Auf den Punkt 9: Sensationell neu? Dem romantischen Mozart-Puristen Louis Lohraseb gelingt ein beispiellos unideologischer, höchst menschlich klingender Figaro

Auf den Punkt 9: W. A. Mozart, Le nozze di Figaro   klassik-begeistert.de, 17. Mai 2024

Le nozze di Figaro © Karl Forster 2018

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Le nozze di Figaro

Text von Lorenzo Da Ponte
UA 1. Mai 1876, Wien  (Altes Burgtheater am Michaelerplatz)

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertexten

Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Louis Lohraseb – Musikalische Leitung

Stefan Herheim – Inszenierung
Christof Hetzer und Gesine Völlm – Bühne und Kostüm

Staatsoper Hamburg, 17. Mai 2024

von Jörn Schmidt

Die Mitglieder des Orchesters der Staatsoper Hamburg haben sich selten so interessiert gezeigt an dem, was auf der Bühne passiert, wie am 17. Mai 2024. Das hatte zum einen rein physikalische Gründe, der Orchestergraben war recht weit heraufgefahren, das erst ermöglichte die neugierigen Blicke. Besonders interessiert schienen die Holzbläser und Solo-Pauker Brian Barker. Das lässt sich unter anderem mit der gelungenen Personenregie und der grandiosen schauspielerischen Leistung von Jacques Imbrailo (Il Conte d’Almaviva) und Krzysztof Bączyk (Figaro) erklären. Besonders gefiel, dass auf billige Sottisen verzichtet wurde. Der Schalk lag im Detail, das kommt besser als überzeichnete Gags.

Das erklärt die allseits gute Laune, aber die eigentliche Sensation war der Mozartklang, den Louis Lohraseb dem Orchester entlockte. Über Mozart heißt es gerne mal: „Zu leicht für Kinder, zu schwer für Erwachsene„. Gemeint ist damit auch, dass bei Mozart alles irgendwie beschwingt klingt, selbst  wenn Tod und Verderben oder, wie in Figaros Hochzeit, Liebe, Untreue und Aufbegehren gegen den Adelsstand besungen werden. Die gefühligen Differenzierungen verschließen sich dem flüchtigen Hörer,  man muss schon genau hinhören, wenn man wissen möchte, was gerade in Figaro & Co. vor sich geht. Ein Seufzer klingt bei Mozart halt anders als bei Richard Strauss.

Bei Louis Lohraseb seufzt Mozart deutlicher als anderswo und es ist gar nicht so leicht zu entschlüsseln, wie dem jungen Dirigenten dies gelang. Das Geheimnis: Keine Dogmen, bitte. Lohraseb geht es darum, dass alle Beteiligten Gefühle pur zeigen. Jede seiner Gesten lud dazu ein und es entstand ein zugewandter Sound, dem sich auch die Sänger regelrecht anschmiegen können. Vieles hat an die Aufsätze von Nikolaus Harnoncourt erinnert, auch Lohraseb versteht Musik als Klangrede. Aber es klang so überhaupt nicht nach Harnoncourt, sondern romantisch. Ein Dogma gab es dann doch, alle Klangfarben waren erlaubt, nur die schroffen und kalten Töne waren offensichtlich bei Strafe verboten. Denn auch wenn der Graf mal kurz zur Axt griff: Mozart hat eine Commedia per musica geschaffen, kein Axtmord-Drama mit vielen Toten.

© Karl Forster

Dem Ensemble tat das richtig gut, der Graf und Figaro benahmen sich wie alte Freunde. Auch bei den Frauen gab’s kein böses Blut, Susanna (Katharina Konradi) und Marcellina (Claire Gascoin) zogen  schon anfangs an einem Strang, trefflich unterstützt von Cherubino (Julia Lezhneva). Die drei Dons (Jürgen Sacher, Peter Galliard und Hubert Kowalczyk) halfen nach Kräften, dass das die d’Almaviva-Verschwörung gelingen konnte.

Alles gelang indes nicht. Das Finale (4. Akt, „Pian pianin le andrò più presso“) geriet schwerfällig, plötzlich war der Fluss weg. Louis Lohraseb bemerkte dies allemal, seine Gestik wurde sofort ausladender. Das Orchester zog mit, aber auf der Bühne ging jeder seinen Weg. Das macht aber nichts, denn dieser Figaro war trotzdem beispiellos. Und irgendwie war das Dirigat eine Botschaft an den designierten neuen Chef des Hauses, Omer Meir  Wellber. Der hat ein ganz anderes Mozart Verständnis, nachzulesen in seinem sehr schönen Büchlein „Die Angst, das Risiko und die Liebe“. Wie gut, dass man Mozart auch anders zum Klingen bringen kann.

Jörn Schmidt, 18. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

D. Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk Staatsoper Hamburg, 16. Mai 2024

Auf den Punkt 7: Stanislav Kochanovsky  akklimatisiert sich schon mal und schlägt dem Tod ein Schnippchen klassik-begeistert.de, 10. Mai 2024

Auf den Punkt 6: Laeiszhalle, Symphoniker Hamburg und MUK, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, 5. Mai 2024

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