Soli Deo Gloria: Das Bach Collegium Japan glänzt in Köln mit Werken seines Namensgebers

Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki Dirigent, Bach-Kantaten  Kölner Philharmonie, 1. November 2022

Foto: Masaaki Suzuki ©Marco Borggreve

Ein erhebender, beseelender Abend mit drei Kantaten und der Ouvertüre Nr. 4.

Johann Sebastian Bach (1685-1750):

Ouvertüre Nr. 4 D-Dur BWV 1069

Kantate BWV 94, „Was frag ich nach der Welt“

Kantate BWV 102, „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben“

Kantate BWV 110, „Unser Mund sei voll Lachens“

Bach Collegium Japan

Joanne Lunn, Sopran
Alexander Chance, Countertenor
James Gilchrist, Tenor
Christian Immler, Bariton

Masaaki Suzuki, Dirigent


Kölner Philharmonie
, 1. November 2022

von Brian Cooper, Bonn

Wenn man sich häufiger mit Mahler, Bruckner, Schostakowitsch und Co. so richtig mal die Ohren durchpustet, wie ich es gern zu tun pflege, tut man gut daran, immer wieder zur kleinen Form zurückzukehren. Ein Streichquartett-Abo für die laufende Kölner Saison ist fix und beginnt Mitte des Monats mit der Abschiedstournee (leider!) des Emerson String Quartet.

Und auch ein Orchester in kleiner Besetzung, wie in diesem Fall ein renommiertes Barock-Ensemble, das Bach Collegium Japan (BCJ), ist immer wieder ein sinnvolles „Korrektiv“, da es für den nötigen klanglichen Ausgleich zu den einschlägigen – groß besetzten – sinfonischen Schlachtrössern sorgt.

Hat man dann noch das Glück, einen reinen Bach-Abend mit diesem Spitzenensemble zu erwischen, tut man ebenso gut daran, schleunigst die Kölner Philharmonie aufzusuchen, wo seit Anbeginn alle Geschmäcker bedient werden, die unter den so schwierig einzuordnenden Begriff „klassische Musik“ fallen. Herausragenden Jazz (WDR Big Band!) und kölsche Folklore (Bläck Fööss, Höhner) lassen wir hier mal beiseite, das gibt’s auch noch im Kölner Musiktempel.

In diesem Fall also Barockmusik. Was für ein altmodisch anmutendes Wort. Gedanklich ist man beim Reifrock. Aber die Barockmusik kann so lebendig aufgeführt werden! Ich habe das Glück gehabt, innerhalb eines Jahres die noch lebenden Superstars der historischen Aufführungspraxis – Gardiner, Herreweghe, Jacobs, Koopman und eben, zum ersten Mal, Masaaki Suzuki – zu erleben, und von diesen genannten, die sie doch eigentlich alle in der Studierstube beheimatet und auch hervorragende und passionierte Musikologen sind, scheint mir Suzuki der am wenigsten „hölzerne“ Dirigent zu sein. Er ist unglaublich charismatisch. Überhaupt wurde an diesem Abend viel gelächelt, auf dem Podium wie im Publikum.

Das Bach Collegium Japan verfolge ich seit der ersten CD der Gesamteinspielung der sogenannten „geistlichen“ Bach-Kantaten beim schwedischen Label BIS, die Mitte der 1990er begonnen und Mitte der 2010er abgeschlossen wurde. Ein Musikfreund machte mich damals darauf aufmerksam und erwähnte in erster Linie den hervorragenden Chor mit den Worten „Das musst Du Dir anhören, es ist der Wahnsinn!“ Ich war begeistert und beglückt und sammelte CD nach CD, als es noch im Kölner Saturn eine legendäre Klassikabteilung gab, die diesen Namen verdiente. Die Älteren werden sich erinnern…

Schon in der Ouvertüre BWV 1069, bei der die Streicher im Stehen spielten, merkte man, zu welch dichtem Klang das Orchester auf Originalinstrumenten fähig ist. Barockbögen und Naturtrompeten sind selbstverständlich, um dem zu Bachs Zeiten üblichen Klang möglichst authentisch gerecht zu werden. Ventillose Trompeten bergen allerdings ein gewisses Risiko, und auch wenn die drei Herren sicher nicht ihren allerbesten Tag erwischten, wurde es im Laufe des Abends, etwa kurz vor Ende der Kantate BWV 110, immer besser.

