Auf den Punkt 39: Das geht nicht gut aus

Auf den Punkt 39: Das geht nicht gut aus  Elbphilharmonie, 17. Dezember 2024

Wiener Philharmoniker mit Klaus Mäkelä; Foto Patrik Klein

In Deutschland gilt man mit 18 Jahren als volljährig. Ebenso in Finnland. Wie in den meisten anderen Ländern auch. Es gibt nur wenige Ausreißer. Die Vereinigten Arabische Emirate zum Beispiel, dort stellt man auf 21 Mondjahre ab. Das entspricht 20 Jahren und 4 Monaten.

Wiener Philharmoniker
Klaus Mäkelä / Dirigent

 Gustav Mahler / Sinfonie Nr. 6 a-Moll

Elbphilharmonie, Großer Saal, 17. Dezember 2024

von Jörn Schmidt

Der Finne Klaus Mäkelä ist 28 Jahre alt. Also schon seit zehn Jahren volljährig. Aber Sie kennen mich, mit Dirigentenjahren ist es wie mit Hundejahren. Man zählt einfach anders. Oder, eleganter ausgedrückt: Es verhält sich mit Dirigenten so wie mit Großen Gewächsen (Weinklassifikation). Die sind Megastars im Glas. Und werden besser, je älter sie werden.

Mäkelä wird ohne jeden Zweifel mal ein großer altersweiser Dirigent. Ich werde das wohl nicht mehr erleben. Bis der Finne irgendwann mal 90 Jahre alt ist, da müsste man schon Methusalem sein. Um so spannender ist es, mitzuerleben, wie die großen alten Dirigenten mal losgelegt haben. Aber sollte man sich so jung an Jahren ein so rätselhaftes Werk vorknöpfen?

In Mahler 6 steckt die ganze Welt. Außerdem das ziemlich vertrackte Seelenleben des Komponisten. Die drei Hammerschläge zum Beispiel. Die sind zunächst ein Mal biographisch, sie stehen für drei Schicksalsschläge im Leben Gustav Mahlers. Zwei erlebte Katastrophen, eine antizipierte.

Hammerschlag 1: Der Tod seines Kindes

Hammerschlag 2: Mahlers Herzkrankheit

Hammerschlag 3: Mahlers Tod

Nummer 3 hat Mahler übrigens später gestrichen, wie es heißt auf Anraten seiner Gattin. Und aus Aberglauben. Besser nicht den eigenen Tod forcieren oder gar herbeikomponieren. Das ist wahre Gattenliebe.

Auch kompositorisch hat der Hammer im vierten Satz einiges zu schultern.  Hammerschlag 1 und Hammerschlag 2 sind Zäsuren. Sie trennen die Orchestergruppen. Mehr noch, der erste Hieb trifft den Reset-Button mit voller Wucht. Als ob kurz vor Schluss die Sinfonie von vorn beginnen möge. Der gestrichene dritte Hammerschlag war dagegen ohne größere Bedeutung.

Wiener Philharmoniker in Hamburg; Foto Patrik Klein

Dann die geänderte Satzfolge. Allegro-Scherzo-Andante-Finale, so steht es immer noch in der Partitur. Kurz vor der Uraufführung hat Mahler die ursprüngliche Reihenfolge umgestellt auf Allegro-Andante- Scherzo -Finale. Warum nur? Rätsel über Rätsel.

Wie hat der Jungstar den Wiener Philharmonikern und seinen enthusiasmierten Fans die Welt erklärt? Bloß kein Happy End, war der Ansatz. Mit Anlauf in die Katastrophe. Ganz im Sinne  Mahlers. So aggressiv-kreischend habe ich das noch nicht gehört. Aber:

Damit sich das nicht abnutzt und langweilig wird, bietet Mahler dem Dirigenten sehr viel mehr an. Unter anderem ein riesiges Farbenspektrum lyrischer Passagen, die Angst und Schrecken in die Schranken weisen. Und jenseits der omnipräsenten Märsche, Ländler, Walzer, Alpenklänge und Volkslieder eine Füllhorn tief in der Partitur verborgener anderer Themen und Motive unterschiedlichster Gefühlswelten.

Bei Mäkelä blieb vieles davon ungehört. Auch die Wiener Philharmoniker schienen von seinem Dirigat unterfordert, das Orchester kann einem Dirigenten zweifelsohne deutlich mehr Mahler zurückgeben. Das ging nicht gut aus.

Jörn Schmidt, 18. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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