Ballettgeschichte in Baden Baden

Ballett Paquita,  Festspielhaus Baden-Baden

Foto © Michael Gregonowits
Festspielhaus Baden-Baden,
27. Dezember 2017
Édouard Deldevez, Ludwig Minkus und Riccardo Drigo, Paquita

von Sebastian Koik

Im beschaulichen Baden-Baden steht mit 2500 Plätzen das größte Opernhaus Deutschlands. Auf die Größe kommt es nicht an, doch das Programm des großen Hauses in der kleinen Stadt ist absolute Weltklasse!

Ein vergleichbar gutes Konzert-, Opern- und Ballettprogramm gibt es in ganz Europa vermutlich nur in London, Paris, Berlin und Wien. Es ist einfach unfassbar, was in diesem wunderbaren Haus an der Oos in Privatinitiative erschaffen wurde!

An diesem Abend steht eine besonders interessante, neue Fassung von Paquita auf dem Programm, die erst in diesem Jahr uraufgeführt wurde.

Die Ur-Paquita wurde 1846 in Paris erstmals auf die Bühne gebracht und zauberte spanisches Kolorit in die französische Hauptstadt. Zum Klassiker wurde das Stück dann vor allem durch die Ballett-Legende Marius Petipa, der das Stück als seine allererste Inszenierung schon im Jahr nach der Uraufführung in St. Petersburg auf die Bühne brachte.

Da war er gerade erst vier Monate an der Newa und erst am Anfang seiner beispiellosen Choreographen-Karriere, in der er das klassische russische Ballett begründete und auf Jahrzehnte hinaus als wichtigste Figur der Ballettwelt wirken sollte.

Bis in die 1920er Jahre wurde Petipas Paquita in St. Petersburg gezeigt, danach überlebte nur noch der Grand pas aus dem dritten Akt als handlungsloses Virtuosenstück mit vielen schwierigen Variationen, in denen Tänzer glänzen und das Publikum in Erstaunen versetzen konnten – was weltweit geschah. Die ersten beiden Akte des Stückes dagegen waren für knapp 80 Jahre von den Bühnen verschwunden.

Im Jahre 2001 wurde in Paris erstmals wieder eine ganze Paquita aufgeführt. 2014 in München die zweite. Doch der größte Wurf ist wohl die neu arrangierte und in der Handlung entstaubte und erfrischend umgeschriebene Paquita von Yuri Smekalov, die 2017 zur Uraufführung kam.

Die aufgefrischte Handlung, die sich an der Novelle La Gitanilla von Miguel de Cervantes orientiert, ist für das heutige Publikum nachvollziehbarer und unterhaltsamer als das ursprüngliche Paquita-Libretto. Die Musik und der oft spanisch angehauchte Tanz sind sehr beschwingt und meist sehr fröhlich.

Das Dirigat des US-Amerikaners und Ständigen Dirigenten am Mariinsky-Theater Gavriel Heine wird den meisten Menschen genügen, da sie ohnehin bereits von Tanz, Kostümen und Bühnenbild berauscht werden. Dass das Mariinsky Orchester zu sehr viel Größerem in der Lage ist und selbst erstaunliches Begeisterungspotential in sich trägt, weiß jeder, der den St. Petersburger Klangkörper unter dem Dirigat von Alexei Repnikov erlebt hat.

Die Hintergrund-Leinwände sind sehr kunst- und stimmungsvoll gemalt, oft mit verblüffender dreidimensionaler Wirkung, und kommen beim Publikum sehr gut an. Die liebevoll gestalteten bunten Kostüme der Edelleute, Dorfbewohner, Offiziere, Soldaten und Zigeuner sind ein Augenschmaus!

Wie so oft in klassischen russischen Balletten und auch schon an den beiden Tagen zuvor im Nussknacker wird die Handlung komplett in den ersten beiden Akten erzählt, während der letzte Akt ein einziges großes Tanzfest ist.

https://klassik-begeistert.de/peter-iljitsch-tschaikowsky-der-nussknacker-festspielhaus-baden-baden/

Mariinsky Ballett, Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Festspielhaus Baden-Baden

Diese puren Tanzfestivals im Schlussakt sind immer ein großes Vergnügen, doch die Art des Geschichtenerzählens in den ersten Akten ist nicht jedermanns Sache. In Paquita wurde ein großer Teil der Inhalte über Pantomime transportiert. In der Pariser Neu-Inszenierung spielten die Tänzerinnen und Tänzer das noch mit Ironie. In der Münchner Version stieß das mitunter auf Unverständnis und führte zu ungewollter Komik. Der clevere Choreograph Yuri Smekalov tat dem Stück viel Gutes durch weitestmögliche Reduzierung der ursprünglichen Pantomime.

