Foto: Han-Na Chang (c) Ole Wuttudal
„Bundestrainer kann jeder“ ist ein launiger Kommentar von Joscha Weber. Auslöser des Artikels war eine 2:3 Niederlage der deutschen Nationalmannschaft (Herren) gegen England im Jahr 2016. Weiter im Text führt der Kollege aus: „Jeder Wackler wird seziert, kritisiert und dramatisiert“, Granteln sei ja schließlich deutsches Kulturgut. Sie erkennen sicher die Parallelen. Wackler gab es gestern so einige, zuvörderst die Hörner der Symphoniker Hamburg. Und Brahms in der Laeiszhalle aufzuführen, das ist wie ein Match im Mutterland des Fußballs.
Symphoniker Hamburg
Han-Na Chang / Dirigentin
Veronika Eberle / Violine
Weber / Ouvertüre zu „Der Freischütz“
Mendelssohn Bartholdy / Violinkonzert e-Moll
Brahms / Sinfonie Nr. 4
Laeiszhalle, Großer Saal, 1. Dezember 2024
von Jörn Schmidt
So wie Ihnen auch jeder Zuschauer und erst recht jeder Rezensent sagen kann, wie Brahms klingen soll. Bedacht, wehmütig, aber bloß nie auftrumpfend, sagt der eine. Wie langweilig, wird man Ihnen entgegnen, wenn Sie so argumentieren. Straff, dramatisch und vor allem, rhythmisch zupackend. So und nicht anders soll Brahms klingen. Sonst geht der große Bogen verloren. Manch einer hat den Hang zu vermitteln. Fix, aufrichtig und bewegend, so ginge Brahms.
Dass das Spektrum der Meinungen so auseinander klafft, hängt mit der Radikalität der Partitur zusammen. Allein schon der Beginn, der schleicht sich aus dem Nichts an. Dann der zweite Satz, da ist einfach für jeden etwas dabei. Von zart bis hart. Der dritte Satz qualifiziert sich fast schon als Finale, freundlich mit einer gewissen Schwere. Das Finale selbst ein Rätsel, in Form einer barocken Passacaglia samt Bach-Zitat. Zugleich Ende einer Ära und Blick in die Zukunft?
Ich habe jedem Satz der Sinfonie ein Zitat von Simone Young zugeordnet, die bekanntlich ebenfalls Brahms 4 in der Laeiszhalle gegeben hat. So wie Han-Na Chang am 1. Advent. Ich finde, Youngs Zitate machen sehr schön deutlich, wie viel Gegensätzliches in der Partitur steckt. Kompositorisch, aber vor allem emotional.
I: „Es gibt keine Einleitung, es geht einfach los mit dieser sehr nostalgischen Melodie“
II: „Man lebt fast ein ganzes Leben durch diesen einen Satz“
III. „Fast ein Teufelstanz“
IV: „Modernität, die bis zu Bartók führt“
Obwohl Brahms 4 immer geht, also auf den ersten Blick ein ziemlich dankbares Stück für Publikum und Dirigent ist – eigentlich kann man damit nur scheitern. Entweder, man holt alles aus der Partitur raus, was geht. Dann verliert man sich schnell in akademischen Details, zu Lasten des großen Bogens.
Oder aber, man setzt auf den Vorwärtsdrang, den Brahms der Sinfonie mit scheinbar leichter Hand verordnet hat. Dann gehen im Überschwang der Gefühle schnell mal Details und subtile Emotionen verloren. Wie man die Komplexität der Sinfonie in einen natürlichen Fluss gießt, ohne Angst vor deutscher Schwere und anderen Extremen, hat Kent Nagano 2006 mit dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin (DSO) exemplarisch auf CD gebannt.
Han-Na Changs Konzept dagegen bestand aus Entschlossenheit, Kraft und Vorwärtsdrang. Fast schon mit Furtwängler`schen Attacken. Das war beeindruckend, nutzt sich zugleich mangels ausreichender Akzentuierung der lyrischen Themen mit der Zeit ab. Vorwärtsdrang braucht Verzögerungen, um seine Wucht zu entfalten. Ein guter Trainer setzt eben auch bei der Mannschaftsaufstellung auf Homogenität.
Die fehlende Homogenität hatte sich bereits zu Beginn des Konzerts abgezeichnet, die Freischütz-Ouvertüre geriet klangschön, trat aber ein Stück weit auf der Stelle. Vielleicht hätte der Solo-Pauker Matthias Kessler beherzter zu den Drumsticks greifen sollen. Aber man weiß ja nie, welche Vorgaben er hatte. Unweit der Laeiszhalle, an der Staatsoper Hamburg, haben Yoel Gamzou und Brian Barker gerade vorgemacht, wie man den Freischütz rockt.
Dass zärtliche Leichtigkeit und Attacke zusammengehen, das zeigte vor der Pause Veronika Eberle in Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert. Die Symphoniker Hamburg rückten da gerne in den Hintergrund, ganz wie ein guter Libero.
Morgen, Dienstag, gucke ich vielleicht DFB-Pokal, Bayern gegen Bayer. Der Abend wird sicher nicht ganz so glanzvoll, wie der 1. Advent in der Laeiszhalle. Aber ich kann Ihnen dann sicher auch wieder ganz genau sagen, was Vincent Kopmany und Xabi Alonso so alles falsch gemacht haben. Das wird Andreas Schmidt, der Herausgeber von Klassik-begeistert, dann aber nicht veröffentlichen.
Jörn Schmidt, 2. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 34: Show me your bells! Elbphilharmonie, 24. November 2024
Auf den Punkt 33: Webers Freischütz Staatsoper Hamburg, 23. November 2024