zeiten, seinerzeit sang der Staatsopernchor aus den Logen in den Rängen des Opernhauses. Zur jetzigen Wiederaufnahme hat Daniel Bösch die Chorszenen in seine Inszenierung einbezogen. Das ist ein wenig schade, denn Chor von oben ist ein schöner klanglicher Effekt, während sich aus den neuen Szenen kein frischer Erkenntnisgewinn ableiten ließ. Die so frei gewordenen zusätzlichen Sitzplätze hätte man auch nicht vorhalten müssen, Karten für die Vorstellung waren alles andere als nachgesucht.
Zum Glück hat’s Pene Pati und Elbenita Kajtazi nicht (merklich) gestört. Apropos, wie lebt und singt es sich neben Pene Pati? Ziemlich gut, es inspiriert zu Höchstleistungen, Kajtazi weiß ein Lied davon zu singen. Es ist aber auch ziemlich anstrengend, zum Ende hin schwanden ihr die Kräfte, ihr gleichsam kraftvoller wie klarer Sopran kippte ein Stück weit in die angestrengte Mittellage.
Jörn Schmidt und Regina König, 23. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 8: D. Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk Staatsoper Hamburg, 16. Mai 2024