Der dritte Akt ist eine wirklich fulminante Tanzshow! Yuri Burlaka rekonstruierte die Original-Choreographie von Marius Petipa. Der Grand pas classique des Großmeisters beginnt mit einem fünfteiligen Pas de deux, gefolgt von einem Auftritt des Corps de ballet und sehr anspruchsvollen Solo-Tänzen für sieben Solisten.

Bei den sieben Solo-Variationen begeistern vor allem Anastasia Lukina in der ersten Variation und Yana Selina in der vierten Variation mit vollendeter Eleganz, Sensibilität und Anmut. Das ist herrlich schöne tänzerische Perfektion.

Vor allem in der zweiten, aber auch der dritten Variation geht es etwas athletischer zu, und hier haben Anastasia Nikitina und Yekaterina Ivannikova, die beide Tänzerinnen der Kategorie Coryphées sind und dem Corps de Ballet und nicht den Solisten angehören, nicht ganz die Klasse, Ruhe und Souveränität der anderen Tänzerinnen und Tänzer in den Variationen.

In der fünften Variation überzeugt Nadezhda Batoeva, Paquitas Freundin Cristina. Und dann ist es im Finale an der Zeit für die Hauptfigur des Abends: Anastasia Kolegova, Paquita. Ihre Performance in der sechsten Variation ist spektakulär! Ihre Drehungen erscheinen geradezu wahnwitzig. Die immensen technischen Herausforderungen meistert sie mit scheinbarer Leichtigkeit in Perfektion.

Den Abschluss in der siebten Variation gestaltet Andrei Yerkmakov, der männliche Hauptdarsteller des Abends, sehr schön. Die Schau stehlen kann er seiner Partnerin Anastasia Kolegova allerdings nicht.

Die drei Letztgenannten waren über den ganzen Abend hinweg wunderbare Tänzer und erfüllten ihre Rollen als Paquita, Andrés und Paquitas Freundin Cristina ganz wunderbar. Auch die anderen Solisten und das gesamte Corps de ballet machten ihre Sache sehr, sehr gut.

Zum Schluss des Ballettabends fallen in Form eines Vorhangs herrliche Blüten vom Himmel, und das Schlussbild mit einer wunderbaren Staffelung der vielen Tänzer in ihren Endpositionen vor prächtiger Kulisse bezaubert!

Zu schade, dass dies bereits die letzte Vorstellung des Mariinsky-Ballets in diesem Jahr in Baden-Baden war. Doch es gibt gute Nachrichten: Im wunderbaren Festspielhaus an der Oos ist nach der großen Show immer auch vor der nächsten großen Show.

So gibt es am 31. Dezember 2017 eine Silvester-Ballett-Gala, bei der sich Tänzer aus einigen der besten Kompanien der Welt präsentieren, unter anderem dem Royal Ballet London, dem San Francisco Ballet und dem Royal Danish Ballet … und auch mit zwei Mariinsky-Tänzern wird es an diesem Abend ein Wiedersehen geben.

Sebastian Koik, 28. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

Yuri Smekalov, Choreographie
Yuri Burlaka, Rekonstruktion der Choreographie von Marius Petipa im 3. Akt
Andrei Sevbo, Bühnenbild
Elena Zaitseva, Kostüme
Konstantin Binkin, Lichtdesign
Gavriel Heine, Dirigent
Mariinsky Ballett
Mariinsky Orchester
Anastasia Kolegova, Paquita
Andrei Yermakov, Andrés
Nadezhda Batoeva, Cristina, Paquitas Freundin
Sofia Ivanova-Skoblikova, Carducha
Roman Belyakov, Junger Gitano
Alexei Timofeyev, Clemente
Anastasia Lukina, Anastasia Nikitina, Yekaterina Ivannikova, Yana Selina, Paquitas Freundinnen

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