Auf den Punkt 45: Mitridate, der Wachtelkönig

Auf den Punkt 45: Mitridate, der Wachtelkönig  Staatsoper Hamburg, 23. Februar 2025 PREMIERE

Mitridate, re di Ponto, Hamburg © Brinkhoff / Mögenburg

Insgeheim hoffe ich, dass auf dem Baakenhöft in der Hamburger HafenCity ein Wachtelkönig und sein Kinder vergnüglich zwitschern. Denn dieser Vogel hat viel Macht. Zum Beispiel  hat er 1997 vor dem  Bundesverwaltungsgericht einen vorübergehenden, immerhin 10 Monate währenden Baustopp  erwirkt. In dem Rechtsstreit  ging es nicht etwas um ein Einfamilienhaus. Sondern um eine wichtige Verkehrsader unweit Hamburgs, die Ostseeautobahn A 20 nahe Lübeck. 

Wolfgang Amadeus Mozart                            Mitridate, re di Ponto

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Ádám Fischer, Dirigent

Staatsoper Hamburg, 23. Februar 2025 PREMIERE

von Jörn Schmidt

Und das funktionierte so. Bei Großprojekten zählen nicht nur die Interessen des Bauherren, sondern auch Natur und Umwelt. Diese vertreten durch Naturschützer beziehungsweise NGOs wie zum Beispiel NABU. Die bringen im Klageverfahren vor, dass der Wachtelkönig so selten sei wie ein Phantom. Aber entlang der geplanten Trasse der A20, da fühle er sich pudelwohl.

Ich habe den Vogel leider noch nicht gesehen. Auch seinen Gesang habe ich noch nicht vernommen. Aber die Interessen des Wachtelkönigs haben Gewicht, sie sind beim Bau zu berücksichtigen. Und das kann dann dauern.

Wenn der Vogel  jetzt in der Hamburger HafenCity gesichtet wird, dann dürfte das Einfluss auf den Neubau der Hamburgischen Staatsoper haben. Der Bau wird sich verzögern. Oder man nimmt vielleicht komplett Abstand davon.

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Warum ich es gut fände, dass die Staatsoper in der Innenstadt verbleibt – wo doch das aktuelle Zuhause der  Hamburgischen Staatsoper seine Defizite hat und zudem schlecht ausgelastet ist? Nun, ich befürchte eine weitere touristische Attraktion im Stile der Elbphilharmonie.

Mitridate, re di Ponto, Hamburg © Brinkhoff / Mögenburg

Recht gut gebucht, dies aber teuer erkauft. Wobei ich mich nicht nur auf Steuergelder beziehe. Sondern auf ein jubelfreudiges Event-Publikum, das dann die Ränge der neuen Staatsoper  füllen muss. Was eine Unruhe in den Saal trägt, die den aufgeführten Werken nicht gerecht wird. Lesen Sie dazu bitte beispielhaft die letzte Folge meiner Kolumne.

Außerdem, es wird allerorts das Aussterben der Innenstädte beklagt. Ein Umzug der Staatsoper wäre ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Warum nicht einfach mit der Kühne-Stiftung über die Renovierung des denkmalgeschützten Hauses am Gänsemarkt verhandeln?

Der Wachtelkönig ist übrigens bekannt als extrem seltener Wiesenvogel mit enormer Stimme. Das ist die zweite Parallele zur heutigen Premiere an der Staatsoper. Denn Mozarts barocke Kinderoper Mitridate, re di Ponto, wird selten aufgeführt. Hat aber durchaus das Zeug zu einem Sängerfest.

In Hamburg hat Mitridate bislang noch niemand auf die Bühne gebracht. Hausherr  Georges Delnon wagt die Hamburger Erstaufführung. Wenn man so will als Beweisangebot, dass Mozart schon mit 14 Jahren ein Genie war.  Die Inszenierung verantwortet Birgit Kajtna-Wönig, Bühne und Kostüme steuert Marie-Luise Otto bei.

Schlimmes war zu befürchten, die Staatsoper hatte auf ihrer Website angekündigt:

Das Wesen dieser historischen Operngattung wahrend, aber zugleich ihre Form neu interpretierend, soll etwas entstehen, in dem das Orchester optisch und inhaltlich integriert ist. So wird das Schicksal der Figuren durch ein sichtbares Musizieren unmittelbar erfahrbar.“

Tatsächlich blieb die Balance zwischen Musik und Regietheater gewahrt.  Dass die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ihren Orchestergraben verlassen mussten, verbannt auf die Bühne: Außerordentlich – der simple Kniff verlieh der Aufführung eine erfrischende Lebendigkeit.

Mitridate, re di Ponto, Hamburg © Brinkhoff / Mögenburg

Das war ansteckend, die Sängerriege zeigte sich durchweg wachtelkönigmäßig spielfreudig. Das ging zu Lasten der gesanglichen Leistungen. Ein Sängerfest gelang nicht durchweg. Zuweilen fehlte es an der Identifikation mit der Rolle. Zu sehr stand Krieg im Vordergrund und weniger, trotz aller Intrigen, allfällige Liebe.

Adriana Bignagni Lesca (Mezzosopran) ging ihre Rolle als Farnace ziemlich kriegerisch an. Robert Murray verfügt über einen standfesten Tenor, gab den König aber durchweg als gefühlskalten Charakter. Ausnahme: Olivia Boen – so sweeet.

Wohltuend, wie viel Wärme das Philharmonische Staatsorchester Hamburg dem Sängerensemble entgegensetzte. Überhaupt, der Dirigent. Ádám Fischer wahrte in dem Gewusel auf der Bühne den Überblick und Mitridate, re di Ponto, klang, wie immer bei Fischer: Nach genialem Mozart.

P.S: Der beste Schauspieler auf der Bühne? Das war… Ádám Fischer.

Jörn Schmidt, 23. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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