Chicago Symphony Orchestra; Foto Patrik Klein
Zugegeben, Jaap van Zweden hat einen gehörigen Wettbewerbsvorteil gegenüber Klaus Mäkelä. Der Niederländer ist schon 64 Jahre alt. Der Finne Klaus Mäkelä ist 29 Jahre alt. 35 Jahre weniger Zeit, sich zu erarbeiten, welche Wunder Mahler 6 bereithält. Aber war dies der einzige Grund, warum Mäkelä vor 5 Monaten in der Elbphilharmonie an Mahler gescheitert ist? Und van Zweden gestern triumphierte?
Chicago Symphony Orchestra
Jaap van Zweden / Dirigent
Gustav Mahler / Sinfonie Nr. 6 a-Moll
Elbphilharmonie, Großer Saal, 17. Mai 2025
von Jörn Schmidt
An den Orchestern hat es schon mal nicht gelegen. Mäkelä hatte man seinerzeit die Wiener Philharmoniker an die Hand gegeben. Das Chicago Symphony Orchestra (CSO) hat sich Jaap van Zweden anvertraut. Beide Klangkörper… perfekt.
Auch wenn die Wiener Philharmoniker noch mehr mit Mahler verbunden sind. Auch das CSO hat eine mehr als respektable Mahler-Historie. Allein schon deren Blechbläser. Die Mahler DNA der Orchester von Weltrang… ebenfalls perfekt.
Dann der Konzertsaal. Die Elbphilharmonie hat ihre Tücken, aber der Saal verträgt jede Menge Radau. Van Zweden und Mäkelä haben das beide ausgereizt. Also waren auch die Voraussetzungen, die der Konzertsaal bot… perfekt.
Ausverkauft war der Saal auch in beiden Fällen und das Publikum erstaunlich ruhig… perfekt. Obwohl ich hinzusetzen muss, dass gestern erneut störender Nacheinlass gewährt wurde. Warum nur wird das gestattet?
Indes, es gibt Hoffnung. Die wenigen Zuschauer, die zwischen den Sätzen klatschen wollten. Die verstummten im Ansatz. Da hatten die Sitznachbarn wohl ihre Mitteln, das zu unterbinden.
Auch sind Klaus Mäkelä und Jaap van Zweden große Dirigenten. Es ist ja nicht so, dass Mäkelä jedes Konzert gegen die Wand fährt. Auch hier die Voraussetzungen… perfekt.
Aber Perfektion ist nicht gleich Perfektion. Mäkelä wollte kurz vor Weihnachten den perfekten Mahler erzwingen. Versuchte das Geschehen zu kontrollieren und produzierte prompt einen veritablen Bauchklatscher.
Ich verwende hierfür den Begriff Perfektionismusfalle 2.0. Vielleicht haben Sie diese Diskussion hier bei klassik-begeistert verfolgt.
Van Zweden tappte nicht in diese Falle. Im Gegenteil, es gelang eine Sternstunde. Warum?
Die Umstellung der Sätze ist eine Antwort. Während Mäkelä Allegro-Andante-Scherzo-Finale spielen ließ, setzte van Zweden auf die Satzfolge Allegro-Scherzo-Andante-Finale. So rollt man dem Finale den roten Teppich aus.
Hauptursächlich war indes, dass van Zweden seinen Musikern alles abverlangte. Er gab teilweise abenteuerliche Tempi vor, die Aufführung dauerte nur ca. 80 Minuten. Und verlangte gleichzeitig einen Schnellboot-artigen Wechsel in Klangfarbe und Ausdruck.
Volles Risiko also. Das kann gerne mal in die Hose gehen. Man kennt das vom Fußball. Schön gespielt, viele Chancen erarbeitet und dann doch verloren. Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften… sagen Fußballer dazu.
Nicht so am Samstag. Ausnahmslos alle Orchestermitglieder schienen nach dem Risiko zu gieren und wollten einnetzen. Es geriert ein virtuoser, höchst transparenter Orchesterklang. Und das Schicksal nahm seinen Lauf wie Wellen, die sich zu einem vernichtenden Orkan aufschaukeln.
Ein Ländler klang gestern wie ein Ländler. Trostlosigkeit nach Trostlosigkeit. Warmes warm und Tröstendes tröstend. Und der Tod wie der Tod. Usf. Alles mit größter Leichtigkeit, wie selbstverständlich. Mega.
Dirigieren mit Messer zwischen den Zähnen veredelt schnöde Perfektion.
Jörn Schmidt, 18. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klein beleuchtet kurz 59: Chicago Symphony Orchestra Elbphilharmonie, 18. Mai 2025
Klein beleuchtet kurz 50: Mäkelä und die Wiener Philharmoniker Elbphilharmonie, 17. Dezember 2024
Auf den Punkt 58: Die „Perfektionismusfalle 2.0“ klassik-begeistert.de, 15. Mai 2025