Die Texte der Kantaten sind gar gestreng, und sie sind gar grausig. Sämtliche Werke dieses reichhaltigen Schatzes der geistlichen Kantaten Bachs lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Die Welt ist schlecht, da schnöde und gottlos; mein Jesus bzw. Gott ist groß; ich hingegen bin nur ein armer, schwacher, elender Sünder und harre der Rettung im Jenseits. Es ist halt nicht Andreas Gryphius, der in seinen Sonetten im Angesicht des dreißigjährigen Kriegs einen ähnlichen Weltschmerz wesentlich kunstvoller auszudrücken verstand. Als ich meiner Lebensgefährtin von der herausragenden Textverständlichkeit des japanischen Chors vorschwärmte, merkte sie lakonisch an, unverständlicher Gesang wäre in diesem Fall gar nicht so schlimm, die Musik sei doch dafür umso herrlicher.

Masaaki Suzuki postiert seine Solisten im Chor; für Soli kommen sie nach vorn. Und das Quartett war einfach großartig: Wie der Countertenor Alexander Chance, Sohn des legendären Michael Chance, im BWV 94 von der „betörten Welt“ sang, ging einem unter die Haut. Bass-Bariton Christian Immler, der übrigens dem Schauspieler Ulrich Matthes verblüffend ähnelt, sang derart toll, dass man ihn unbedingt als Jesus in einer Passion erleben möchte. Und das Duett von Joanne Lunn (Sopran) und James Gilchrist (Tenor) im BWV 110 („Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“) war zum Dahinschmelzen.

Das obligate Smartphone nach dem Eingangschor von BWV 94 bekümmerte Suzuki nicht weiter, und im weiteren Verlauf der Kantate ist besonders die virtuos aufspielende Traversflöte (Kiyomi Suga) hervorzuheben. Löblich ist übrigens, dass die Programmhefte der KölnMusik stets alle Mitwirkenden namentlich nennen. Und à propos Programmhefte: Gratis gibt es die nur gegen Vorlage eines Presseausweises. Pressekarten hingegen nicht. Alle anderen Konzerthäuser händigen einem ungefragt mit der Karte auch ein Programmheft aus. Muss man nicht verstehen, sind auch nur zwei Euro…

Im Eingangschor des BWV 102 erinnern die „Herr“- Einwürfe stark an den Eingangschor der Johannes-Passion. Hier überzeugte der nur 21 Sängerinnen und Sänger zählende Chor ganz besonders.

Vor der Zugabe, einer Wiederholung des letzten Chorals (BWV 110), wandte sich Herr Suzuki an das stehend applaudierende Publikum und erinnerte in perfektem Deutsch an den letzten Auftritt seines Ensembles vor zwei Jahren in Köln. Damals war pandemiebedingt die Johannes-Passion ohne Publikum aufgeführt worden; nun hingegen sei es eine wahre Freude, vor Publikum zu spielen, so der sichtlich bewegte Suzuki.

Die Freude, darf ich sagen, ist ganz unsererseits. Es war ein intensiver, ein beglückender Abend. Johann Sebastian Bach, hier sei’s gesagt, ist doch der Größte von allen. Dürfte man vor seinem Ableben nur noch ein musikalisches Werk hören: Ein Bach-Choral, interpretiert vom Bach Collegium Japan, das wär’s.

Dr. Brian Cooper, 2. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Johann Sebastian Bach, Kantaten, Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 25. Februar 2022

La Voce Strumentale, Julia Lezhneva Kammermusiksaal Berlin, 10. Oktober 2022

Claudio Monteverdi – Marienvesper Kaisersaal, Residenz München, 7. Oktober 2022

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